30 Jahre AK Asyl
Kniefall und Stöckchenspringen
von administradore viejo am 22. Mai 2013 veröffentlicht in Migration, Soziale Bewegungen, TitelstoryZeitleiste zu 30 Jahren Arbeitskreis Asyl
30 Jahre Antirassismus in Göttingen und kein bisschen leise: Der Arbeitskreis Asyl begeht gerade mit diversen Veranstaltungen sein 30-jähriges „Jubiläum“. Grund zum Jubel gibt es in der Sache allerdings nicht, denn Rassismus ist und bleibt ein gesellschaftspolitisches Problem. Im Gespräch mit MoG ziehen Stefan und Susanne vom AK Asyl Bilanz.
MoG: Vor 30 Jahren wurde der Arbeitskreis zur Unterstützung Asylsuchender gegründet. Anlass waren die Zustände im Hotel Astoria, das als Flüchtlingsunterkunft diente. Wie ist das damals genau abgelaufen?
Susanne: Wie das genau abgelaufen ist, wissen wir gar nicht. Vor allen Dingen drehte sich der Streit um die Lebensmittel, die die Flüchtlinge in dem Laden des Hotels Astoria kaufen mussten. Zu überteuerten Preisen und natürlich nur Schrott. Da haben sich viele Proteste dran entzündet die damals noch vom Arbeitskreis Astoria und den Flüchtlingen organisiert und durchgeführt worden sind.
Stefan: Die Schließung des Flüchtlingslagers im Hotal Astoria fand ja erst 1991 statt. Das heißt es gab schon neun Jahre Kämpfe in unterschiedlicher Form. Der AK Asyl hat sich 1983 gegründet und da waren die Auseinandersetzungen um das Astoria noch ganz frisch. Die großen Kämpfe mit den Streiks und Mobilisierungen kamen auch erst später.
Der AK Asyl ist ein Verein. Wie hat er sich damals organisiert?
Susanne: Das ist total schwer zu sagen. Es gibt jetzt niemanden mehr, der tatsächlich in der Zeit dabei war, der jetzt noch beim AK Asyl ist. Die haben sich einfach wie ein normaler Verein organisiert. Mit Mitgliedsbeiträgen, Spendensammlungen und Anträgestellen für bestimmte Aktionen oder Projekte, die sie gemacht haben. Also im Grunde wie heute auch. Der Unterschied ist glaube ich, dass es damals eher Menschen aus einem linksliberalen Spektrum waren, die den AK Asyl gemacht haben. Zusammen mit den Kirchen.
Also eine breite gesellschaftliche Basis.
Susanne: Ja.
Stefan: Was ich im Rückblick wichtig finde ist, dass von Anfang an ein Rückhalt aus der antirassistischen Bewegung vorhanden war. Es gab damals schon das Antirassismusplenum, das als Player aktionsorientiert auf die Straße mobilisiert hat. Dazu der AK Asyl, der als eingetragender Verein steuerlich abzugsfähig ist, Gelder einwerben und ein bisschen den Kopf hinhalten kann. Das war von Anfang an überhaupt ein Grund, diesen Verein zu haben. Heute verfügt der AK über eine viel zu schwache Mitgliedschaftsliste und das führt dazu, dass du zu jedem Anlass, jedem Projekt, jeder Geldsumme die du ausgeben willst, ständig selber Mittel einwerben musst. Super finde ich, dass der Verein sich nicht hat korrumpieren lassen um an das Geld zu kommen, aber es ist halt schon ein ständiger Kampf und eine Menge Arbeit.
Anfang der Achtziger begann auch die Diskussion um sogenannten „Missbrauch des Asylrechts“. Die Rede war von „Scheinasylanten“, „Asylschmarotzern“ und „Wirtschaftsflüchtlingen“, vor allem im Wahlkampf. Klingt vertraut, Bundesinnenminister Friedrich äußerte sich Anfang des Jahres ganz ähnlich. Damals wie heute: Was antwortet der AK Asyl auf solche Zuschreibungen?
Susanne & Stefan: „Halt’s Maul!“ (lachen)
Stefan: In der rassistischen Hetze ist Sprache ganz wichtig. Zum Beispiel das Wort „Asylant“. Hydranten gibt es. Wenn man Substantivieren will: Hydrieren kann man, asylieren kann man nicht. Das Wort gibt’s gar nicht, es ist eine grammatikalische Farce. Es wird aber gerne als Kampfbegriff benutzt und Herrschaft funktioniert natürlich auch darüber, dass Bilder in den Köpfen produziert werden. Und mit dem Wort Asylant kann man tolle Bilder produzieren.
