Poetry Slams
„Klatscht bitte jetzt!“
von TagesSatz am 5. Februar 2014 veröffentlicht in Kultur, TagessatzGroßer Andrang beim Poetry Slam in Göttingen. Foto: Jessica Szturmann.
Chaotisch, harmonisch und jugendlich kommt er daher, der Poetry Slam. Er lockt ein äußerst lebendiges Publikum an. 1986 in den USA gegründet, findet man ihn mittlerweile in Europa in fast jeder halbwegs größeren Stadt, auch in Göttingen. Was steckt hinter dem Erfolg? TagesSatz-Redakteurin Zoé Dubois hat es herausgefunden.
Der Saal ist voll, alle Stühle im hinteren Teil des Raumes sind belegt und weiter vorne sitzen Menschen auf dem Boden bis dicht vor den Bühnenrand. Es ist laut, aber während der Anmoderation verstummen die Gespräche und als der erste Poetry Slammer beginnt, ist das Publikum still.
Der nun folgende Auftritt kann lustig sein oder nachdenklich oder poetisch. Poetry Slam lässt sich nicht so einfach in Schubladen stecken – wenn man sagt, es sei lediglich ein Wettstreit der Poeten, liegt man falsch, ebenso, wenn man die Auftritte als Comedy oder Kabarett versteht.
Die Geschichte des Poetry Slam begann 1986 in Chicago, im Green Mill Jazz Club. Dort organisierte der Dichter Marc Kelly Smith einen Wettstreit, bei dem verschiedene Poeten gegeneinander antreten sollten. Der Uptown Poetry Slam war nicht nur so erfolgreich, dass er weiterhin jeden Sonntagabend stattfindet, die Idee verbreitete sich schnell in den USA und bald auch in Europa, so dass keine zehn Jahre später der Poetry Slam in den europäischen Großstädten angekommen war.
Mittlerweile ist die Szene in Deutschland eine der ausgeprägtesten, die deutschsprachigen Meisterschaften gehören zu den größten in Europa und in mehr als 70 Städten finden regelmäßig Slams statt.
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Für Christopher Krauß, einen der Moderatoren des Göttinger Poetry Slams, liegt dies zum einen daran, dass sich in Deutschland schon Anfang der Neunziger eine Poetry-Slam-Gemeinschaft herausbildete und zum anderen daran, dass es innerhalb der Szene einen großen Zusammenhalt gibt.
Er organisiert seit 2006 zusammen mit Felix Römer Poetry Slams in Göttingen, zuerst im Theaterkeller, dann im Theater im OP und schließlich seit 2013 im Jungen Theater. Die Gründe für die Umzüge waren meistens Platzmangel, denn in den letzten Jahren wurden die Slams immer beliebter. Zum allerersten Poetry Slam kamen 130 Leute, mittlerweile sind es regelmäßig um die 290.
Die Subkultur, die Poetry Slams einmal darstellten, ist am Verschwinden. Für Krauß ist diese Entwicklung besonders daran zu erkennen, dass es immer weniger exzentrische, aus der Masse herausstechende Slammer gibt. Auch gebe es mittlerweile in einigen Städten Slams, bei denen die offene Liste nicht mehr existiere. „Das ist schade, denn es widerspricht dem Gedanken von Poetry Slams“, kritisiert Christopher Krauß.
In die offene Liste, in Göttingen ein großes Glas, das an der Kasse des Jungen Theaters steht, kann sich jeder eintragen, der nicht zu den eingeladenen Poeten zählt, aber dennoch auf die Bühne will.
Aber die Entwicklung hat auch positive Seiten. Viele ehemalige Slammer veranstalten Workshops und fördern so die Nachwuchsarbeit. Zwar dauere es eine Weile, bis diejenigen, die eine solche Anleitung durchlaufen hätten, ihren eigenen Stil finden würden, doch die Szene bleibt lebendig, wenn immer neue Poetry Slammer nachrücken.
