Lokale Abschiebepraxis

Interventionen in das Asylrecht?
von am 2. April 2014 veröffentlicht in Migration, Titelstory

"Herzlich willkommen" gilt nicht für alle (Foto: MoG)

Eine Woche nach der Abschiebung Motasem N.s aus dem Asklepios Fachklinikum für Psychiatrie gab es am Donnerstag eine Demonstration in Northeim. Über 60 Menschen zogen vor die Ausländerbehörde des Landkreises und kritisierten die unmenschliche Abschiebepraxis. Die Ausländerbehörde sieht sich jedoch nicht verantwortlich – im Fall von Motasem N. sei sie gar nicht zuständig gewesen.

Nachdem die Ausländerbehörde Northeim die Abschiebung eines schwer kranken und suizidgefährdeten syrischen Flüchtlings für das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge organisierte (MoG berichtete) ist die Wut der versammelten Antirassist_innen groß. In ihren Augen hat der Landkreis Northeim das Leben eines Menschen aufs Spiel gesetzt. „Die Beamten der Ausländerbehörde sperrten Motasem gegen seinen Willen gewaltsam ein und brachten ihn nach Polen. Sie sorgten lediglich für eine Medikamententasche, stellten jedoch nicht sicher, dass er auch seine lebenswichtigen Bluttransfusionen erhält!“, sagte ein Vertreter des AK Asyl während der Demonstration. Vom Auftaktort am Bahnhof ging es direkt vor das Kreishaus. Hier hielten die Aktivist_innen eine Zwischenkundgebung ab. Detailliert wurde über die Abschiebung Motasem N.s berichtet, zugleich aber darauf hingewiesen, dass es sich um keinen Einzelfall handle. Konkret wurde auch der Landkreis auf die eigene Verantwortung und Handlungsspielräume hingewiesen und eindringlich dazu aufgerufen, diese auch zu nutzen. Die Praxis der Ausländerbehörden im Land Niedersachsen scheinen über diese Kritik jedoch erhaben. Wie ist die Auseinandersetzung um Zuständigkeiten und Verantwortung bei Dublin Fällen zu bewerten?

Abschiebung als bürokratisches Reglement 

Die Verordnung EG Nr. 343/2003 – kurz Dublin Verordnung genannt – regelt die Zuständigkeit für Asylanträge innerhalb der Europäischen Union. Das Verfahren sorgt dafür, dass jener Staat für die Bearbeitung des Asylantrages zuständig ist, der durch den_die Asylsuchende_n als erstes betreten wurde. Zudem kann auch kein Asylantrag innerhalb der EU gestellt werden, wenn jemand aus einem sicheren Drittstaat einreist. Alle Mitgliedsländer der EU sind per se sichere Staaten, in denen es keine Verfolgung und auch keine Bedrohung für Asylsuchende gibt. Auch der überwiegende Teil der Anrainerstaaten der EU sind als sichere Drittstaaten definiert. Faktisch ist also nur noch bei einer Einreise über die Luft die Möglichkeit eines Asylantrages in der BRD gegeben. In der Realität reisen jedoch Menschen auf allen Wegen in die BRD ein und stellen hier einen Antrag auf einen Aufenthaltstitel.

Misstrauen statt Unstützung

Die staatliche Antwort ist ein Versuch der Überregulation. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) verwendet deshalb einen Großteil der zeitlichen Ressourcen darauf, die konkrete Migrationsroute und damit mögliche Ersteinreisen in anderen EU Staaten nachzuweisen. Eine fast polizeiliche Arbeit, bei dem das BAMF die Betroffenen immer wieder langen Interviews unterzieht und sie auf die kleinsten Anzeichen einer eventuellen vorherigen Einreise hin untersucht. Den Geflüchteten wird ein generelles Misstrauen entgegengebracht und nach Anzeichen fehlender Plausibilität der eigenen Fluchtgeschichte gesucht.

Ermittlungen von Abschiebegründen

Die Abschiebung Motasem N.s steht dafür exemplarisch: Da eine Flucht aus Syrien angegeben wurde, jedoch ein Flüchtlingscamp in Jordanien als Geburtstort festgestellt wurde, galt der Zweifel erhärtet. In der Folge wurde auch die Ehe zwischen Motasem N. und seiner Frau durch die Ausländerbehörde Northeim in Frage gestellt. So lange keine Beweise für eine Ehe vorgelegt wurde, konnte auch die Bitte nicht getrennt zu werden, geltend gemacht werden. Damit wurde ein mögliches Abschiebehindernis, das gegenüber des BAMF hätte geltend gemacht werden können, durch die Ausländerbehörde Northeim beseitigt. Die ABH Northeim nicht nur ihrer Verantwortung nicht nachgekommen, sondern hat aktiv die Auslieferung nach Polen unterstützt, indem sie eine Reisefähigkeitsüberprüfung anordnete.

Ungenutzte Handlungsspielräume

Dabei ist trotz einer Zuständigkeit des Bundes das Mitspracherecht des Landes nicht völlig außer Kraft gesetzt. Die Ausländerbehörden haben in jedem Fall vor Ort die Möglichkeit einer Abschiebungen zu widersprechen, zum Beispiel durch den Verweis auf gesundheitliche Probleme. Denn die Ausländerbehörden kennen die individuelle Situation der ihnen zugeteilten Personen viel besser – so zumindest in der Theorie.
Die Landesbehörden fliehen stattdessen in eine vermeintliche Verantwortungslosigkeit, sobald das Bundesamt ins Spiel kommt. Dabei nimmt sich auch die neu eingerichtete Härtefallkommission des Landes Niedersachsen nicht aus. Innenminister Boris Pistorius gab diese als Antwort auf die jahrelange rigide Abschiebepolitik unter Uwe Schünemann aus. Tatsächlich warten alle bis heute auf eine konkrete Einflussnahme der Härtefallkommission für Abschiebefälle. Dublin Fälle werden grundsätzlich abgelehnt und die wenigen Fälle, die bisher besprochen wurden, warten immer noch auf endgültige Unterzeichnung durch den Innenminister.

Verantwortung liegt bei uns allen

Diese Umstände kritisierte auch die Demonstration vor Ort in Northeim. Vom Kreishaus zogen die 70 Demonstrant_innen weiter durch die Altstadt. Denn in ihren Augen ist nicht nur der Landkreis aufgerufen, der eigenen Verantwortung nachzukommen, sondern jede_r einzelne Mitbürger_in. Bei einer Zwischenkundgebung auf dem Marktplatz richteten sich die Demonstrierenden direkt an die Anwohner_innen und riefen zu mehr praktischer Solidarität auf.
Doch wieder zeigte sich, dass nicht nur die Unterstützung Asylsuchender in Northeim ein dringendes Handlungsfeld ist. Die frisch geklebte Propaganda der Freien Nationalisten auf der Demoroute brachte zum Ausdruck, dass Geflüchtete sich in Northeim nicht nur vor der Ausländerbehörde fürchten müssen. Die Demonstration ließ zum Ende deshalb auch verlauten „Heut ist nicht alle Tage, wir kommen wieder keine Frage!“. Konkrete Formen des Widerstands gegen Dublin-Abschiebung müssen jedoch erst geschaffen werden.

Artikel teilen


Themen

, , , ,

Schreibe einen Kommentar

Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar zu schreiben. Anmelden | Registrieren

Bitte lese dazu unsere Regeln und Hinweise zum Kommentieren.