Neues Amt nach Mißbrauchsskandal

Protest vor der Kirche
von am 4. September 2011 veröffentlicht in Soziale Bewegungen, Titelstory

Trotz Kritik ist Theo Schneider zum neuen Superior der Jesuiten in Göttingen ernannt und in sein Amt eingeführt worden. Im Zuge von Mißbrauchsvorwürfen gegen das „Aloisiuskolleg“ war der damalige Rektor Anfang 2010 zurückgetreten. Organisationen von Mißbrauchsopfern verurteilten die Berufung auf das neue Amt in Göttingen. Zur Amtseinführung gab es heute auch Protest vor der Kirche.

Untätig zugeschaut habe er. Theo Schneider, heute 64 Jahre alt, war von 1984 bis 2007 Internatsleiter, dann Rektor des Aloisiuskollegs in Bad Godesberg. Gegen das vom katholischen Jesuitenorden geführte Gymnasium wurden Anfang 2010 Vorwürfe laut, es habe jahrzehntelang körperlichen, auch sexuellen Mißbrauch von Schülern gegeben – und die Schulleitung sowie der Orden hätten dies auch noch gedeckt. Theo Schneider trat umgehend von seinem Posten zurück. In Interviews leugnet er, in den Jahrzehnten als Rektor etwas vom Mißbrauch mitbekommen zu haben. Auf Nachfragen hin blieb er unspezifisch: Lediglich von „Grenzverletzungen“ hätte er erfahren. Die Jesuiten beauftragten eine Untersuchungskommission mit der Aufarbeitung der Vorfälle. Der Abschlussbericht der Untersuchung stellt den Umfang des Mißbrauchs dar und die Strukturen, die ihn gestützt haben. Individuelle Verantwortung wird dabei aber nicht konkreten, sondern pseudonymen Personen zugeschrieben.

Nun wurde Theo Schneider vom „Provinzial der deutschen Provinz der Jesuiten“ zum Superior des Jesuitenordens in Göttingen ernannt. Aus der Pressemitteilung der Jesuiten wird klar, dass ihnen das Problem mit dieser Personalie sehr wohl bewusst ist: „Nach Abschluss der internen und externen Untersuchungen der Vorwürfe steht dem Einsatz von Pater Schneider in wichtigen seelsorglichen Funktionen nichts mehr im Wege“, so der Orden dort.

Nach einem Artikel im Göttinger Tageblatt sowie umgehenden Protests der Selbsthilfeorganisation für Mißbrauchsopfer von Jesuitenorganisationen, „Eckiger Tisch“, kam es auch in Göttingen die Debatte in Schwung (mehr Informationen auch bei GoeSt). Sie erreichte einen weiteren Höhepunkt, als sich der Göttinger Slawistik-Professor Freise gegen die Kritik des „Eckigen Tisches“ stellte und den Vorwurf machte, es handele sich um eine „Hetzkampagne“ gegen Schneider (Bericht im GT). Kritisch zur Personalie Schneider äußerte sich auch der Göttinger AStA in einer Pressemitteilung.


Protestierende im Gespräch mit dem Göttinger Pater Manfred Hösl

Am Sonntag, 4. September, wurde Theo Schneider im Rahmen eines Gottesdienstes in der Kirche St. Michaelis in sein neues Amt eingeführt. Gegner_innen dieser Personalie hatten dagegen zum Protest aufgerufen. Unverantwortlich sei es, Schneider einen solchen Posten zu geben. Zwischen 30 und 40 Protestierende waren mit Plakaten und Flugblättern gekommen um Verantwortung anzumahnen. Gäste des Kindergottesdienstes, in dessen Rahmen die Amtseinführung stattfand, wurden noch einmal mit den Vorwürfen konfrontiert. Wenige von ihnen stellten sich auch kurz einer Diskussion. Dabei herrschte allerdings oft ein Tenor vor, der die Beteiligung von Theo Schneider an den Mißbrauchsfällen relativierte. Man könne ihm ja „bloß“ die Mitwisserschaft vorwerfen.

Vor dem Gottesdienst kam auch Pater Manfred Hösl, selbst Jesuit, zu den Protestierenden. Er wünschte sich einen ungestörten Gottesdienst von den Demonstrierenden vor der Kirche und stellte sich für einige Minuten der Diskussion. Zugleich schlug er vor, nach dem Gottesdienst oder zu einem späteren Zeitpunkt noch ausführlicher zu diskutieren. „Wir Jesuiten sind eine Täterorganisation“, hielt er in der Debatte mit Protestierenden fest. Das in diesem Kontext nicht zu leugnen gebiete schon der Respekt vor den Opfern. Ihm ist anzumerken, dass er unglücklich ist – nicht nur mit dem Protest, auch mit der Personalie Schneider. Dennoch habe er keinen Einfluss auf die Stellenbesetzung. Die sei die Entscheidung der vorgesetzten Stellen. Schließlich bekam er seinen ruhigen Gottesdienst. Und auch die eingesetzten Polizeibeamten hielten sich im Hintergrund. Der Protest blieb höflich gegenüber den Kirchenbesucher_innen, aber doch unübersehbar.

