Do. 27.08.: Demonstration gegen Abschiebung
von irrgartnerin am 22. August 2009 veröffentlicht in Demonstration, Termine, Tipp!Am 24. März 1999 begann die NATO mit aktiver deutscher Beteiligung ihren Krieg gegen Jugoslawien. Nach der Flucht hunderttausender Mensch nach Deutschland zu Beginn der Ethnisierungskriege Anfang der 90er Jahre wurde hier die Festung Europa gegen Flüchtende ausgebaut. Nur noch ein paar tausend Flüchtlinge aus dem Kosovo fanden Ende der 90er Jahre in Deutschland Schutz vor der neuen Welle „ethnischer Säuberungen“ durch das Milosevic-Regime und dem NATO-Krieg. Der Anspruch auf Asyl wurde ihnen jedoch verwehrt. Sie wurden als „Wirtschaftsflüchtlinge“ stigmatisiert und kriminalisiert. Nach mehr als zehn, fünfzehn Jahren Aufenthalt in Deutschland leben sie und die sogenannten Minderheiten noch immer ohne sicheren Status, ohne sichere Existenzgrundlage und sind permanent von Abschiebung bedroht.
Für die ethnische Gruppe der Roma, Ashkali und Gorana gilt der Krieg in Jugoslawien neben dem zweiten Weltkrieg, in dem mehr als 600.000 Roma ermordet wurden, als größte Katastrophe in ihrer Geschichte. Aktuell leben im Bundesgebiet schätzungsweise 31.000 Roma, in Göttingen etwa 500. Ihr Leben hier ist gekennzeichnet durch rassistische Ausgrenzung und Übergriffe, Isolation in Flüchtlingsheimen und Wohnblocks, Residenzpflicht, Schikane in den Ämtern und stark eingeschränkte Partizipationsmöglichkeiten am sozialen Leben (Schule, Ausbildung, Arbeit). Nur wenn sie in der Lage sind nachzuweisen, dass sie ihren Lebensunterhalt größtenteils selbst sichern können, besteht die Chance auf eine längerfristige Aufenthaltsgenehmigung. Da dies de facto durch strukturelle Gegebenheiten kaum möglich ist, ist die große Mehrheit von ihnen zu einem Leben am Rande der „bürgerlichen deutschen Zivilgesellschaft“ gezwungen.
2008 kam es zur Anerkennung der Republik Kosovo durch einige NATO-Staaten. Im November 2008 hat die UNMIK – UN-Verwaltung des Kosovo – die Zuständigkeit für Rückführungsfragen an die neue kosovarische Regierung übergeben, welche Bereitschaft zur „Rücknahme“ der Flüchtlinge signalisiert hat. Seitdem laufen Vorbereitungen von Massenabschiebung dorthin. Abgeschobene erwarten im Kosovo massive soziale Ausgrenzung und ethnische Verfolgung. Übergriffe durch Polizei und albanische Nationalist_innen, systematische Benachteiligung durch die Behörden, fehlende Gesundheits- und Sozialversorgung bestimmen ihr Leben dort. Roma sind vom regulären Arbeitsmarkt ausgeschlossen und ihre Arbeitslosigkeit liegt über 90%. Häufig müssen sie mit weniger als 1$ am Tag auskommen.
Viele möchten gar nicht zurück in den Kosovo. Ihre Existenzgrundlage dort ist zerstört. Sie sehen Deutschland als ihre neue Heimat, haben eine Familie gegründet und ihre Kinder sind hier zur Welt gekommen. Sie sehen ihre Zukunft hier und möchten sich ein Leben außerhalb von Wohnblocks und Flüchtlingslagern aufbauen. Ihre Kinder möchten Schulbildung, sie wollen am sozialen Leben teilnehmen und nicht als Bodensatz einer Gesellschaft ausgegrenzt werden.