Auch das Wort „Wirtschaftsflüchtlinge“ ist ganz aktuell. Wir hatten Mitte Mai Dejan Markovic da, der über die Situation von Roma in Serbien gesprochen hat, eine unsägliche Situation. Wenn Menschen durch rassistische Verfolgung und Diskriminierung in ihren Herkunftsländern auf eine durchschnittliche Lebenserwartung von 28,3 Jahren gedrückt werden, wenn also billigend in Kauf genommen wird, dass sie einfach verrecken, dann kann man sie natürlich euphemistisch als „Wirtschaftsflüchtlinge“ bezeichnen. Aber es gibt Rassismus weltweit und verfolgte Personengruppen die keinen Schutz und keine Zuflucht haben.
Wenn man dann von Wirtschaftsflüchtlingen spricht dann kann man nur sagen: „Halt’s Maul!“
Nach 1990 zeigte sich das wiedervereinigte Deutschland von seiner hässlichsten Seite: rechte Brandanschläge gegen Migranten und Flüchtlinge in Hoyerswerda, Mölln, Rostock-Lichtenhagen und Solingen. Wie hat die UnterstützerInnen-Szene für Flüchtlinge insgesamt und der AK Asyl im Speziellen darauf reagiert?
Susanne: Im Grunde wie überall. Es gab Telefonnotrufketten, Demos und Aktionen gegen diese Anschläge und gegen die Verharmlosung von Seiten der staatlichen Institutionen. Das war aber glaube ich in fast allen Städten Deutschlands so. Was in Göttingen aber vielleicht noch erwähnenswert ist, das war 1990. Da hat Thorsten Heise noch in Nörten-Hardenberg gewohnt und hat einen Flüchtling auf der Straße angefahren. Der Flüchtling war danach auch schwer verletzt und hatte sich bemüht in eine andere Stadt gehen zu dürfen, weil er nicht mehr nach Nörten zurück wollte. Er durfte dann nach Göttingen, auch mit viel Unterstützung aus der Göttinger Antiraszene. Der Landkreis Northeim hatte ihm das dann sozusagen genehmigt. Es gab damals tatsächlich auch viele Kooperationen zwischen Kirchen, Linksliberalen, Autonomen und Antifas. Das war in der Zeit schon viel.
Die schwarz-gelbe Bundesregierung hat die Brandanschläge damals als Argument für eine Verschärfung des Asylrechts genutzt. Die Verschärfung kam dann schließlich 1993. Welche Auswirkungen hat die damalige Abschaffung des schrankenlosen Grundrechts auf Asyl?
Susanne: Im Grunde hat es dazu geführt, dass fast keine Flüchtlinge mehr anerkannt worden sind, dass immer mehr Menschen abgeschoben worden sind und dass die Abschottung intensiviert wurde.
Stefan: Wir hatten ja Zeiten da war die Anerkennung im Erstverfahren bei 2,3 Prozent, also 97 Prozent aller Asylsuchenden sind abgelehnt worden. Ich glaube inzwischen sind wir bei 16 Prozent, das heißt immer noch 84 Prozent werden nicht anerkannt…
Susanne: …wobei die Gesamtzahlen aber auch viel niedriger sind.
Stefan: Ja. Natürlich gibt es in den nachfolgenden Verfahren Schutz für Leute die wegen Krankheit oder wegen Gefahr für Leib und Leben im Herkunftsland nicht abgeschoben werden können. Aber das führt dann halt zu dieser Kette von Duldungen die wir heute haben. Dass die Leute alle mit so einem unsicheren Status leben müssen, auf gepackten Koffern sitzen müssen, mit Arbeitsverboten belegt und ständig in der Angst abgeschoben zu werden. Auch Dublin II und die Regelungen des Schengenraums wurden maßgeblich durch die Asylgesetzgebung von 1993 geprägt.
Also seht ihr die Asylgesetzgebung von 1993 als Grundlage für die heutige europäische Gesetzgebung?
Susanne: Die Grundlage kann man so vielleicht nicht sagen, aber es spielt immer alles zusammen.
Stefan: Genau. Da gingen europäisches und deutsches Recht Hand in Hand. Und wenn wir heute ans Mittelmeer schauen und die Leichen rausgefischt werden oder und die Detention-Centers in Südeuropa und Nordafrika anschauen, dann sind das alles Auswüchse dieses neuen Asylrechts.
Flüchtlinge, vor allem aus dem Bosnienkriegs wurden damals in Massenunterkünften untergebracht, zum Beispiel in der damaligen Zietenkaserne. Massenunterkünfte hat der AK Asyl immer kritisiert. Was konntet ihr dagegen unternehmen?