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7 Kommentare auf "Protest vor der Kirche"

  1. ping sagt:

    So ganz ruhig war der „Gottesdienst“ ja dann aber doch nicht… 😉

  2. Harvey sagt:

    Huppala, bin ich doch zu früh gegangen? Was ist denn dann noch passiert? Haben sich doch welche „reingemogelt“?

  3. ping sagt:

    Öh, ja, also 5 oder 6 Personen sind noch rein und eine Frau hat den Flyertext am Pult mit Mikrofon vorlesen dürfen unter der Bedingung, dass die Gruppe danach wieder verschwindet.

  4. Sunny sagt:

    Ich würde gerne noch erzählen, wie es weiterging.

    Nach dem der Text des Flugblattes verlesen war, herrschte eine Sekunde lang betretenes Schweigen. Dann fing die Gemeinde – anscheinend als kollektive Übersprungshandlung – an, das Lied „Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind, da bin ich mitten unten ihnen“ zu singen. Gegen den Applaus einer kleinen Gruppe von Protestierenden.

    Herr Hösl meinte dann, das man nun ja wohl mit dem Gottesdienst weitermachen könne. Herr Freise, der im Flugblatt erwähnt wurde, ging zum Mikrofon und wollte zu den Vorwürfen gegen seine Person Stellung nehmen. Daran wurde er zunächst mit lauten Protesten („Nein, nein“) aus seiner Gemeinde gehindert. Anscheinend wollte niemand mehr etwas von den unliebsamen Vorwürfen hören…

    Herr Hösl klärte die Gemeinde dann darüber auf, wer Herr Freise sei. „Also das ist Herr Freise, das ist der Vorsitzende des Pfarrgmeinderates dieser Gemeinde, also den kenne ich…“

    Herr Freise sagte sinngemäß, er habe den Zinsmeisterbericht gelesen und man solle doch bitte genau lesen und differenziert urteilen.
    Daraufhin gab es spontanen Applaus von Teilen der Gemeinde und Theo Schneider fuhr fort, wo er aufgehört hatte, ohne irgendeinen Kommentar abzugeben.

    Dabei ist es besonders bemerkenswert auch etwas über den Inhalt seiner Predigt zu berichten: Theo Schneider erzählte, dass er vor Jahren, am Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Ausschwitz, eine Veranstaltung mit KZ-Überlebenden moderiert habe. Ein Überlebender schilderte seine Erfahrung.

    Gefragt, ob er seine Peiniger nicht hassen würde, habe er sinnemäß geantwortet: Er würde seine ganze Kraft für seine Freunde brauchen. Wenn er hassen würde, dann würde diese Kraft aus ihm herausfließen. „Nein, ich hasse nicht.“

    Theo Schneider predigte dann darüber, dass dieser Mann seine Erfahrung nicht zum Gegenstand eines „unendlichen Hasses“ gemacht habe und stellte – da kann ich ihm nur zustimmen – fest, dass nur derjenige verzeihen kann, der das Unrecht erlitten hat.

    Ich frage mich nun aber: Was möchte Herr Schneider uns mit dieser Predigt sagen..???

    Die Bitte um Vergebung für eigenes Fehlverhalten/ Nichtverhalten kann es ja kaum sein. Theo Schneider verweigert bis heute das Gespräch mit Opfern von Jesuiteneinrichtungen. Und auch zu den Vorfällen in seiner Kirche hat er geschwiegen – vor, während und nach dem Gottesdienst.

    Seine Predigt kann daher nur als befremdlicher Appell an die Opfer der Jesuiten verstanden werden: Wenn sogar Ausschwitzüberlebende vergeben können, dann muss Vergebung doch auch für die Verbrechen innerhalb der Katholischen Kirche möglich sein…
    Vor dem Hintergrund der Vorwürfe gegen ihn halte ich dies für absolut geschmacklos und für einen weiteren Schlag in das Gesicht der Opfer.

  5. Sunny sagt:

    So, hier noch eine kleine Presseschau:

    Überregional berichtete die taz:
    http://www.taz.de/Missbrauchsskandal-in-der-Kirche/!77572/

    In Bonn selbst brachte der „Generalanzeiger“ einen Bericht über die Proteste gegen Schneider:
    http://www.general-anzeiger-bonn.de/index.php?k=loka&itemid=10490&detailid=934598

    Auch das GT brachte natürlich einen Artikel, der im Forum leider zu extrem schrägen Diskussionen führt:

    http://www.goettinger-tageblatt.de/Nachrichten/Goettingen/Uebersicht/Protestaktion-im-Gottesdienst

    Die umfassendste Materialsammlung ist auf http://www.goest.de zu finden!

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