Interview mit Demo-Bündnis "Etwas besser ist nicht gut"

Gegen das kapitalistische Korsett
von am 26. April 2014 veröffentlicht in Gespräche, Soziale Bewegungen, Titelstory

"Capitalism is the Crisis": Göttinger Solidemo nach Polizeikessel bei Blockupy 2013

Am 1. Mai werden traditionell Verbesserungen in der Lohnarbeit gefordert, das ist nichts Neues. Alles was außerhalb der Lohnarbeit geschieht, in der sogenannten Reproduktionsarbeit, fällt häufig untern Tisch, meint ein linkes Bündnis aus Göttingen. Mit den üblichen Forderungen am 1. Mai gibt sich das Bündnis nicht zufrieden. Unter dem Slogan „Etwas besser ist nicht gut“ wird für den 30. April zur Demonstration gegen herrschende Geschlechterverhältnisse und Kapitalismus aufgerufen.

Wir haben mit den an der Demo beteiligten Gruppen Redical M,  „Offene Linke – Alles für Alle“ (OLAfA), sub*way und f*act über Reproduktion, feministische Gesellschaftskritik und eine gerechte Verteilung von Arbeit gesprochen.

MOG: Ihr seid gleich mehrere linke Gruppen, die zur Demo am 30. April aufrufen. Wer hatte denn die Idee und wie kam es zu der Zusammenarbeit?

Redical M: Wir haben uns im Rahmen unserer letzten Kampagne „Diagnose Kapitalismus“ eingängig mit Gesundheit und Carearbeiten beschäftigt und haben uns darüber wieder mit Feminismus beziehungsweise materialistischen Feminismus auseinandergesetzt und diskutiert. Ein weiterer Impuls waren die Caredebatten und Aktionsformen von Blockupy und die Diskussionen zu Feminismus innerhalb von „…ums Ganze“. Daher war es für uns nur konsequent, den Fokus auf materialistischen Feminismus zu setzen. Wir sind mit unserer Idee für diese Demonstration an verschiedene linke Gruppen herangetreten und haben gemeinsam ein Konzept und einen Fahrplan erstellt.

sub*way: Wir haben uns erst relativ spät dafür entscheiden, uns in den gemeinsamen Prozess einzubringen. Wir fanden die Idee, sich am 30.4. mit der „Krise der sozialen Reproduktion“ auseinanderzusetzen gut, wollten aber erst noch schauen, wohin das Ganze inhaltlich geht. Wir haben uns schließlich dafür entschieden, uns einzubringen, weil wir eine Lücke innerhalb der radikalen Linken festgestellt haben, was den Zusammenhang von Produktion, Reproduktion und Ideologie betrifft – daher auch der starke Fokus auf aktuelle homophobe und antifeministische Bewegungen. Für uns war aber auch ausschlaggebend, dass wir uns zweierlei von dem gemeinsamen Prozess erhofften: Einmal, dass wir eine linksradikale feministische Zusammenarbeit in Göttingen wichtig finden und andererseits natürlich, um unserer feministischen Gesellschaftskritik einen Ausdruck zu verschaffen.

OLAfA: Wir sehen die benannte theoretische Lücke auch. Weniger aber, weil dazu noch nie was gemacht worden wäre, sondern vielmehr weil die verschiedenen Ansätze und Aspekte getrennt nebeneinander stehen. Historisch hat die zweite Frauenbewegung schon auf die Problematiken innerhalb der wertförmigen als auch der privaten Reproduktion hingewiesen. Niedergeschlagen hat sich das in einer breiteren linksradikalen Beschäftigung aber kaum. Wir sehen die Arbeit der Gruppen als eine Möglichkeit diese Trennungen zu überwinden und so feministische und materialistische Gesellschaftskritik zusammen zu denken.

