Kolumne: Das Motzbrocken

Beißhemmung für Fortgeschrittene…
von am 2. Juni 2014 veröffentlicht in Kolumne
Gestatten: Motzbrocken!
Gestatten: Motzbrocken!

… oder warum es mir wurscht ist, dass Uli Hoeneß in den Knast wandert. Eine Kolumne über Alphatierchen, Steuerhinterziehung und die Frage, ob Uli Hoeness eine 1/9 Demutsgebärde gezeigt hat. 

Was hält eigentlich so ein Alphatier davon ab, in die dargebotene Kehle des Unterlegenen zu beißen? Was gibt den Ausschlag, ob Luke Skywalker zur dunklen Seite der Macht wechselt? Was hält Menschen davon ab, die erklärte Kapitulation der Gegenseite schamlos auszunutzen? Ist es wirklich die „Scham“, also die Frage, was wohl andere über uns denken, wenn wir es tun? Oder ist es eher die Angst, das eigene Gesicht nicht mehr im Spiegel ertragen zu können? Oder haben Menschen auch eine angeborene Beißhemmung?

Bei Wikipedia lese ich:

„Als Beißhemmung wurde von Vertretern der klassischen vergleichenden Verhaltensforschung ein angeblich bei vielen Tierarten vorhandener, angeborener Schutzmechanismus bezeichnet. Er führe dazu, dass ein im Kampf unterlegenes Individuum vom siegreichen Artgenossen nicht ernstlich verletzt werde, sofern das unterlegene Tier seine Niederlage durch eine Demutsgebärde kenntlich mache.“

Mittlerweile weiß man wohl, dass dieses Verhalten nicht angeboren ist, sondern erlernt wird. Wenn ich nun also trotzdem in die mir dargebotene Kehle beiße, bin ich dann so eine Art Naziroboter, den dieses soziale Verhalten abtrainiert wurde? Oder habe ich – quasi als Welpe – einfach nur nie gelernt, meine Bißkraft einzuschätzen? Die Vierbeiner unter der Erdbevölkerung haben es eindeutig einfacher als die Zweibeiner. Haben zwei Hunde, Wölfe, Affen oder sonstwelche Mehrbeiner Beef miteinander, gibt es einen ordentlichen Rangkampf. Kurzes Knurren, Matte hoch, Zähne gefletscht und los geht’s.

„So gerne ich manchmal auch ein hirnloses Vieh wäre, das seinem Gegner einfach an die Kehle springen darf, so froh bin ich doch, dass ich als angebliches Spitzenmitglied der Evolution über mehr als Zähne und Klauen verfüge.“

Wir Zweibeiner haben es eindeutig schwerer – unsere Rangkämpfe laufen perfider ab. Unser Knurren sind spitz formulierte Mails, unsere Zähne der bessere Anwalt. Egal in welchem Lebensbereich – es gewinnt nicht, wer Recht hat, sondern wer den besseren Anwalt bezahlen kann, wer mehr Einfluss oder Ansehen hat. Wir zerfleischen uns noch nicht mal mehr selbst, sondern bezahlen Leute dafür. Die Schäden, die wir (oder unsere bezahlten Stellvertreterbeisser) beim anderen hinterlassen, sind weniger eindeutig – kein Blut, kein lautes Geheul. Die von zahlreichen bissigen Mails zermürbte Kollegin wird einfach irgendwann krank und kommt nicht mehr zur Arbeit. Sie kann nicht mehr schlafen, traut sich nicht mehr ins Büro, fühlt sich klein und unfähig. Verbale Verletzungen sind von außen nicht zu sehen.

Das perfide: die psychologische Kleinkriegsführung unserer Zeit lässt sich auch prima umkehren. Während vierbeinige Lebewesen eher selten strategisch Freundlichkeit einsetzen, kann der gemeine Mensch auf ein breites Repertoire an Strategien zurückgreifen. Ich übe mich neuerdings in zwischenmenschlicher Planwirtschaft: Freundlichkeit wird planmäßig, in rationierten Dosen gezielt verteilt. So gerne ich manchmal auch ein hirnloses Vieh wäre, das seinem Gegner einfach an die Kehle springen darf (Blut! Gemetzel! Bombenhagel!), so froh bin ich doch, dass ich als angebliches Spitzenmitglied der Evolution über mehr als Zähne und Klauen verfüge.

