Stadtrundgang zur Frauenbewegung

100 Jahre Frauenkampftag
von am 19. März 2011 veröffentlicht in Soziale Bewegungen, Titelstory

Mehr als 200 Menschen haben am Samstag Nachmittag an das 100. Jubiläum des Frauenkampftages erinnert. In einem „DEMOnstrativen Stadtrundgang“ zogen sie drei Stunden lang durch Göttingens Innenstadt. An 13 Stationen machten sie Halt, um über Ereignisse der Frauenbewegung zu informieren. Bei uns könnt ihr den Stadtrundgang virtuell nachgehen und einige der gehaltenen Redebeiträge nachhören oder nachlesen.

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Altes Rathaus

Schlaglichter: Entstehung des 8. März und der Frauenbewegung in Deutschland


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Düstere Straße

Entwicklung der autonomen FrauenLesbenbewegung seit den Siebziger Jahren


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Turmstraße

„Stop the war on whores!“ Internationale Sexarbeiter_innenkämpfe um Rechte und Anerkennung


Redebeitrag anhören:

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JuzI

Street Art, Graffiti, Siebdruck: Queer-feministische Öffentlichkeit


An dieser Station wurde eine Ausstellung über feministische Streetart gezeigt. Dazu wurden Häppchen und Sekt gereicht.
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Kreishaus

„Gegen Nationen und gegen die Hetze, gegen rassistische Sondergesetze“


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Unser Thema im Rahmen dieses Stadtrundganges anlässlich des 100jährigen internationalen Frauenkampftages 2011 lautet: „Frauen-Migration und Kulturalisierung: ein christdemokratisches Märchen vom aufgeklärten Abendland.“ Der Standort Kreishaus bietet sich hier an, da der Landkreis von einer schwarz-grünen Koalition geführt wird.

Inhaltlich werden wir die Zumutungen christdemokratischer Politik gegenüber Frauen und MigrantInnen offen legen. Der Schwerpunkt christlicher Konservatismus trägt der aktuellen und historisch langjährigsten Regierungswirklichkeit im BRD-Staat Rechnung. In diesem politischen Klima haben Christdemokraten stets dafür gesorgt, dass „den Christlichen Kirchen (…) eine unverzichtbare Rolle bei der Vermittlung der unserem Gemeinwesen zugrunde liegenden Werte“ zufällt, so der aktuelle Koalitionsvertrag der Bundesregierung. Damit haben CDU/CSU einen gesellschaftlichen Rahmen geschaffen, der eine säkulare Struktur des Staates oft fragwürdig macht. Nicht nur MigrantInnen die keine christliche Werteorientierung besitzen, auch weiß-deutsche Nicht-Gläubige, werden zwangsläufig von der politischen Realität dieser christlich-abendländischen Werteorientierung heimgesucht. Ob am Arbeitsplatz, wo die Kirchen als größter Arbeitgeber ihre besondere Stellung zur Ausbeutung jenseits der Tarifautonomie nutzen und sich Mitspracherechte über die persönlichen Lebensverhältnisse ihrer Angestellten vorbehalten. Oder dort, wo die gleichzeitige Verpflichtung des demokratischen Staates auf Religionsfreiheit neuerdings auch anderen Religionen einen gesellschaftlichen Gestaltungsauftrag zusprecht. Schließlich haben christdemokratische PolitikerInnen mit der Islamkonferenz einen Ort geschaffen, von dem aus reaktionär-religiöse Vorstellungen von Geschlecht verfassungskonform zurecht gebürstet wieder auf die Bevölkerung losgelassen werden.

Hier liegen die Konfliktlinien begründet gegen die wir die Perspektive einer feministischen Kapitalismuskritik stark machen wollen. Wir fragen nach Traditionen konservativer Politik und deren strukturellen Diskriminierungspotential in Staat und Standort. Des weiteren nach den Bildern von Frauen, MigrantInnen und Kultur die der zeitgenössische Konservatismus liefert und deren gegenwärtiger Attraktivität für’s Wahlvolk. Zunächst aber gilt es frauenpolitische Initiativen der Christdemokraten zu durchleuchten, weil diese unbestritten für einheimische wie für migrantische Frauen relevant sind.

