Wahlen, Waffeln, Wohlfühl-Studium
von Harvey am 18. Januar 2010 veröffentlicht in UnipolitikNach den freien Tagen zum Jahreswechsel erwartet die Studierenden in der Uni regelmäßig ein immer gleiches Bild: Die hochschulpolitischen Gruppen legen sich ins Zeug mit Plakaten, Kaffee- und Kuchen-Buffets und mehr oder weniger umfangreichen Publikationen. Vereinzelt werden gar die Homepages poliert und mit einem neuen Artikel geschmückt. StudiVZ-Profilbilder werden mit allerlei Gruppenenblemen und Aufrufen geschmückt. Das zentrale Hörsaalgebäude weckt mit unzähligen blauen Luftballons die Befürchtung, jeden Augenblick könnte eine Polonaise um die Ecke kommen. Alles ist hübsch ordentlich, sauber hängen die Plakate nebeneinander, Wände und Säulen werden brav ausgespart, einträchtig hängen RCDS-Plakate neben denen der Juso-Hochschulgruppe und denen der Linke.SDS, die mit einem Großaufgebot von Plakattafeln auch die Straßenlampen am Campus mit einem Chuck-Norris-Kalauer verziert hat. Vom 19. bis zum 22. Januar sind Stupa-Wahlen.
Wo ist die Politik in der Uni-Politik?
Schemenhaft nur sind politische Grundsätze der Hochschulgruppen auszumachen. Solche leisten sich nur noch wenige Gruppen. Stattdessen liefern sich die Gruppen einen Wettstreit darin, den Wählern vor allem materielle Vorteile zu versprechen. Die Studiengebühren sind längst alltäglich geworden und nun geht es vor allem darum sie auszugeben: Büchergutscheine, Druckkontingente – mehr für‘s Geld. Der Erfolg der sich früher noch offen als „unpolitisch” gebenden Gruppe ADF, die seit nunmehr Jahren mit immer noch zunehmendem Stimmzahlen den AStA bestimmt, färbt weiter ab. Allgemeinpolitische Themen werden zumeist textreich von den Basisgruppen behandelt, allenfalls die parteinahen, bundesweit arbeitenden Gruppen schmücken sich noch mit Anlehen an die Parteiprogramme.
Hier und da schimmert dann aber noch Grundsätzliches durch: Engagiert vertreten Basisgruppen und grüne Hochschulgruppe basisdemokratische Grundsätze, andere versprechen, sich für andere einzusetzen und bewerben sich vor allem kritiklos als Abgeordnete. Sogar eine nicht besonders geschliffene Argumentation für das Delegierten-Prinzip taucht in einer Wahlkampfpublikation auf.
Bildungsstreik und Bologna
Besonderen Einfluss hatte der in der Öffentlichkeit stärker wahrgenommene Bildungsstreik. Hier positioniert sich so ziemlich jede Gruppe, wenn auch auf verschiedene Art und Weise. Der RCDS entschloss sich letztendlich doch, den Bildungsstreik als linkes Projekt zu identifizieren und grundsätzlich abzulehnen, gleich mit Verweis darauf, dass konsequenterweise auch ADF-Teilgruppen auf Fakultätsebene wegen Unterstützung des Bildungsstreiks nicht gewählt werden sollten. Eine Empfehlung, die mit umgekehrter Argumentation – Stimmen für die ADF seien gegen den Bildungsstreik – die Linke.SDS ebenfalls ausspricht. Den Jusos ist es wichtig festzustellen, dass sie „dabei” gewesen seien, und von anderen Gruppen wird Fortführung, Unterstützung und Solidarität gefordert.
Aspekte der Ausbildung wie Verschulung des Studiums und die immer größere Anonymität und Konkurrenz unter den Studierenden werden aus oft ähnlichen Blickwinkeln kritisch abgelehnt.
Semesterticket, der heimliche Wahlmotor
Insbesondere das Bahn-Semesterticket hat seit seiner Einführung glänzend die Stellvertreterdemokratie in der Uni gefördert. Ihm ist vor allem die für Uniwahlen recht hohe Wahlbeteiligung von regelmäßig über dreißig Prozent zu verdanken: Viele Wähler interessieren sich vor allem für die zugleich mit den Wahlen stattfindende Urabstimmung über die Vertragschließung mit der Bahn.