Die Realität ist weit entfernt von diesen Wünschen! Bereits jetzt werden durch die die Stadt Göttingen Briefe verschickt, die aus dem Kosovo stammenden Menschen Ausreisetermine mitteilen und sie auffordern, „freiwillig“ auszureisen, um einem Abschiebeverfahren zu entgehen.
Die Erfahrung mit den Ausländerbehörden zeigt: Während das „Bleiberecht“ in der Öffentlichkeit zunächst als soziale Maßnahme präsentiert wurde, entpuppt es sich heute als Instrument bundesdeutscher Behörden, um Menschen nach der Möglichkeit ihrer Verwertung zu sortieren. Wer den Nachweis des geforderten Einkommens nicht bis Ende 2009 erbringen kann, verliert seine Aufenthaltserlaubnis auf Probe und fällt zurück in die Duldung. Am Ende stehen also wie gehabt: Eine Zunahme von gewaltsamen Abschiebungen oder die „freiwillige“ Ausreise in sogenannte „Herkunftsländer“ sowie eine wachsende Zahl von Menschen, denen eine Illegalisierung ihres Lebens in Deutschland als einziger Ausweg bleibt.
In der ersten Juliwoche wurde der in Göttingen lebende Rama Semsedin bei einem Behördengang durch die Polizei in Abschiebehaft genommen und von seiner Familie getrennt. Er ist Vater von vier Kindern, die zwischen 12 und 15 Jahren alt sind. Die Familie Semsedin lebt seit 17 Jahren in Deutschland. Rama wurde mittlerweile aus Deutschland abgeschoben.
Wir sagen NEIN zu dieser menschenverachtenden Praxis und fordern den sofortigen Stopp der Abschiebungen!
Wir organisieren Widerstand und schauen nicht weg, wenn Politiker_innen den gesetzlichen Rahmen für Abschiebungen schaffen und Schreibtischtäter_innen Menschen ins Unglück schicken.
Wir akzeptieren nicht, dass Herkunft und Ethnie darüber entscheiden, an welchem Bestimmungsort und unter welchen Bedingungen ein Mensch sein Leben führen darf.
Wir sprechen uns gegen die Logik von Nationalstaaten und gegen ihre Grenzen aus!
Für ein selbstbestimmtes Leben in Freiheit!
Abschiebungen stoppen!
Bleiberecht für alle Menschen!
Unbefristet! Überall!
Donnerstag | 27. August 2009 | 16 Uhr | Neues Rathaus, Göttingen
Also aus diesem Haus, aus dem die Demo mit Wasser „angegriffen“ wurde, fliegt ja in letzter Zeit öfters mal was auf Demonstrationen herunter. Ich meine mich sogar zu erinnern, dass das bei Studi-Demos vor Jahren schonmal so war. Was wohnen denn da für komische Gestalten?
StadtRadio-Meldung:
Rund 200 Menschen haben gestern Nachmittag in der Göttinger Innenstadt gegen Abschiebungen und Rassismus demonstriert. In Redebeiträgen hieß es, der Protest richte sich gegen die Selektion von Migranten und das europäische Grenzregime. Es gebe in Deutschland eine Kontinuität vom Dritten Reich bis heute, die sich in der Abschiebepolitik ausdrücke. Konkret seien in Göttingen derzeit 500 Roma von der Abschiebung bedroht. Die Demonstranten kündigten an, die geplanten Abschiebungen verhindern zu wollen. Ein Sprecher sagte, die Behörden müssten mit einem „heißen Herbst“ rechnen. Die Demonstration begann um 16 Uhr am Neuen Rathaus und endete zwei Stunden später am Gänseliesel. In der Weender Straße kam es zu Rangeleien zwischen Demonstranten und der Polizei, nachdem der Demonstrationszug aus einem Haus heraus mit Wasser bespritzt worden war. Zu weiteren Zwischenfällen kam es nicht. Zu der Demonstration aufgerufen hatte der Göttinger Arbeitskreis Asyl, der sich damit an der bundesweiten „Aktionswoche gegen Abschiebung“ beteiligte.