Aber Moment, Frauenpolitik? Ist dieser Ausdruck so richtig? Fraglos wird er von den C-Parteien im Munde geführt, doch schon ein Blick auf zuständige Ministerium macht deutlich, dass Frauenpolitik hier wesentlich als Familienpolitik begriffen wird. Es hat folglich gliederte auch die schwarz-gelbe Koalition 1985 Frauenfragen in diesem Ministerium an. Bezeichnend trägt das Haus heute durch Erwähnung von Familie, Jugend, Frauen und Senioren einen Namen, der sämtliche Bevölkerungsteile außer Männern erwähnt.Die ministeriell verfolgte Vereinbarungspolitik für Beruf und Familie formuliert folglich einen Gestaltungsauftrag, der vorrangig an die Lebensplanung von Frauen appelliert. Nicht Frauen-, sondern Familienpolitik ist das wesentliche Element des christdemokratischen Selbstverständnisses. Das dann allerdings –wir hier zeigen werden – klar zu Lasten von Frauen.
Konkrete Familienpolitik erklärt sich aber nur mit Blick auf ihre juristischen Grundkoordinaten und historisch gelebten Rechtswirklichkeiten von Familie. Zu nennen ist der besondere Schutz, den die monogame-hetero-Ehe-und Familie nach Art.6 des Grundgesetz genießt. Der Artikel steht im Rückbezug zur Weimarer Verfassung wo die „Ehe als Keimzelle des Staates“ galt. Für den Schutz des Gesetzgebers ist folglich nicht das Selbstverständnis von Individuen die sich als Familie oder Lebensgemeinschaften begreifen ausschlaggebend, sondern die Ehe als potentiell reproduktive Einheit. Während Eltern mit den materiellen und geistigen Anforderungen des Familienlebens, neben der Erwerbsarbeit in erster Linie alleine gelassen werden, können Staat und Kapital ihren Bedarf an Steuerzahlern und Arbeitskräften durch die unbezahlten Mühen von Familien, zumeist von Müttern bereitstellen lassen. Gleichzeitig müssen sich alle anderen Formen von Lebensgemeinschaften, so stets am normativen Ideal der Ehe messen lassen. Selbst wo ausdrücklich keine vertragliche Form von Gemeinschaft angestrebt wird, klassifizieren Sparpolitik und Behördenmitarbeiter „Bedarfsgemeinschaften.“ Das Zwangsverhältnis der ökonomischen Abhängigkeit in der Ehe – klassischer Gegenstand feministischer Kritik – wird so in eine flexibilisierte Formenvielfalt überführt, ist aber keinesfalls aufgehoben. Soweit also zu den sozialen Strukturen, innerhalb derer Familienpolitik operiert. Daran schließt sich die Frage an, wie Christdemokraten diese Strukturen gestaltet haben. Denn freilich lassen die staatspolitischen Akteure ihre Familien niemals ganz alleine. Nein, denn die Erziehung von Kindern ist unzweifelhaft im existenziellen Interesse des Staates, der den abstrakten Allgemeinwillen konkretisieren soll, und begründet parteipolitische Förderziele.

Für interessierte LeserInnen haben wir diese familienpolitischen Maßnahmen noch einmal in ausführlicher Form in einer Langfassung dieses Beitrags dargestellt, die hier auch von den GenossInnen verteilt werden. Mündlich will ich daher auf diese drei tragenden Säulen der christlichdemokratischen Familienpolitik hinweisen.

Da wäre zunächst die einkommenssteuerliche Vergünstigung des berüchtigte Ehegattensplitting zu nennen, welches die Adenauerregierung 1951 aus dem Recht des NS-Staates übernahm. Bekanntermaßen verhindert diese Regelung bis in unsere Tage eine ökonomische Eigenständigkeit der geringer verdienenden PartnerInnen. Wer so in der besonders geschützten Ehe- und Familie ökonomisch-durchschnittlich die Hosen an hat, darf angesichts der fortbestehenden Lohndifferenzen zwischen den Geschlechtern also kaum bezweifelt werden. Und nichts anderes zählt im Kapitalismus.