Wie steht es denn aktuell um die feministische Gesellschaftskritik?

sub*way: Wie es ganz allgemein um die feministische Gesellschaftskritik steht, ist natürlich schwer zu sagen. Wir haben den Eindruck, dass es in letzter Zeit wieder vermehrt zu Auseinandersetzungen darum kommt, wie eigentlich materialistische und feministische Kritik zusammen gedacht werden können. Anknüpfungspunkte waren da in letzter Zeit das e*camp oder auch jetzt die Veranstaltungsreihe zu (Queer-) feministischer Ökonomiekritik hier in Göttingen, wo beispielsweise auch Roswitha Scholz einen Vortrag hält. Gleichzeitig fällt uns aber auf, dass unter Feminismus immer auch Unterschiedliches verstanden wird und auch innerhalb der radikalen Linken das Thema Feminismus oft hinten runter fällt bei der Kritik. Wir sind der Meinung, dass Gesellschaftskritik immer auch aus einer feministischen Perspektive formuliert werden muss. Und wenn es dann um die Frage nach feministischer Gesellschaftskritik und Ideologiekritik geht, fällt auf, dass Veröffentlichungen und Interventionen eher selten sind.

Redical M: Feministische Gesellschaftskritik als solche hat gerade eine Renaissance, aber die gesellschaftlichen Verhältnisse führen vor allem auch weltweit, zu der Notwendigkeit feministische und insofern auch ideologiekritische Kämpfe zu führen. Denn der ganze Carebereich und seine „Ökonomisierung“ bzw. besser Kommodifizierung macht ein weiteres Krisenmoment kapitalistischer Vergesellschaftung sichtbar. Einige Theoretiker*innen sprechen sogar von einer Reproduktionskrise, die Weltweit durchschlägt.

f*act: Insgesamt haben wir den Eindruck, dass Reproduktionsarbeit innerhalb einer linksradikalen Kapitalismuskritik selten thematisiert wird. Am Vorabend des 1. Mai mit einer feministischen Demonstration auf diese Leerstelle zu verweisen halten wir daher für einen politisch richtigen und wichtigen Ansatz.

Hat das denn mit der Vernetzung und Zusammenarbeit der Gruppen geklappt? Immerhin gibt es ja zwei Aufrufe und zwei Mobilisierungen zur Demo. Wie kommt das?

sub*way: Das ist eine gute Frage. Dass es mehrere Aufrufe gibt, war auf jeden Fall auch eine der Intentionen dieser Demonstration. Gewissermaßen drückt sich darin auch ein Pluralismus unterschiedlicher Ansätze aus. Wir hätten uns jedoch einen stärkeren, gemeinsamen, inhaltlichen Austausch gewünscht. Auch hinsichtlich des Umgangs miteinander, hätten wir uns gewünscht, dass rücksichtsvoller und emphatischer aufeinander eingegangen wird. Das wird für uns auf jeden Fall im weiteren Verlauf der Zusammenarbeit noch ein relevanter Aspekt sein.

Redical M:
Ja, es klappt soweit ganz gut, aber wir müssen uns auch nichts vormachen, es gibt Gründe warum die Gruppen unterschiedliche Aspekte in den Vordergrund stellen und insofern auch unterschiedliche „Politikstile“ vorherrschen. Trotz dieser verschiedenen „Stile“ halten wir die bisherige Zusammenarbeit für produktiv und freuen uns auf den praktischen Ausdruck.

Könnt ihr das nochmal etwas konkreter machen? Was waren denn die Punkte, die für sub*way, OLAfA und f*act wichtig waren? Und was ist bei der Redical M, der Basisgruppe Sowi und der Antifaschistischen Gruppe Braunschweig der wichtigste Ansatz?

f*act: Wichtig war uns unter anderem auf unterschiedliche Betroffenheiten einzugehen. Zwar bewegen wir uns alle innerhalb des kapitalistischen Systems, Reproduktionsarbeit wird allerdings nach wie vor zu großen Teilen von Frauen* verrichtet. Das gilt für bezahlte wie unbezahlte Reproduktionsaufgaben. Und von diesem Geschlechterverhältnis sind wir auch innerhalb der radikalen Linken geprägt.

