Prozess gegen Antifa-Aktivisten

Freispruch für Martin R.
von am 4. Juli 2011 veröffentlicht in Polizei & Justiz, Titelstory

Der angebliche Böllerwurf auf einer Demonstration, für den dem Göttinger Antifa-Aktivisten Martin R. im Januar zwangsweise seine DNA entnommen wurde, ist ihm nicht nachzuweisen. Vor dem Amtsgericht wurde er am Montag vom Vorwurf der gefährlichen Körperverletzung freigesprochen. Jetzt will er die Löschung seiner DNA-Daten erwirken.

Es ging in diesem Strafprozess nicht nur um die Frage, ob Martin R. auf einer Demonstration im Januar 2010 einen Silvesterböller geworfen und dadurch einem Polizisten ein Knalltrauma zugefügt hatte. Verhandelt wurde indirekt auch darüber, ob eine zwangsweise Entnahme seiner DNA durch Staatsanwaltschaft und Polizei im Januar 2011 gerechtfertigt war. Diese wurde damit begründet, dass er einer „Straftat von erheblicher Bedeutung“ verdächtigt wurde. Seit Montag steht fest: der Eingriff der Polizei in die Rechte Martin R.s war nicht gerechtfertigt.

Denn Andrea Tietze, Richterin am Amtsgericht Göttingen, sah es als nicht erwiesen an, dass Martin R. besagten Knaller geworfen hatte. „Es gibt in diesem Fall so viele Unwahrscheinlichkeiten und Unklarheiten, dass ich den Angeklagten nicht guten Gewissens verurteilen kann“, sagte sie. Keiner der Polizeizeugen habe Martin R. identifizieren können. Tietze sprach den 21-jährigen Antifa-Aktivisten vom Vorwurf der vorsätzlichen gefährlichen Körperverletzung frei.

Rückzieher der Staatsanwaltschaft

Von diesem Vorwurf war im Prozess auch schon die Staatsanwaltschaft abgerückt, weil nicht nachzuweisen gewesen sei, dass R. dem Polizisten Schaden zufügen habe wollen. Außerdem habe er den Böller nicht in Richtung der Polizisten geworfen, sondern ihn nur auf den Boden fallen lassen, sagte eine Referendarin der Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer. Sie forderte eine Verurteilung wegen fahrlässiger Körperverletzung.

R.s Anwalt Sven Adam wies in seinem Plädoyer auf verschiedene Ungereimtheiten hin. Dem klagenden Polizisten unterstellte er ein „gewisses Eigeninteresse“, weil er von Martin R. Schmerzensgeld für sein angebliches Knalltrauma verlangte. „Deswegen will er ihm das in die Schuhe schieben“, so Adam in seinem Plädoyer. Der Polizist habe nicht die Wahrheit ausgesagt. Ob sein Mandant überhaupt einen Böller in der Hand gehabt habe, sei nicht nachgewiesen.

„erstaunliche Häufung“ von Knalltraumata

Umstritten ist auch, ob sich der Polizist überhaupt ein Knalltrauma zugezogen hat. Zwar weist ein Attest Symptome wie ein Pfeifen im Ohr und Einschränkung der Hörfähigkeit auf. Die könne er sich aber auch anders zugezogen haben, argumentierte der Anwalt. Ohnehin habe er in letzter Zeit eine „erstaunliche Häufigkeit“ von Knalltraumata bei PolizistInnen festgestellt, die bei Demonstrationen eingesetzt werden. Problematisch ist der schwierige Nachweis dieser Erkrankung, da die Symptome auch vorgetäuscht werden können. „Da muss man sich schon wundern, wie diese Häufung zu Stande kommt“, sagte Adam.

DNA soll gelöscht werden

„Die gefährliche Körperverletzung hätte niemals angeklagt werden dürfen“, sagte Adam weiter. Dann wäre es seiner Einschätzung nach auch zu keiner DNA-Entnahme gekommen. „Ein laufendes Verfahren sollte offenbar genutzt werden, um die dauerhafte Speicherung des Mannes in einer Verbrecherkartei zu rechtfertigen“, bemängelte der Anwalt weiter. Bei der Göttinger Staatsanwaltschaft will er nun die Löschung der DNA-Daten beantragen, sollte diese nicht wider Erwarten doch in Berufung gehen.