Des weiteren das ezreaktionäres Projekt der Gründung des Bundesministeriums für Familie selbst. Hier kam die Adenauerregierung inoffiziell den Wünschen des katholischen Klerus entgegen. Der erste Familienminister Wuermeling, begründete hier die Notwendigkeit eines Familienlastenausgleichs mit der dreisten Lüge, dass die gesellschaftliche Spaltung nicht zwischen den Klassen, sondern zwischen Kinderarmen und kinderreichen Familien verliefe. Somit formulierte er die Leitlinien christlicher Sozialpolitik in offener Abrede des Gegensatzes zwischen Kapital und Arbeit. Zentrales Ziel christlicher Familienpolitik war somit schon immer die soziale Frage als solche zu leugnen. In diese Kontinuität stellte sich später auch Heiner Geißler, erster Familienminister der Christlich-liberalen Koalition in den 80ern und Autor der Studie „neue soziale Frage.“ Gar nicht so neu also, wurden hier wiederum zugunsten von Familien die Klassenfrage verworfen.

Das dritte Versäumnis christlicher Familienpolitik verpasste schließlich während der legendären Wachstums- und Babyboom-Phase in den frühen 60er den Aufbau einer bedarfsgerechten Infrastruktur der Kinderbetreuung.
Die gegenwärtige CDU-Familienpolitik will freilich von diesen Versäumnissen nichts wissen. Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist angesichts des gesellschaftlichen Wandels und der gesunkenen Reallöhne unverrückbarer Standard für Familienpolitik jedweder Couleur. So versprach Ex-Familienministerin von der Leyen bis 2013 einen gesetzlichen Betreuungsanspruch für Kinder ab einem Jahr. Ein leeres Versprechen vermutlich, da die Kommunen beanstanden lediglich 1/3 des real-nachgefragten Bedarf decken zu können. Denn auch das ist unzweifelhaft Realität im gegenwärtigen Kapitalismus, krisenbedingte Staatsverschuldung und sinkende Steuereinnahmen aus Löhnen und Kapitaleinkünften, setzten die faktischen Gestaltungsspielräume von Politik sehr eng. Voraussichtlich bleiben somit die sozialen Realitäten insbesondere von Frauen die sich für Kinder entscheiden von der berühmten Doppelbelastung bestimmt. Realitäten oder auch Zwänge die freilich nicht naturgegeben, sondern der waren produzierenden Gesellschaft als solcher immanent sind.

Dennoch bekundet der aktuelle Koalitionsvertrag ausdrücklich den politischen Willen, dass „mehr Kinder in Deutschland geboren werden.“ Nun ist der Regierung aber neben der bloßen Anzahl gerade auch die Qualität des zukünftigen Humankapitals essentielles Anliegen. Nachdem über Jahrzehnte die familienzentrierte Erziehung gefördert wurde muss die legendär geringe soziale Mobilität zwischen den Generationen für die BRD kaum überraschen. Nunmehr jedoch sollen die Armen lernen dass ihr Nachwuchs den staatlichen Förderzielen im Wege steht. Arbeitsministerin von der Leyen setzte so ab 2011 die Streichung des Erziehungsgeldes für Hartz IV- EmpfängerInnen durch. Wer aber sind diese LeistungsempfängerInnen überhaupt? Gerade Niedriglohngruppen und Teilzeitarbeitende müssen die Kürzungen oft ausbaden. Da sie mit dem Wegfall ihrer Arbeitsplätze häufig direkt in die Zuständigkeit von Hartz IV abrutschen. In dieser Hinsicht sind vor allem Frauen und MigrantInnen, mit den Regelungen konfrontiert. Faktoren wie die Nichtanerkennung im Ausland erworbener Berufsabschlüsse, oder die ungleichen Partizipationsmöglichkeiten an Bildung hierzulande summieren sich in diesem Punkt zur empirischen Faktizität migrantischer Lebenssituationen. Halten wir damit für die bevölkerungspolitischen Strategien der Unionsparteien also fest, dass sie staatliche Förderung und Leistungen gezielt einsetzen um die Reproduktion einer deutschen, ebenso wie einer migrantischen Unterschicht nach Möglichkeit einzudämmen. Mit ihrer tradierten Familienpolitik der Steuervergünstigungen und der Vernachlässigung einer bedarfsorientierten Kinderbetreuung hat sie zugleich aber auch jene Familienstrukturen mit geschaffen, die Erziehung und Bildung weitgehend im Mikrokosmos Familien belassen.