Doch es braucht eine gewisse Gelassenheit, den Kampfplatz ruhig und strategisch-kalkulierend zu überschauen. Menschliche Emotionen stehen da des Öfteren wie ein sperriges Erbstück im Weg rum. Sind wir zu wütend, zu betroffen, zu verliebt, zu glücklich, zu was auch immer, sind wir schlichtweg oft zu doof zum Denken. Dann kommt das Tier in uns durch, wir verlagern uns auf archaische Verhaltensstrategien und verlieren den Überblick. Und dann kommt es darauf an – Beißhemmung oder nicht? Mit dem Kopf durch die Wand? Stiefel ans Schienbein? Das verbale Schwert gezückt? Oder doch noch ein Rest Selbstbeherrschung und die Erkenntnis, dass der Mensch auch nur ein soziales Tier ist? Dass diejenigen, die uns ihren Rang demonstrieren wollen eigentlich genau in demselben Moment ihr Gesicht verloren haben – denn zum Rangkampf fordert uns nur auf, wer um seine Stellung besorgt ist. Mal ab von den ganz besonders Doofen unter den Zweibeinern, bei denen mackermäßiges Rumgeprolle zur Standard-Software gehört – und die kriegen ihr Fett bei mir regelmässig ab, Evolution hin oder her.

Die geneigte Leser*innenschaft könnte nun zu dem Trugschluss gelangen, ich wäre so ein verkopftes, bürgerlich- wohlerzogenes Philantrop*innenwesen.

Leider daneben.

Gestatten – ich bin das Motzbrocken.

Ich kann noch so viele mehr oder minder intelligente Überlegungen anstellen, am Ende bin ich ein Tier. Vielleicht ein soziales, aber Tier bleibt Tier.

Und es vergeht kein Tag, an dem mein Blutdruck nicht in Höhen schnellt, von denen meinem Hausarzt beim Zusehen übel wird. Wohin ich sehe, es gibt so herrlich viele Aufreger – und nach einer kurzen ehrlichen Analyse meiner Biographie bleibt nur die Erkenntnis, dass mir die Beißhemmung gehörig abgeht.

„Ja Grüß Gott, hier der Uli. Du, ich kann grad leider deine Rechnung nicht zahlen, mein Steuerberater fährt grad mein ganzes Bargeld in einem schwarzen Köfferle spazieren.“

Wenn ich mir ansehe, was für ein medialer Hype um einen in jeder Beziehung schwergewichtigen schwäbischen Prominenzbayer getrieben wird, haut es bei mir alle Sicherungen raus. Kann es wirklich sein, dass einer, der in einem Jahr mehr Steuern hinterzogen hat als ich in drei Leben verdienen kann, einen Brennpunkt in der ARD bekommen hat? Üblicherweise gibt’s Brennpunkte zu Naturkatastrophen oder Kriegen.

Ich kann in meinem ganzen Leben noch nicht mal 27 Millionen Gummibärchen essen – geschweige denn Euronen verdienen. Ich sollte es aber vielleicht jetzt sofort versuchen – also das essen – dann hätte ich nämlich wenigstens so viel gefressen wie ich darüber kotzen möchte, dass Dorfgrundschulen wegen Geldmangel geschlossen werden, während gleichzeitig ein paar überbezahlte Promifußballer die Verdienste dieses Halunken loben, der am Rückbau sozialer Infrastruktur mit Schuld trägt. Da hilft auch das dekorative soziale Engagement nix. Bei mir kam der noch nicht vorbei und hat freundlich gefragt, ob ich vielleicht mal ein Milliönchen brauchen kann. Bräuchte ich übrigens dringend – meine Realität unterscheidet sich von der eines Multimillionärs nämlich nur geringfügig.

„Schon mal einen Hund gesehen, der eine 1/9 Demutsgeste macht? Ich nicht. Und wenn: ich würde ihm zu 8/9 an die Kehle gehen.“

Klar, wenn der zwei dicke Rechnungen in einem Monat kriegt ruft er wahrscheinlich auch erst mal bei der Handwerkerfirma an und bittet um Zahlungsaufschub. „Ja Grüß Gott, hier der Uli. Du, ich kann grad leider deine Rechnung nicht zahlen, mein Steuerberater fährt grad mein ganzes Bargeld in einem schwarzen Köfferle spazieren.“

Bei mir klingt das so: „Moin, hier ist das Motzbrocken. Tut mir echt Leid, dass ich jetzt wegen 50 Euro zu viel Verdienst aus dem Wohngeldbezug geflogen bin und deshalb auch noch der Kindergartenbeitrag gestiegen ist, ich noch GEZ nachzahlen darf und auch keinen Anspruch auf Bildung und Teilhabe für meine Brut habe. Ja, echt blöd, dass Vater Staat auch noch Netto aus meinem Brutto macht. Sie haben echt gute Arbeit gemacht, aber ich kann sie leider nur in Raten à 20 Euro bezahlen. Dauert auch nur ein halbes Jahr, bis Sie Ihr Geld haben.“

Der soll mir nur kommen, „der Uli“. Den würde ich liebend gerne zu einem Freundschaftsspiel einladen. Mit Stahlkappen und Betonfüllung im Fussball. Und nein, ich stehe nicht im Tor. Und komm mir jetzt bloß keiner von den Philantrop*innen unter Euch, so eine Selbstanzeige könne mensch ja auch als Demutsgebärde verstehen. Schon mal einen Hund gesehen, der eine 1/9 Demutsgeste macht? Ich nicht. Und wenn: ich würde ihm zu 8/9 an die Kehle gehen.

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