Bei aller Offenheit, es gibt mehr männliche Poetry Slammer als weibliche. Bei den Einsteigern sind Frauen noch gut vertreten, aber tendenziell hören sie eher wieder mit dem Slammen auf als Männer. Christopher Krauß sieht eine Ursache in vorherrschenden Stereotypen, oft hätten Frauen mehr Selbstzweifel und trauten sich seltener, ihre Texte auch zu präsentieren. Dies zeige sich gerade bei Workshops, zu denen Mädchen häufiger schon Texte mitbrächten, jedoch auch mehr an ihnen zweifelten. Jungen seien schwerer zu motivieren, mit dem Schreiben anzufangen, blieben dann aber auch häufiger dabei, wenn sie Bestätigung bekämen.
„Der Wettkampf ist eigentlich mehr für’s Publikum da.“
Die Idee des Dichterwettstreites ist gar nicht so neu. Schon im Mittelalter gab es derartige Wettkämpfe. Das wirklich andere beim Poetry Slam ist, dass das Publikum in die Vorträge eingebunden wird. Es kann über die Lautstärke des Beifalles über den Sieger entscheiden.
Allerdings nehmen viele Poetry Slammer die Konkurrenz gar nicht als solche wahr. So gehört es zum festen Ritual, vor jedem Poetry Slam gemeinsam im Theater zu essen und hinterher in Krauß‘ Keller zu übernachten: „Der Wettkampf ist eigentlich mehr für’s Publikum da“, sagt er. Den meisten ginge es darum, ihre Texte einem Publikum vorzustellen und Reaktionen zu erhalten.
Die Voraussetzungen dafür, dass man auf die Bühne darf, sind lediglich, dass der Auftritt maximal sieben Minuten dauert, der Beitrag vom Auftretenden selbst verfasst wurde, und dass auf der Bühne keine Hilfsmittel benutzt werden. Das sorgt dafür, dass ein guter Auftritt nicht nur einen guten Text, sondern auch eine interessante Darstellung des Slammers braucht. Zwar gibt es viele, die das nutzen, und regelrechte Performances hinlegen. Aber auch ein gut vorgelesener Beitrag kann das Publikum packen.
Überhaupt, das Publikum, während des Poetry Slams hat es die Macht, über Sieg und Niederlage zu entscheiden. Krauß mag das Göttinger Publikum. „Es kann unglaublich mitgehen, aber sofort wieder ruhig sein, wenn der Text das verlangt.“ Dies sei nicht selbstverständlich, besonders von Meisterschaften kenne er eine gewisse Unruhe.
Die Poetry-Slam-Szene entwickelt sich stetig weiter, es gibt, abgesehen von den Deutschen Poetry Slam Meisterschaften, noch diejenigen der Bundesländer sowie Schulmeisterschaften.
Der etablierte Slammer Wolf Hogekamp arbeitet an der Verbreitung des „Deaf Slam“, einer vor einigen Jahren in New York entstandenen anderen Art des Poetry Slams. „Gebärdenpoesie“, wie Hogekamp sie gegenüber der Zeitung „Die Zeit“ nennt, sei nicht nur etwas für Gehörlose.
In Göttingen gesellt sich ein anderes Format zum Poetry Slam, Soloabende und Konzerte mit lyrischen Einschlägen. Und schon seit einigen Jahren spalten sich andere Slam-Arten ab, darunter auch Philosophy Slam und Science Slam, letzterer findet auch ab und zu im Theater im OP statt.
Allerdings schmückten sich auch Veranstaltungen mit dem Zusatz „Slam“, die eigentlich etwas völlig anderes seien, meint Krauß. „Slam ist zu einer Marke geworden, die genutzt wird, um Aufmerksamkeit zu bekommen.“
Es gibt durchaus auch Leute, die Poetry Slams in ihrer unkonformen Weise nicht als Kultur ansehen. Der Literaturkritiker Harold Bloom bezeichnete die Poetry-Slam-Bewegung als „Tod der Kunst“. Doch ob Großartigkeit oder Gefahr, kaum etwas weckt auf so lebendige Weise Interesse für Sprache und Literatur. Deshalb wird nach der Aufforderung „Klatscht bitte jetzt!“ auch so laut geklatscht. Oder eben nicht.
Der nächste Göttinger Poetry Slam findet am 23. Februar im Jungen Theater statt. Als featured artist ist das Lumpenpack alias Max Kennel und Indiana Jona zu Gast. Vom 16. bis 18. Oktober finden Göttingen die niedersächsisch-bremischen Landesmeisterschaften im Poetry Slam statt. Mehr Infos gibt’s unter poetryslamgoettingen.blogsport.de.