So wird zugleich über die Generationen hinweg sowohl die gesellschaftliche Elite, wie auch die Unterschicht zuverlässig reproduziert. Für deutsche, wie für migrantische Frauen sind so Realitäten geschaffen worden, die Müttern eine öffentliche Partizipation erschweren. Das gilt für Lohnarbeit, für politisches Engagement, oder auch einfach für vitale außerfamiliäre Beziehungen. Mehrfachbelastungen und materielle Abhängigkeiten bilden hier Rahmenbedingungen die Frauen oftmals ein Verharren in psychisch, oder gar physisch gewalttätigen Familiensituationen nahe legen. Zugleich erleben Kinder in solchen ökonomisch-emotionalen Zwangsgemeinschaften den Druck ihrer Eltern von klein an hautnah mit. Schon ohne offene Gewaltausbrüche wird das kindliche Erleben von Geschlechterrollen hier brutal von den politisch-ökonomisch geschaffenen Zwängen mitbestimmt.Freilich versucht die gegenwärtige christdemokratische Politik hier auch die übelsten Ausfälle zu korrigieren. Der „Aktionsplan gegen Gewalt gegen Frauen“ von 2007, etwa soll laut Frau von der Leyen vor allem die Hilfen für migrantische Frauen und Kinder verbessern. Das hier aber freilich nur an der Spitze jenes Eisberges gekratzt wird, in dem die reaktionär christliche Sozialpolitik, Familien und somit gerade Mütter und Kinder selbst eingefroren hat, dies unbestreitbare Faktum dürfte bis hierhin klar geworden sein.

Um nun jedoch dem Thema „Frauen-Migration und Kulturalisierung“ gerecht zu werden empfiehlt sich weiter ein genereller Blick auf die migrationspolitischen Aspekte christdemokratischer Politik. Schließlich ist das Verhältnis der C-Parteien zu MigrantInnen in der BRD berüchtigt. Gerne trug und trägt das politische Christentum hier kulturalistische Kreuzzüge aus im Kampf um die erwünschten Kreuzchen auf den Wahlzetteln der BürgerInnen.

So machten sich die Unionsparteien bereits 1988 für die faktische Abschaffung des Asylrechts stark. Doch erst im nationalen Taumel, des wiedervereinigten Staates wuchs die ablehnende Haltung der Mehrheitsbevölkerung gegenüber Flüchtlingen stark an. Erst angesichts der damaligen Wahlerfolge von Republikanern fürchtete nunmehr eine gesetzgebende Mehrheit auch von SPD- und FDP-PolitikerInnen ihre Stimmen an den „rechten Rand“ zu verlieren und verabschiedeten den sogenannten „Asylkompromiss.“ Waren die Christdemokraten damals politische Vordenker im schlechten Sinne des strukturellen Rassismus, sahen sie sich später unter Rot –Grün gezwungen diese Politik als „Dagegen-Partei“, sprich als Reformblockierer fortzusetzen. So war anlässlich der von Rot-Grün initiierten Reform des Staatsangehörigkeitsrechtes, die immerhin das Prinzip der Blutabstammungaufweichen sollte, der christdemokratische Aufschrei unüberhörbar. Legendär geworden sind in diesem Kontext etwa das Zitat Edmund Stoibers, der mit der doppelten Staatsbürgerschaft eine Gefährdung der Inneren Sicherheit prognostizierte, welche dem Staat mehr zusetzen könnte als einstmals die RAF. Gleichzeitig konnte CDU- Scharfmacher Roland Koch sein hessisches Ministerpräsidentenamt auch durch das populistisch wirksame Sammeln von Unterschriften gegen eine doppelte Staatsbürgerschaft gewinnen.