Polizeiliche Festung Amtsgericht

Das Amtsgericht wurde anlässlich der Verhandlung in eine Festung verwandelt. Mit mehr als 20 Mannschaftswagen hatte die Polizei das Gerichtsgebäude förmlich umstellt. Am Eingang wurden alle ZuschauerInnen der Verhandlung auf gefährliche Gegenstände durchsucht. Mit grimmigen Gesichtsausdruck waren die Justizbeamte ausgestattet, die den Zugang zum Gerichtssaal kontrollierten. Ein Zivilpolizist verfolgte die Verhandlung aus dem Zuschauerraum, einige Sympathisantinnen des Angeklagten mussten wegen Platzmangels draußen warten.

Als im Anschluss an die Verhandlung ein kleiner Protestzug angeführt von Martin R.s Eltern zur Staatsanwaltschaft ziehen wollte, unterband die Polizei dies zunächst. Ein Polizist stolperte beim Versuch, einen Demonstranten festzuhalten über eine Unebenheit und ging samt Demonstrant zu Boden. Ein weiterer schubste sich aggressiv durch die Menge, sodass die Situation kurzzeitig zu eskalieren drohte. Als die Einsatzleitung eine Marschroute für die Demonstration vorgeben wollte, wurde die Versammlung offiziell aufgelöst. „Seit wann gebt ihr uns die Routen für unsere Demos vor?“, fragte einer der Teilnehmer. „Dann machen wir die Demo halt ein anderes mal!“

Trotzdem gingen Martin R. und etwa 20 Sympathisantinnen zur Staatsanwaltschaft. Verfolgt wurden sie von über 20 Mannschaftswagen der Polizei. Auf dem Wageplatz zündeten sie einige kleinere Silvesterknaller und zerstreuten sich dann nach kurzer Zeit.

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Ein Kommentar auf "Freispruch für Martin R."

  1. Rakete sagt:

    POL-GOE: (427/2011) Nach Gerichtsverhandlung gegen Angehörigen der
    linken Szene – Polizeibeamter zu Boden gerissen und leicht verletzt,
    Tatverdächtiger ermittelt

    Göttingen (ots) – Göttingen, Maschmühlenweg

    Montag, 4. Juli 2011, gegen 13.40 Uhr

    GÖTTINGEN (jk) – Im Anschluss an eine Gerichtsverhandlung gegen
    einen Angehörigen der örtlichen linken Szene vor dem Göttinger
    Amtsgericht ist ein Beamter der Bereitschaftspolizei am
    Montagnachmittag (04.07.11) gegen 13.40 Uhr leicht verletzt worden.

    Nach derzeitigen Erkenntnissen hatten sich nach Verhandlungsende
    vor dem Hinterausgang des Gerichts im Maschmühlenweg ca. 35
    Sympathisanten des 21 Jahre alten Göttingers versammelt und zunächst
    mehrere Feuerwerkskörper gezündet.

    Als sich die Szeneangehörigen zu einem Aufzug formierten, sprach
    der Beamte die Gruppe an, um einen Versammlungsleiter zu ermitteln
    und beschränkende Verfügungen hinsichtlich des geplanten Marschweg zu
    besprechen. Dabei wurde der Polizist plötzlich von einem zunächst
    unbekannten jungen Mann aus der Gruppe zu Boden gerissen. Bei dem
    anschließenden Sturz prallte der Polizeibeamte mit dem Knie gegen
    einen Pfosten und verletzte sich leicht.

    Die nicht angemeldete Versammlung löste sich anschließend auf.
    Mehrere Kleingruppen verließen den Ort in verschiedene Richtungen.

    Der mutmaßliche Körperverletzer flüchtete, konnte aber wenig
    später in der Innenstadt wiedererkannt und ergriffen werden. Der 16
    Jahre alte Jugendliche aus Göttingen ist polizeilich bereits bekannt.
    Er wurde nach Personalienfeststellung entlassen.

    Die Polizei leitete insgesamt vier Ermittlungsverfahren wegen
    Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Beleidigung, Verstoßes gegen
    das Versammlungsgesetz und gegen das Sprengstoffgesetz ein.

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