OLAfA: Neben diesen unterschiedlichen Ebenen von Betroffenheit war uns aus ideologiekritischer Sicht wichtig auch auf die Wirkmächtigkeit von Homophobie und Antifeminismus einzugehen beziehungsweise hinzuweisen. Dies sind auch Ebenen, die eine transnationale oder sogar globale Perspektive eröffnen.

sub*way: Für uns spielen da auch verschiedene Anlässe eine Rolle für die linksradikale feministische Positionierung: Seien das die gewalttätige Verhinderung der Belgrade Pride Parade durch (Klerikal) FaschistInnen und NationalistInnen im Jahr 2010 oder die Massendemonstrationen in Frankreich gegen das Recht von Schwulen und Lesben heiraten zu dürfen oder aber die aktuelle Bewegung in Baden-Württemberg gegen die „sexuelle Vielfalt“ im Lehrplan und die antifeministische Regierungspolitik in Spanien. Uns geht es also nicht nur um die Verhältnisse, in denen die Menschen ihr Dasein fristen müssen, sondern auch darum, was an psychologischer Verarbeitung von Leid, Vereinzelung und Entfremdung stattfindet und wie sich darin auch menschenverachtende Ideologien bahnbrechen.

Redical M: Also, uns war es wichtig einen kurzen knackigen Aufruf zu schreiben, der einige und damit automatisch unterkomplexe erfahrbare und an der gesellschaftlichen Realität orientierte Verhältnisse thematisiert. Das betrifft die Logik der Reproduktion und Produktion im warenförmigen Patriarchat. Und wir wollten wieder einmal verdeutlichen, dass der bürgerliche Staat niemals Adressat emanzipatorischer Prozesse sein kann. Auf eine ausführliche Positionierung zum Thema materialistischer Feminismus könnt ihr* euch im Rahmen der neuen und gerade im Druck befindlichen Redical Times freuen.

Das sind ja sehr verschiedene Kritikpunkte, wo ist denn der gemeinsame Nenner? Besteht nicht die Gefahr, dass die Demo inhaltlich überfrachtet wird und am Schluss keine deutliche Message auf der Straße rüberkommt?

Redical M: Wir denken nicht, dass die Demo inhaltlich überfrachtet ist, sondern gerade durch Pluralität der Themen an Ausdruck gewinnt und eventuell nicht nur radikale Linke anspricht. Außerdem haben wir uns etwas bei der Form der Demonstration neu inspirieren lassen.

f*act: Es stimmt schon, dass hier mehrere Themen zusammenkommen, allerdings lassen die sich inhaltlich teils schwer voneinander trennen. Wir hoffen unser Anliegen trotz der thematisch breiten Ausrichtung verständlich machen zu können.

Gehen wir mal von der Theorie in die Praxis über: Mit was für Aktionsformen wollt ihr am 30. April auf den Zusammenhang zwischen Reproduktion, Kapitalismus und feministischer Kritik konkret aufmerksam machen?

OLAfA: Wir haben uns ein gemeinsames Layout der Front-, Seiten- und Hochtransparente überlegt, das in kurzen Sprüchen verschiedene Aspekte der Reproduktion benennt, ebenso Schilder. Es ist schon diese Textebene mit der wir sozusagen eine „Praxis“ unserer Kritik erreichen wollen. Wir selbst werden in unserem Redebeitrag auf den Aspekt der Zeit und keine Zeit zu für sich und andere zu haben, eingehen.

