Polizei auf Facebook
Media Player in Uniform
von Fernseherin am 1. Juni 2013 veröffentlicht in Hintergrund, Polizei & Justiz, TitelstoryFacebook-Präsenz der Göttinger Polizeidirektion mit 1.949 „Gefällt mir“-Angaben (Foto: MoG)
Die Polizei sucht den Anschluss an die digitale Gesellschaft und macht sich zunehmend bei Facebook breit. Das Potenzial ist enorm: aktuelle Bürgerinformationen, Werbung in eigener Sache, „Facebookfahndung“. Schöne neue Welt also? Ein kritischer Überblick über die Web 2.0-Aktivitäten der Polizei, erster Teil.
Wo sich Menschen ihre Meinung bilden, wollen meist alle mitmischen, denen an einem guten Ruf liegt. Dazu gehören vor allem Wirtschaftsunternehmen, die mit eigenen Facebook-Präsenzen den Kontakt zu User_innen suchen. Zunehmend zählen aber auch staatliche Behörden dazu, unter anderem die Polizeibehörden. So hat auch die Polizeidirektion Göttingen mittlerweile eine eigene Facebook-Seite, auf der sie ihre Fans mit Pressemitteilungen, Veranstaltungshinweisen und Bürgerinformationen eindeckt.
Einfluss auf Berichterstattung
Was man wie im Falle des kürzlich bei Facebook begleiteten „Blitzermarathons“ gern mit dem Argument der Bürgernähe verkauft, mag für zwar für viele User_innen nützlich sein, hat aber eine Kehrseite. Die Polizei nutzt diesen Kanal in die Öffentlichkeit nämlich nicht nur zur Information der Bürger_innen, sondern im Rahmen sogenannter „aktiver Pressearbeit“ auch in eigener Sache. Ziel polizeilicher Pressearbeit ist es dabei, die mediale Berichterstattung über die eigene Behörde in positiver Weise zu beeinflussen, letztlich also auch Lagen je nach Bedarf zu beschönigen oder zu dramatisieren.
Dazu haben die Pressestellen freilich auch ohne Web 2.0 ausreichend Gelegenheit. Sie werden zu „Agenda Settern“, indem sie Pressemitteilungen zu bestimmten Ereignissen und Vorfällen herausgeben, und zu anderen nicht. So kann eine Dienststelle Schwerpunkte in der Berichterstattung über Kriminalität beeinflussen und die öffentliche Wahrnehmung auf bestimmte Probleme lenken – und zwar schon im Vorfeld medialer Bearbeitung.
Beispiel Linksextremismus
In Göttingen geschieht dies z.B. in Bezug auf Linksextremismus, wie die jüngsten Mitteilungen zur Kriminalitätsstatistik erneut gezeigt haben. Der Bericht betonte einmal mehr die Gefahren des Linksextremismus, und stellte das rabiate Vorgehen der Polizei beim sogenannten Schünemann-Einsatz als „geboten“ dar. Zitate von Göttingens Polizeipräsident Robert Kruse peppten den Bericht standardmäßig auf, um der Message Gewicht zu verleihen. Dabei bewegt sich die Argumentation nicht selten auf dünnem Boden, wenn wie zuletzt Personen als Gewalttäter_innen verbucht werden, die gar nicht verurteilt wurden.
Neben den interessanten und kuriosen Begebenheiten der Region, in die die Polizei oft einzigartige Einblicke hat, bereiten die Pressestellen also mit Vorliebe das auf, was die Behörde in einem guten Licht erscheinen lässt, oder in die aktuelle politische Agenda passt. Selbst vor Schelten gegen die Presse schreckt die lokale Polizeiführung dabei nicht zurück, wie Kruse 2011 unter Beweis gestellt hat.
Aushebeln der Presse
Dass die Polizei die Presse aktiv mit Informationen versorgt, ist an sich schon problematisch. Schließlich filtern die Pressestellen täglich vor, was ungefragt an die Medien gelangt und was nicht, was eine erhebliche Einflussnahme auf die Berichterstattung darstellt. Allerdings ist dieses Vorgehen alternativlos, denn schließlich kann nicht jede Zeitung ihre eigenen Leute vorbeischicken, um die interessanten Geschichten herauszusuchen.