Nun ist seit der damaligen Debatte einiges an Zeit vergangen, und die gesellschaftspolitischen Realitäten haben sich verschoben. Nach langen Widerreden mussten auch die Unionsparteien einräumen, dass sie in einem „Einwanderungsland“ Politik betreiben. Ja selbst in den Reihen der eigenen Fraktion und der Koalition nehmen heute Politiker die keine Abstammungsdeutschen sind ihre Plätze ein. So richten sich heute die Zwecke auch der christdemokratischen Migrationspolitik vornehmlich am volkswirtschaftlichen Nutzen aus, den sie sich von AusländerInnen und/oder potentiellen NeubürgerInnen versprechen. Stilbildend ist hier die Rede von Bundespräsident Christian Wulf anlässlich der Feiern zu 20 Jahren deutscher Einheit. Zwar diskreditierte Wulf in klassisch christdemokratischer Manier multikulturelle Konzepte, denen er unterstellt „das Verharren in Staatshilfe, die Kriminalitätsraten und das Machogehabe, die Bildungs- und Leistungsverweigerung“ unter MigrantInnen bestärkt zu haben. Zugleich formuliert er aber auch einen „Konsens“ integrationspolitischer Forderungen an MigrantInnen wie sie auch im aktuellen Koalitionsvertrag vermerkt sind. Dieser Verhaltensimperativ lautet kurz und bündig, Spracherwerb, Erwerbsarbeit, Verfassungstreue und Antiextremismus. Schließlich sollen Rechte und Freiheiten im deutschen Staat nur um den Preis der Einigkeit auf diesen Verhaltenskatalog gewährt entsprechend meint Wulf “die Kraft zum Konsens – das ist Deutschland.“

Den Musliminnen gegenüber, die diesen Anforderungen zu genügen wissen gestand er dann immerhin zu, dass so auch der Islam zu Deutschland gehöre. In dieser Rede formuliert sich wohl die realpolitischste Position mit der christdemokratische Politik aktuell aufwartet. Selbstverständlich findet aber auch der christlich-abendländische Populismus in der Partei weiter seine Sprachrohre. Etwa wo der neue Innenminister Karl-Peter Friedrich an Wulfs Aussage beanstandet, dass der Islam zu Deutschland gehöre, ließe sich historisch nirgendwo belegen. Oder wo Extremismus-Expertin Kristina Schröder in kulturimperialistischer Manier verlautbart „Wir wollen schließlich einen deutschen Islam.“ In den öffentlichen wie den christdemokratischen Statements zum Komplex „Frauen, Migration und Kulturalisierung“ nimmt besonders Kritik an der vermeintlichen Situation „der Musliminnen,“ einen prominenten Platz ein. Das gilt besonders für die voyeuristische öffentliche Fixierung auf die Diskussionen um Zwangsverheiratungen.

Eine Thematik, die auch den christdemokratischen RegierungspolitikerInnen nicht entgangen ist. So hat die Regierung mittlerweile ein Gesetz gegen Zwangsverheiratungen, verabschiedet, das gestern in Kraft trat. Hier rühmt sich die christdemokratische Politik nun, das Rückkehrrecht von im Ausland zwangsverheirateten Frauen, die hier geboren und ausgebildet, sprich auf die Anforderungen des hiesigen Arbeitsmarktes zugerichtet wurden, auf bis zu 10 Jahren heraufgesetzt zu haben. Tritt jedoch ein umgekehrter Fall ein, sprich wird eine zugewanderte Frau zwangsverheiratet, und hat hier folglich keine ökonomisch nutzbare Schulbildung durchlaufen, so setzte die Regierung ihre notwendige Verharrungsdauer in der Zwangsehe bis zur Erlangung eines selbstständigen Aufenthaltsstatus von 2 auf 3 Jahre hinauf. Hinter dem humanitären Deckmäntelchen wird also wieder mal unverhohlen die Knute des volkswirtschaftlichen Nutzens geschwungen