Kleine Gruppen könnten sicher aus einer Positionierung Kapital schlagen – dieses Jahr versucht es der RCDS mit der Forderung einer Intercity-Option, denn das Semesterticket kann bisher nur in Nahverkehrszügen genutzt werden. Das geht allerdings nicht ganz so weit wie in den Vorjahren die Forderung der vor allem in meisterhafte Polemik und savoir vivre spezialisierten Gruppe Schwarz-Rot-Kollabs nach einem „Semesterticket weltweit”. Dieses Jahr ist die Gruppe erstmals als „Unabhängiger Schwarz-Rot-Kollabs” mit vielen neuen Personen dabei. Grundsätzlich wurde aber der Werbestil der Gruppe beibehalten, obgleich der Autor dieser Zeilen dieses Jahr nicht ganz so ergriffen von den Slogans war.
Eher im Untergrund arbeiten einige Aktive in der ADF: Als eigenes, ungelabeltes Projekt wurde eine Kampagne losgetreten, gegen das DB-Semesterticket (erstmals unabhängig vom Cantus-/Metronom-Ticket) zu stimmen. Hier ist die Hoffnung, bei Nachverhandlungen letztlich günstigere Konditionen mit der Bahn auszumachen.
Wahlaufforderung, ganz pragmatisch
Insgesamt 606 Studierende kandidieren diesmal uniweit für das Studierendenparlament, das dann wiederum den AStA wählt, der vor allem und zuallererst Geld verwaltet: Es geht um etwa eine halbe Million Euro im Jahr. Dieser sehr pragmatische Anlass soll als herzliche Aufforderung an die Wahlberechtigten dienen, das Geld Gruppen zu verschaffen, die politisch sinnvoll damit arbeiten. Welche das sind, das wisst ihr Leser_innen sicher selbst recht gut – es wäre schade, wenn es hätte klappen können, aber nicht genug Sympathisanten ihr Kreuz gemacht hätten. Wie jedes Jahr.
Leider erst heute hat die LHG ihren Wahlkampf gestartet – und springt auch auf den Semesterticket-Zug auf, bzw. will wieder abspringen: Auf Flyern wird „Bahncard 50 statt Semesterticket“ gefordert. Ob sich die jeder selbst kaufen soll (dann allerdings würden die auf dem Flyer avisierten Kosten von 60 EUR nicht passen, die BC50 kostet ca. das doppelte – und auch nur für Studis unter 27 Jahren) oder ob dort auch ein Vertrag zwischen Studierendenschaft und Bahn geschlossen werden soll, ist leider ohne wagemutige Interpretationen dem Flyer nicht zu entnehmen. Das liberale Herz schlägt sicher auch höher, wenn man in der Publikation liest, dass zentrale Forderung auch die Abschaffung des Studentenwerks ist: Die freie Wirtschaft könne das alles viel besser, zielgruppenorientierter etc.pp. Auch wendet man sich gegen das subventionierte Mensa-Essen und die subventionierten Wohnheime, die ja via Studentenwerksbeitrag von Nicht-Mensagängern bzw. Nicht-Wohnheim-Bewohnern mitfinanziert würden. Wenn auch (oder gerade weil?) noch nicht jeder Satz sitzt, so erlaubt die Postille doch immerhin einen guten Einblick in die Denkmuster der Kandidaten.
Die Ergebnisse sind da:
ADF: 22 Sitze (-2)
Juso-HSG: 9 (+3)
GHG: 3 (-3)
RCDS: 4 (+/- 0)
LHG: 1 (+1)
Linke.SDS: 1 (+/- 0)
USRK: 1
Piraten: 2 (+2)
BB: 4 (-1)
Bemerkenswert: Die ADF verliert die absolute Mehrheit. Die GHG muss schwer einstecken, allerdings profitieren die Jusos in entsprechender Höhe. Die Basisgruppen müssen einen Sitz abgeben. Und neu dabei sind die Piraten. Der Sitz der LHG wird dann in Zukunft nach kurzer Abstinenz wieder besetzt sein.