Wenn die Polizei aber im Rahmen ihrer Social-Media-Aktivitäten Pressemitteilungen direkt bei den Endverbraucher_innen platziert, umgeht sie damit die Medien. Echte journalistische Arbeit wird als Kontrollinstanz so ausgehebelt, User_innen beziehen ihre Nachrichten unmittelbar von der Quelle. Die Presse, sofern sie seriös ist, zieht für die Berichterstattung aber stets verschiedene Quellen heran. Die polizeiliche Darstellung sollte dabei nur eine von mehreren sein, was ausgewogene Berichterstattung gewährleistet.
Kommt es etwa zu einem gewaltsamen Polizeieinsatz im Rahmen einer Demonstration, den Pressevertreter_innen kritisch aufnehmen, kann die Polizei in der Berichterstattung über das Geschehen vorgreifen. Innerhalb kürzester Zeit verbreitet sie ihre Version der Ereignisse im Netz, die freilich wenig Kritik am Einsatz enthalten wird. Sie mindert damit den Nachrichtenwert kritischer Zeitungsmeldungen am Folgetag. Wo Tageszeitungen wie das Göttinger Tageblatt ohnehin dazu tendieren, Pressemitteilungen der Polizei im Wortlaut zu übernehmen, macht dies allerdings keinen Unterschied.
Verwischen der Gewaltenteilung
Macht die Polizei sich mit Hilfe des Web 2.0 so selbst zum Medium, nimmt sie eine Doppelrolle ein. Einerseits als Teil der Exekutivgewalt des Staates, andererseits als ihre eigene Presse, die über das Handeln der Exekutivgewalt berichtet. Ersteres ist die gesetzlich festgeschriebene Aufgabe der Polizei: Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und Sicherheit sowie Strafverfolgung. Letzteres steht der Polizei in einer Demokratie indes nicht zu. Im Gegensatz zur Presse ist sie nämlich eines nicht: unabhängig.
Soziale Netzwerke ermöglichen es ihr aber, sich eine eigene Öffentlichkeit zu schaffen. Damit diese überhaupt zustande kommt, hält sie nützliche Informationen als Köder bereit. So verschaffte sich die Göttinger Polizeidirektion mit Hilfe des „Blitzermarathons“ eine vierstellige Zahl an „Likes“ für die Sonderseite „PD Göttingen aktuell“. Der Gedanke liegt nicht fern, dass hierin der Hauptnutzen der Aktion lag, wenn der vorgebliche Zweck der Sensibilisierung für Gefahrenstellen im Straßenverkehr auch löblich sein mag.
Who likes the police?
Wenn die Polizei diesen Weg der Öffentlichkeitsarbeit beschreitet, stellt sich allerdings die Frage nach dem Charakter dieser Öffentlichkeit. Wer „liked“ überhaupt die Polizei und warum? Wer teilt welche Meldungen und aus welchem Grund? Dass es sich bei ihren Fans um einen Querschnitt durch die Gesellschaft handelt, darf mit Recht bezweifelt werden. Vermutlich stellen Polizist_innen und deren Angehörige, Sensationslustige und „Aktivbürger_innen“ sowie Journalist_innen den Großteil der Anhänger_innenschaft. Leute also, die sich ohnehin für die Arbeit der Polizei interessieren.
Doch das Nutzungsverhältnis ist nicht einseitig: Die Polizei will ihrerseits die Fangemeinde für ihre Zwecke benutzen – und da kommt das Netzwerk erst richtig zur Geltung. Die Fans fungieren als Multiplikatoren und tragen durch das Teilen von Meldungen die Informationen in den Schwarm. So werden auch die User_innen erreicht, die nur zufällig mit Fans der Polizei befreundet sind.
Die Akzeptanz polizeilicher Präsenz in der Bevölkerung wird dadurch gefördert, weil sie den User_innen über Freund_innen vermittelt gegenüber tritt. Ob im „real life“ alle damit einverstanden wären, wenn ihr Besuch ein Fahndungsplakat in ihrem Wohnzimmer aufhängt, kann indes bezweifelt werden. So geht Imagepflege 2.0.
Das ganze WWW hasst die Polizei!
[…] kritische Polizeieinsätze verhandelt werden, werden verzerrte Darstellungen die Regel sein. Um das im ersten Teil dieser Artikelserie genannte Demonstrationsbeispiel weiterzustricken: Es ist wohl kaum zu erwarten, dass die Polizei […]