Neben den legislativen Maßnahmen entfacht der politisch-mediale Diskurs zu Zwangsheirat aber auch andere Wirkungen in der hiesigen Öffentlichkeit. So wird das Thema meist direkt mit islamischen Gesellschaften, beziehungsweise mit MigrantInnen, die aus diesen Gesellschaften hier zugewandert sind, identifiziert. Wenn auch das Familienministerium selbst einräumen muss, dass derartige Fälle auch in den muslimischen Communities marginale Zustimmung erfahren und nicht auf muslimische Gemeinschaften begrenzt sind, werden solche Differenzierungen von den fetten Schlagzeilen letztlich geschluckt. Hier wird der Öffentlichkeit ein doppeltes Zerrbild vermittelt. Das heißt, zum einen verschleiern sie sowohl die real diversen Situationen von Musliminnen und ihren Familien, zum Anderen verfälschen sie die faktischen Bedingungen und Partizipationsmöglichkeiten der vielfältigen Positionen von MigrantInnen in der BRD. Eine Offenlegung der ideologischen Aussagen durch Fakten gestaltet sich allerdings schwierig, weil die Positionen und Perspektiven von Musliminnen nicht nur differenziert, sondern zugleich marginalisiert sind

Es kann aber aus dem kulturalistischen Diskurs Wesentliches über die geschlechtsspezifischen Verhältnisse in der eigenen Gesellschaft gelernt werden. Denn die als Negativbeispiele beschriebenen Musliminnen erlauben den deutschen Frauen eine positive Identifikation mit der eigenen Kultur, der nationalstaatlich garantierten formalen Gleichberechtigung und schließlich ihrer Position als Erwerbstätige. Das geschieht über drei zentrale Motive mit denen die genannten Frauenrollen im Diskurs verknüpft werden, nämlich erstens, der Beschreibung von Musliminnen als fremdbestimmte Opfer, die keine öffentlichen Handlungsspielräume wahrnehmen können. Zweitens der sexuelle Fremdbestimmung Zwecken der familiär-patriarchalen Reproduktion. Und schließlich drittens, durch die Darstellung einer ökonomischen Fremdbestimmung zwangsverheirateter Frauen.

Sind diese kulturalistischen Zuschreibungen erst einmal aufgezogen, können sich die einheimischen Frauen als selbst bestimmt in der Wahl ihrer privaten Beziehungen, ihrer sexuellen Selbstbestimmung und ihrer öffentlichen Partizipation, etwa durch Erwerbsarbeit, fühlen. Tatsächlich bestehen dagegen wie wir in diesem Beitrag gezeigt haben eine ganze Reihe informeller Hemmnisse fort, durch die sie nach wie vor diskriminiert werden. Statt sich über die Möglichkeit, seine Arbeitskraft verkaufen zu dürfen und sich gleichzeitig um Kinder und Haushalt kümmern zu müssen, zu freuen, muss also aus einer linksradikalen Perspektive von Emanzipation überlegt werden, welche Bedeutung privates und öffentliches Leben, sexuelle Selbstbestimmung und schließlich Erwerbsarbeit für Frauen unserer Gesellschaft im gegenwärtigen Kapitalismus besitzt.