sub*way: Für uns stand die Demonstration, bei der Frage ob wir uns beteiligen oder nicht, gar nicht so sehr im Vordergrund. Vielmehr fanden wir es interessant, eine feministische Vernetzung und Zusammenarbeit zu entwickeln. Vor allem hätten wir Interesse daran, dass die Zusammenarbeit auch über diese Demonstration hinausgeht und wir in Göttingen die, von der OLAfA benannte, Trennung verschiedener Teilbereiche ein wenig auflösen – in der Hinsicht gibt es da noch viel zu tun und die Differenzen unterschiedlicher Ansätze bleiben natürlich irgendwie auch bestehen.

f*act: Eine weiterführende Auseinandersetzung darüber würden wir uns ebenfalls wünschen. Feministische Gesellschaftskritik sollte nicht nur bei einzelnen Anlässen sondern in allen Bereichen linksradikaler Politik mitgedacht werden.

Redical M: Die Demonstration soll von ihrer Form her vermittelnd sein. Also ansprechend, deutliche Statements und klare Vermittlung der Inhalte nach außen. Gleichzeitig wollen wir aber eine geschlossene und kraftvolle Demo. Des Weiteren gibt es regional sehr viele Aspekte der Reproduktions- und Carearbeiten, die auch im öffentlichen Bewusstsein ankommen. In Göttingen sind das vor allem die Arbeitsbedingungen und die Versorgungssituation in Krankenhäusern wie zum Beispiel dem Fachklinikum Asklepios, das in letzter Zeit immer öfter Gegenstand massiver Kritik war. Nicht zuletzt, nachdem dort eine Abschiebung aus einer geschlossenen Station erfolgte.

Im Demoaufruf von Redical M, Antifaschistische Gruppe Braunschweig und der Basisgruppe Sowi wird grundsätzlich eine gerechtere Verteilung von Arbeit gefordert. Alle sollen sich entsprechend ihrer Fähigkeiten und Bedürfnisse entfalten können und sich nicht mehr in ihrer „Freizeit“ für den Beruf und die Notwendigkeiten des Alltags „reproduzieren“ müssen. Was würdet ihr denn jetzt machen, wenn die Bundesregierung Teilzeit für alle einführt? Ist das nur etwas besser, oder schon gut?

OLAfA: Das wäre etwas besser aber noch lange nicht gut oder gar gut genug. Selbstverständlich haben sich einige Verbesserung ergeben, nicht zuletzt auch durch die Entwicklungen innerhalb des Kapitalismus. Das ändert aber wenig an unserer Kritik. Letztlich können, dass haben die Krisenentwicklungen der letzten Jahre gezeigt, diese Verbesserungen auch mir nichts dir nichts wieder zurückgenommen werden. Nichtsdestotrotz haben wir Verständnis dafür, wenn sich beispielsweise gewerkschaftliche Forderungen mehr Sozialstaat wünschen. Unserer Ansicht nach lindert dies aber nur Leid und schafft seine Ursachen nicht ab. Diese Ursachen sehen wir in der patriarchalen und kapitalistischen Vergesellschaftung und darauf zielt unsere Kritik. Ziel ist es, diese kritischen Einsichten zu vermitteln. Teilzeit für alle wäre nett, denn ohne Hoffnung auf Veränderbarkeit lässt sich ja schwer leben.

Redical M: Zum einen werden wir die letzten sein, die der Lohnarbeit etwas abgewinnen können. Sie ist ein verdammter Fluch kapitalistischer Sachzwänge, die sich die Menschen selbst auferlegen. Zum anderen kann es auch nicht darum gehen, die gedankliche Trennung von Produktion und Reproduktion am Leben zu halten. Es geht darum, die gesellschaftliche Vermittlung der Aufgaben anders zu organisieren. Und das betrifft auch die Frage der „Kinderaufzucht“, des Kochens, Sorge und Pflegetätigkeiten und so weiter.

Arbeitsdruck, Stress, keine Zeit haben – das zieht sich ja durch alle Gesellschaftsschichten und nimmt immer weiter zu. Glaubt ihr, mit eurem Protest auf offene Ohren in der Mehrheitsgesellschaft zu stoßen oder geht die Mehrheit lieber am 1. Mai auf die Gewerkschaftskundgebung um mehr Netto vom Brutto zu fordern?

