Streik im Einzelhandel

„Hände weg vom Mantel!“
von am 5. Juli 2013 veröffentlicht in Soziale Bewegungen, Titelstory

Morgens 8:15 Uhr: Schon seit zweieinhalb Stunden wird gestreikt.

Die Tarifparteien im Einzelhandel liegen weit auseinander: Streit gibt es vor allem um den Manteltarifvertrag. Die Arbeitgeber haben den Vertrag gekündigt, Ver.di fordert die Wiedereinsetzung und höhere Löhne. Der Streik bei den Netto-Märkten soll dabei eine zentrale Rolle spielen.

Die Gewerkschaft Ver.di hat den Discounter Netto nicht erst seit gestern auf dem Kieker. Es ist also kein Zufall, dass der Streik in Niedersachsen und Bremen im Raum Göttingen bei Netto beginnt.  Netto-Marken-Discount gehört zum Edeka-Konzern. Der Konzern spiele eine ganz entscheidende Rolle im Handelsverband der Arbeitgeber, sagt Monika Neuner, zuständig für den Bereich Handel bei Ver.di in Göttingen. „Die sitzen in vielen Verhandlungskommissionen bundesweit drin und wir möchten eben hier Druck auf die Edeka ausüben“, so Neuner gegenüber dem StadtRadio Göttingen.

Unterschiedliche Prioritäten: Neuer Mantel vs. höhere Löhne

Der Edeka-Konzern solle ein anständiges Angebot vorlegen, denn die Beschäftigten warteten schon seit Monaten auf einen Tarifabschluss, erklärt Neuner. Gefordert werden Lohnerhöhungen von bis zu 6,5 Prozent. Die Arbeitgeber vom Handelsverband Deutschland (HDE) sehen aber an anderer Stelle akuten Handlungsbedarf, beim Manteltarifvertrag (MTV). In dem werden unter anderem Arbeitszeitregelungen, Zuschläge und Urlaubszeiten geregelt. Anfang des Jahres wurde der MTV in allen Bundesländern, außer in Hamburg, von den Arbeitgebern gekündigt.

Einige Regelungen des MTV seien nicht mehr zeitgemäß, so der HDE in einer Mitteilung. So sollten „Arbeitszeitmodelle wie Arbeitszeitkonten, Teamabsprachen bei der Arbeitszeit oder Vertrauensarbeitszeit in den Regelungen“ zugelassen werden, heißt es. Anfang Juni wurde Ver.di ein Neuabschluss des MTV, unabhängig von der laufenden Lohn- und Tarifrunde angeboten. Bedingung der Arbeitgeber waren allerdings Zugeständnisse der Gewerkschaft bei angeblich „notwendigen Veränderungen im Bereich der Arbeitszeitflexibilisierung und den Zuschlagsregelungen.“ Andere Regelungen des Manteltarifvertrags würden laut HDE nicht in Frage gestellt.

Vorbedingungen in den Verhandlungen lehnt Ver.di ab, Monika Neuner hält das für Erpressung. Viele der Arbeitgeberforderungen hätten nichts mit dem Manteltarifvertrag zu tun, sagt Neuner, deshalb solle der MTV wieder eingesetzt werden. „Was die Arbeitgeber fordern, greift so tief in die Taschen der Beschäftigten, dass eine Lohnerhöhung gar kein Ausgleich mehr ist,“ so Neuner gegenüber dem StadtRadio. Aus Gewerkschaftssicht wurde der MTV von den Arbeitgebern nur gekündigt, um drastischen Tarifmaßnahmen auf Kosten der Beschäftigten Tür und Tor zu öffnen.

Die Arbeitgeber schlagen vor, neue Lohngruppen für Verräum- und Abpacktätigkeiten sowie niedrigere Lohngruppen für KassiererInnen einzuführen, als auch Spät- und Nachtzuschläge zu streichen. „Wenn sich die Arbeitgeber mit ihren Vorbedingungen durchsetzen,“ sagt Gloria Holbein aus der Netto-Filiale in der Prinzenstraße, „würde die Spaltung der Belegschaft noch extremer und noch mehr EinzelhandelskollegInnen müssten trotz harter Arbeit Geld vom Staat beziehen.“ Ver.di setzt deshalb auf Streik.

Streik an mehreren Netto-Standorten im Raum Göttingen

In der Prinzenstraße ging heute morgen nichts mehr. Ab 5:45 blockierten Streikposten in neongelben Ver.di-Westen den Eingang zum Netto-Markt. Der LKW mit Obst und Gemüse konnte den Laden nicht beliefern und musste wieder zurück nach Bielefeld, wo ein Logistikzentrum von Netto angesiedelt ist. In Alfeld wurde dem Verkaufsleiter der Zugang zur Filiale verwehrt, auch in Bovenden blieb der Netto geschlossen. In Northeim und Einbeck soll die Beteiligung am Streik etwas geringer ausgefallen sein.

Mehrere Stunden wurden Streikbrecher daran gehindert, die Netto-Märkte zu betreten. Auf einer Kundgebung verlas Monika Neuner Solidaritätsadressen, unter anderem von der Thalia- und der Karstadtbelegschaft. Bis zum Schluss war die Stimmung vor dem Netto ausgelassen. Irgendwann erschien der Verkaufsleiter mit einigen Beschäftigten, um schließlich doch die Filiale zu betreten. Gegen 9:00 Uhr wurden die Streiks dann aufgelöst. Ein Ver.di-Mitglied berichtete anschließend, der Verkaufsleiter habe Fotos von den Streikenden angefertigt.

Die Streikenden zogen weiter mit dem Zug nach Hannover, wo die zentrale, landesweite Streikaktion im Einzelhandel stattfinden sollte. Eine Lösung im Tarifkonflikt ist weiterhin nicht in Sicht.

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