Susanne: Der AK Asyl ist da ja immer zweigleisig gefahren. Zum einen gab es immer Massenproteste und Aktionen mit der Forderung nach Schließung dieser Massenunterkünfte und nach dezentraler Unterbringung. Zum anderen wurde sich immer darum bemüht die Flüchtlinge zu beraten. Der AK Asyl hatte immer ABM-Stellen und hat sich in den Achtzigern bemüht Büroräume zu bekommen um so eine Beratung anbieten zu können.
Stefan: Da gibt es ja auch so eine Wellenbewegung. Die Lager wie die Gutscheine, die kamen und gingen wieder. Aktuell haben wir in Niedersachsen noch vier von diesen größeren Lagern. 1991 wurde mit Unterstützung des AK Asyls und aus diesem Beratungszentrum heraus in der Weender Straße 43 das Migrationszentrum gegründet. Wir stehen ja heute vor der selben Situation bei dem Lager in Friedland. Dort gibt es eine rudimentäre Beratung von den Wohlfahrtsverbänden. Die machen eine gute Arbeit, die wir überhaupt nicht kleinreden wollen, aber sie reicht überhaupt nicht aus. Das sagen sie auch selber. Der AK Asyl unterstützt deshalb gerade eine Initiative von 20 Leuten die sich hier zusammenfinden um ein Beratungszentrum in Friedland aufzubauen.
Ende der 1990er Jahre entstand eine neue Protestbewegung von Flüchtlingen, die Karawane. Wie sah die Zusammenarbeit des AK Asyl mit der Karawane aus?
Susanne: Der AK Asyl hat die von Anfang an unterstützt. Die Selbstorganisierung von Flüchtlingen, das ist ja etwas ganz begrüßenswertes. Und der AK Asyl hat sich ja immer bemüht mit selbstorganisierten Flüchtlingen zusammen zu arbeiten, wie zum Beispiel auch mit The Voice, die es schon länger gibt. Es gab zwei Karawane-Touren von Flüchtlingen und es gab die No-Lager-Touren. Da waren immer Leute aus Göttingen und vom AK Asyl mit dabei.
Stefan: Ich finde es fast noch ein bisschen schwach zu sagen, dass man das begrüßt hat. Ich kann aus meiner Zeit sagen, dass es eigentlich immer das Ziel war die Selbstorganisierung anzustoßen und dafür Impulse zu geben. Das ist ein bisschen so, wie wenn Du als Altlinker sagst: „Die Befreiung der Arbeiterklasse kann nur die Sache der Arbeiter selbst sein.“ Für uns ist es so: Migranten und Flüchtlinge sind Ausdruck eines weltweiten Ungleichgewichts, einer Ausbeutungssituation. Und sie kommen auch, um Ansprüche darauf zu stellen was ihnen geraubt worden ist in ihren Heimatländern. Und deshalb waren sie für uns auch teilweise das revolutionäre Subjekt per se, diejenigen die den Neoliberalismus mit ihren Füßen angreifen, weil sie mit ihren Füßen über die Grenzen gehen und sagen: Hier bin ich. Für uns war da eine ganz starke Kraft drin, denn unsere Gesellschaft versteht die Ausbeutungssituation komplett anders und tut so, als kämen da Leute die uns was wegnehmen wollten und kein Recht darauf hätten. Stichwort Scheinasylanten. Deshalb war die Unterstützung von Selbstorganisation auch immer wichtig.
Das revolutionäre Subjekt wird ja gerne und oft gesucht, hat das hier denn geklappt(ironisch)?
Stefan: Nein, das war natürlich totaler Quatsch (Susanne und Stefan lachen).
Susanne: Es gab mal diesen Slogan „Your liberation is bound up to mine“. Der besagt, dass Flüchtlinge weder als Opfer, noch als revolutionäres Subjekt gesehen werden sollten. Praktisch heißt das: Auch wenn Deutsche gegen Lager sind, machen sie das eben weil sie gegen Lager sind und nicht weil sie das für die Flüchtlinge tun wollen, um sich dann Butter in die Haare zu schmieren. Das ist auf jeden Fall schon so ein Lernprozess in den Neunzigern gewesen.
Ende der 1990er Jahre kam es außerdem zum Kosovo-Krieg. Viele Flüchtlinge, vor allem Roma, kamen nach Deutschland und nach Göttingen. Die meisten leben bis heute in der Duldung, der sogenannten Aussetzung der Abschiebung. Der AK Asyl kämpft bis heute für ein dauerhaftes Bleiberecht. Wie sieht die Zwischenbilanz dieses Kampfes aus?