Redical M: Wir haben ein sehr gespaltenes Verhältnis zum 1.Mai. Lohnkämpfe sind richtig und wichtig, aber lange nicht genug.

sub*way: Einige von uns werden auch am 1. Mai auf die Straße gehen um mehr Netto vom Brutto zu fordern – das ist ja was gutes und wichtiges. Ob das irgendjemanden bewegen wird, was wir tun, ist fraglich. Aber wir denken, dass an unserer Kritik was dran ist und hoffen, dass es andere Leute auch so sehen.

Wir danken euch für das Interview!

Interview: Hank Scorpio & Coska

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2 Kommentare auf "Gegen das kapitalistische Korsett"

  1. retmarut sagt:

    Bin ich der einzige, der sich fragt, wie mensch ein Interview zu Kapitalismus, Feminismus und 1. Mai führen kann, ohne auch nur einmal das Wort Klasse oder Klassenauseinandersetzung in den Mund zu nehmen?

    „Diese Ursachen sehen wir in der patriarchalen und kapitalistischen Vergesellschaftung und darauf zielt unsere Kritik. Ziel ist es, diese kritischen Einsichten zu vermitteln.“ (Olafa) – Derartige Kritik und Einsicht ist ja formschön und gut, aber solange sie nicht benennen kann, WIE, durch WEN und mit WELCHEN MITTELN Kritik zur materiellen Gewalt wird, die die bestehenden Klassenverhältisse umstürzen und die Ausbeutungsverhältnisse aufheben kann, ist das alles ziemlich zahnlose Phraserei.
    Der gute Marx schrieb schon 1844: „Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen, die materielle Gewalt muß gestürzt werden durch materielle Gewalt, allein auch die Theorie wird zur materiellen Gewalt, sobald sie die Massen ergreift.“

    In den Folgejahren hat er zusammen mit seinem Kumpel Engels eine wissenschaftliche Herangehensweise an die gesellschaftlichen Bewegungsgesetze herausgearbeitet, die auch heute nichts an Aktualität und Radikalität (im ursprünglichen Sinne des Wortes) eingebüßt hat.
    Weder im Interview noch in den beiden Göttinger Aufrufen spiegelt sich davon irgendwas wieder. Der Begriff Klasse kommt in beiden Aufrufen übrigens jeweils genau einmal vor.

    Daher mal konkret gefragt: Wer (welche Personengruppe, Klasse, Bewegung, what ever) soll denn nach Meinung der aufrufenden Gruppen „ein ganz anderes Anderes“ (sub*way et al.) bzw. den Kommunismus (redical M et al.) erkämpfen? In den Aufrufen findet sich dazu nichts Konkretes, dabei wäre das doch wichtig, um a) eine Strategie zu entwickeln und b) den Adressaten des Aufrufs näher zu bestimmen.

    Marx und die Arbeiterbewegung (ja auch die, die 1886 in Chicago von der Bourgeoisie niedergeknüppelt und deren Wortführen 1887 hingerichtet wurden – soviel zu „ein sehr gespaltenes Verhältnis zum 1.Mai“ der redical M) hatten bekanntlich eine klare Position dazu und konnten ganz genau angeben, WER das revolutionäre Subjekt ist und WARUM dieses als einziges die Hebel in der Hand hat, die bürgerliche Ausbeutergesellschaft revolutionär zu stürzen – und damit den Beginn des Endes der Klassengesellschaft einzuläuten. Dieses Wissen scheint aber den stark studentisch geprägten Zirkeln der hiesigen radikalen Linken weitgehend verlorengegangen zu sein.

    Trotzdem viel Erfolg für die Demo! – Und vielleicht finden die einen oder anderen aus dem Aufruferkreis tags drauf doch noch zur 1.-Mai-Demo, um dort gegen Sozialpartnerschaft und Standortlogik und für Klassensolidarität und proletarischen Internationalismus auf die Straße zu gehen.

    • anonymous sagt:

      Lieber retmarut,

      ich habe den Eindruck, dass du Quantität mit Qualität verwechselst. Ich denke, dass dein Hinweis darauf, dass der Begriff ‚Klasse‘ nur einmal in den Aufrufen vorkommen würde deswegen ins leere läuft. Ich beziehe mich jetzt erst mal auf den Aufruf der Gruppen f*act, OLAfA und sub*way – ich denke es macht Sinn, beide Aufrufe auch als jeweils eigenständige zu lesen.

      „Viele Frauen können diese Doppelbelastung von Lohn- und Reproduktionsarbeit nicht bewältigen: Die Verwilderung des Patriarchats treibt ihre Blüten. Darüber hinaus sind es zumeist Frauen, die schlechtbezahlt in der Pflege, in der Kita und in der Reinigung arbeiten und dort unter prekarisierten Arbeitsverhältnissen leiden.“ Was soll das denn anderes sein, als die Beschreibung der Klassenverhältnisse, die den Blick auf das Patriarchat enthält?

      „Aufgrund dieser Verschuldung zieht sich der Staat zunehmend aus der Versorgung, Pflege und Betreuung, den Kitas, den Krankenhäusern, den Pflegeinstitutionen, also der warenförmigen Reproduktionsarbeit, zurück und überließ all dies Unternehmen, auf der verzweifelten Suche nach neuen profitablen Investitionen. Da es sich in diesem Bereich jedoch um wenig profitable Geschäfte handelt, pressen die Kapitale seitdem den dort Beschäftigten jedes bisschen Mehrwert ab.“ Auch dieses Zitat verweist unmittelbar auf das kapitalistische Klassenverhältnis.

      „Und so wünscht sich der bürgerlich-konservative Geist die „guten alten Zeiten“ zurück. Doch diese rückwärtsgewandte Schwärmerei ist nichts als Illusion, denn die Kleinfamilie ist als Ideal eben immer auch ein bürgerliches Ideal gewesen, das erst nach und nach alle umfasste: Durch Senkung der Löhne für Frauen und Schaffung des „Ernährergehaltes“ für den Mann setzte sich dieses Modell im 20. Jahrhundert auch in ArbeiterInnenfamilien durch und wurde individuell und gesellschaftlich als soziale Errungenschaft gefeiert. Für proletarische Frauen war die Doppelbelastung, sich gleichzeitig um Kind und Fabrikarbeit kümmern zu müssen, in der Industrialisierung bereits bittere Realität – nicht erst seit 1977, als die „Hausfrauenehe“ abgeschafft wurde.“ Und auch hier findet eine Bezugnahme auf das Klassenverhältnis statt: Einerseits wird die Kleinfamilie als bürgerliche Ideologie beschrieben, die andererseits vollkommen an der Lebensrealität von proletarischen Frauen vorbei geht.