Stefan: Total gemischt. Drei Aspekte sind erwähnenswert: Das erste ist, dass eine Reihe von Roma, die vor dem Krieg geflüchtet sind inzwischen auf so einer individuellen Ebene einen gesicherten Status haben. Die haben geheiratet, Papiere gekriegt, haben sich total bemüht in einen Job und in Ausbildung zu kommen, haben nie wieder Sozialleistungen angenommen, um bloß nicht in den Verdacht zu geraten, dass sie sich hier nicht integrieren wollen. Also etwa die Hälfte der 400 bis 500 Roma, die hier nach dem Krieg in Stadt und Landkreis gelebt haben, ist es gelungen einen gesicherten Aufenthaltsstatus zu bekommen. Das zweite ist, dass es auch von EU-Fonds und staatlichen Stellen unterstützte SozialarbeiterInnen gibt, die sich in Sachen Integration bemühen. Die helfen den Kids die Schule fertig zu kriegen, eine Ausbildung zu bekommen und einen Job. Dann haben wir aber immer noch eine Hälfte von 200 Leuten die hier seit 15 Jahren leben, wo die Kinder alle hier geboren sind und die immer noch Duldung haben. Anfang Mai sollten ja zwei Familien, deren Kinder fast alle hier geboren sind, abgeschoben werden. Die müssen jetzt den Kniefall machen, das Stöckchenspringen vor der Härtefallkommission des Landtags. Da musst du erstmal hoffen, dass sie den Fall überhaupt annehmen. Der Staat deportiert, trotz der gefährlichen Menschenrechtslage im Kosovo, Roma, die seit 15 Jahren hier leben. Da sagen alle großen Kirchen, das sei Quatsch. Deshalb: Kettenduldungen abschaffen, ein Bleiberecht muss her – sie machen’s nicht!
Susanne: Was der AK Asyl aber geschafft hat, ist, dass weit weniger abgeschoben worden sind als geplant. Das ist ja bei allen Massenabschiebungen so. Dadurch, dass der AK Asyl Öffentlichkeit geschaffen und das Thema aus dem Dunkel rausgezerrt hat, ist es zumindest gelungen, dass die Stadt diese Abschiebungen nicht problemlos durchführen kann.
30 Jahre AK Asyl, das heißt auch 30 Jahre Auseinandersetzung mit der Ausländerbehörde. Im Rückblick: Was hat sich getan auf dem Amt – was muss sich ändern?
Susanne: Es hat sich nichts getan und es gehört abgeschafft.
Stefan: Wir haben ja bemühte Kollegen auf dem Amt, so ist es ja nicht, man kann auch mal wen anrufen. Aber zum Beispiel die zwei Familien, die Anfang Mai hätten abgeschoben werden sollen, da sind wir reingegrätscht und haben gesagt „das geht so nicht, ihr könnt das nicht machen mit den 16 Kindern.“ Da wurde ja zugestanden, dass die zur Härtefallkommission gehen dürfen. Nun, die Ausländerbehörde hat das nicht gemacht, sondern das Innenministerium. Und was passiert jetzt? Die Härtefallkommission tagt irgendwann im Juli, August oder September. Aber die Ausländerbehörde sagt jetzt, die Papiere müssen in zwei Wochen da sein. Zwei Monate liegen die da rum. Und die Flüchtlinge müssen jetzt total hastig die Papiere zusammen kriegen, um jetzt diese Dreiwochenfrist einzuhalten, die überhaupt keinen Sinn macht, sondern nur Druck herstellt. Und deshalb: Abschaffen!
Und wie sieht die Zukunft aus? Die Protestbewegung und Selbstorganisation von Flüchtlingen ist derzeit sehr lebendig, die Gesetzgebung hat sich bisher aber nicht großartig geändert. Wie sehen die nächsten 30 Jahre beim AK Asyl aus?
Susanne: Ich fürchte so wie die letzten 30 Jahre. Immer wieder protestieren, immer wieder Aktionen durchführen. Ich glaube nicht, dass sich wirklich großartig was verändern wird an der Gesetzgebung.
Stefan: Ich habe ein ähnliches Gefühl. Rassismus ist ein alteingesessenes Herrschaftssystem in den Köpfen und in den Institutionen. Und wie wir uns die weltweit aufklaffende Schere von Arm und Reich anschauen, alles was den Zugang zu Ressourcen betrifft und die daraus bestehenden Migrationsbewegungen, wird die Abschottungspolitik und der staatliche Rassismus in den nächsten Jahren ein Bestandteil bleiben. Ich glaube wir werden da jede Menge zu tun haben, um da auf Menschenwürde zu achten.