      „Von Frauen, die entweder – immer knapp am Limit – Lohnarbeit nachgehen und die Reproduktionsarbeit erledigen. Oder denen, die diese Aufgaben als Dienstleistung übernehmen, weil andere Frauen finanziell in der Lage sind, die Reproduktionsarbeit zu Lasten von meist Deklassierten und Migrantinnen auszulagern (wie übrigens auch bürgerliche Frauen im 19. Jahrhundert schon). Während die Bio-Eier kaufende Beamtin also dem Bild des aktuellen Gender-Mainstreaming-Programms entsprechen kann, gibt es für prekarisierte Migrantinnen, mit Homophobie kämpfenden Lesben, für Frauen, die aufgrund ihrer Klassenzugehörigkeit niemals auch nur in die Nähe eines Aufsichtsrates kommen werden, überhaupt keine Optionen.“ Und auch hier – das ist wohl die Stelle die du meintest, als du sagtest, dass der Klassenbegriff nur einmal vorkommt. Dieses Zitat ist ja gewissermaßen die Zusammenfassung dessen, was oben an patriarchaler und kapitalistischer Vergesellschaftung beschrieben wurde. Wenn du also den Aufruf nochmal im Hinblick darauf liest, dass sich die Kategorie Klasse fast durch den ganzen Aufruf hindurch zieht und erst zum Schluss explizit benannt wird, müsstest du deine quantifizierende Aussage korrigieren. Das bedeutet aber erst mal nur, dass das Klassenverhältnis als eines von verschiedenen Herrschaftsverhältnissen analysiert wird – es wird darauf verwiesen, dass es einen inneren gesellschaftlichen Zusammenhang von „Kapitalismus und dessen patriarchalem Prinzip“ gibt. Insofern kann es sicherlich enttäuschend sein, dass die Klasse nicht (mehr) ihre prunkvolle Rolle als revolutionäres Subjekt erfüllt – richtiger wird die Überbetonung der Klasse dadurch allerdings nicht.

      Zu deiner konkreten Frage, wer denn da den Kommunismus erkämpfen soll: ich denke, dass aufgrund dessen, wie ich den Aufruf interpretiere, es keine klar abgrenzbare „Gruppe , Klasse, Bewegung, what ever“ gibt, die das erkämpfen soll sondern, dass es eine Aufgabe der gesamten Menschheit ist, dies zu bewerkstelligen. Es wäre natürlich naiv zu glauben, dass zu irgend einem Zeitpunkt alle Menschen das „ganz andere Andere“ wollen und dass diejenigen, die ideologisch am Kapitalismus hängen, das einfach so zulassen würden. Insofern wäre es eine Aufgabe der Linken, sich für die Verbreitung ihrer Kritik einzusetzen.

      Aber a) gibt es keinen kausalen Zusammenhang zwischen materieller Lage und dem Wunsch nach einer kommunistischen Gesellschaft – das ist ein Kurzschluss den der Queerfeminismus mit dem orthodoxen Marxismus teilt und b) ziehen sich Homophobie, Antisemitismus, Antifeminismus und Rassismus quer durch die Klassen hindurch. Es gibt nichts schön zu reden oder zu banalisieren, wenn das Rich-Kid gemeinsam mit dem Arbeitslosen, dem Handwerker und dem Kleinunternehmer in Serbien Schwule und Lesben klatschen geht. Das hat nicht so sehr was mit Klasse, sondern vielmehr mit Männlichkeit zu tun und darauf verweist auch der Aufruf. Ebensowenig ist es zu ignorieren, dass sich die English Defence League weitestgehend aus der weißen englischen Arbeiterklasse und dem Kleinbürgertum rekrutiert (was im übrigen gleichermaßen auf die PVV in den Niederlanden und da vor allem auf die alte Industriestadt Rotterdam zutrifft). Das ist kein Resultat einer besonders perfiden herrschenden Klasse die es versteht, den Nationalismus irgendwie in die Köpfe der Leute zu bringen. Das ist vielmehr Ausdruck der gesellschaftlichen Ohnmachtserfahrung und der Art und Weise wie kapitalistische Subjekte psychologisch mit den Widersprüchen und dem Elend der hiesigen Gesellschaft umgehen – darauf wird auch im Interview verwiesen.

      Wer soll es nun also richten? Naja, diejenigen die zu der Einsicht gelangen, dass Menschen in dieser Gesellschaft aufgrund der Verhältnisse leiden und dass wir sie ändern können. Dazu sind ja grundsätzlich alle in der Lage. Wie gelangen sie zu dieser Einsicht? Komplexe Angelegenheit und bislang sind alle „einfachen“ Erklärungsansätze praktisch gescheitert… Dass Elend und Aufbegehren zusammen hängen ist klar. Unklar ist aber, was das für den Inhalt der Kritik an den Verhältnissen bedeutet.

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