Für die Christdemokraten dagegen liegt gerade in der kulturalistischen Abgrenzung ein ideologischer Gewinn, in dem Diskurs um Zwangsverheiratung. Denn wie ausführlich dargelegt wurde haben die Zumutungen konservativer Familienpolitik ja die faktisch desolaten Situationen von Frauen hierzulande mit geschaffen. Diese Tatsache wiederum will der absurde christdemokratische Rekurs auf das aufgeklärte Abendland nun aber tunlichst verdecken. Dagegen rufen wir zur Dissidenz auf.
Wir sagen vielen Dank für die Blumen, aber wir scheißen auf eure christliche Familienidylle, die lediglich verdecken soll, wo die realen Konfliktlinien verlaufen. Zugleich positionieren wir uns unversöhnlich zu den Zumutungen, die in der kapitalistischen Gesellschaft schließlich auch gerade jenseits der christdemokratischen Politprojekte bestehen.

Also vielen Dank für nichts – gegen Integration und Ausgrenzung – für den Kommunismus!

Dieser Redebeitrag der Antifa-Gruppe redical M wurde auf dem Stadtrundgang aus zeitgründen nur zur Hälfte verlesen. Einen ausführlichen Artikel von der Gruppe zum Thema gibt es hier.

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Mauerstraße

Geschichte des Frauenforums


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Barfüßerstraße

Das erste ambulante pädagogisch-therapeutische Frauen-Zimmer für psychiatrieerfahrene Frauen in Göttingen


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Auditorium

„Die Frau soll studieren, weil sie studieren will!“ (Hedwig Dohm) Frauenbildung in Göttingen


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Staats- und Universitätsbibliothek

„Blauer Turm bleibt männerfreie Zone, damit man frau für heut‘ verschone“

Aus Zeitgründen wurde diese Station auf dem realen Stadtrundgang ausgelassen, der Redebeitrag an anderer Stelle gehalten
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Obere Masch

Proletarische Frauenbewegung


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Prinzenstraße I

„Patri- waaaas??? Interview mit einem Alien über Geschlecht, Patriarchat und Kapitalismus“


Redebeitrag anhören:

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Prinzenstraße II

Sexismus im Alltag junger Frauen


Redebeitrag anhören:

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Altes Rathaus

„We are here, we are queer!“ Pink’n’silver


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7 Kommentare auf "100 Jahre Frauenkampftag"

  1. Dude sagt:

    Ich finde es gut, dass die Gelegenheit genutzt wird an diesen denkwürdigen Tag zu erinnern. Schließlich ist gerade die aktuelle Frauenquote das sexistischste, was je im deutschen Bundestag, der Regierung, den Medien dikutiert wurde. Noch nie wurden Frauen so auf ihr Geschlecht reduziert. Ein Armutszeugnis.

    Gleichberechtigung ftw!

  2. Folivora sagt:

    http://politicalirony.com/2008/08/08/a-concise-history-of-black-white-relations-in-the-us/

    Dude: Es geht zwar nicht um Geschlecht, die Argumentation bleibt die selbe. Also halt die Klappe.

  3. Rakete sagt:

    Ergänzung: Textbeitrag von der Station am Kreishaus (#5)

  4. Dude sagt:

    RIchtig. Es geht in diesem (gelungenen!) Comic nicht ums Geschlecht. Daher sehe ich keinen Zusammenhang. Diese Argumentation musst du mir erläutern.

  5. Ballroom sagt:

    web 2.0 Mund verbieten ftw

  6. Rakete sagt:

    Ergänzung: Audiobeitrag von der Station Prinzenstraße II (#12)

  7. Grobi sagt:

    der DEMOnstrative stadtrundgang war der absolute knüller, großes lob und dankeschön an die veranstalter*innen, sowas ist so unheimlich motivierend :-)!
    ich hoffe allerdings, dass die männlich sozialisierten menschen, die mit dabei waren,nicht glauben: okay, jetzt habe ich mich inhaltlich mit antisexismus/feminismus auseinandergesetzt und deswegen bin ich folglich auch garnicht mehr sexistisch und mackrig in meinem verhalten.denn dem ist nicht so.
    ich finde es ganz wichtig deutlich zu machen, dass ein typ, nur weil er (vermeintliche) ,,ahnung“ von antisexistischen theorien hat, diese im allerseltensten falle fähig ist umzusetzen. vielmehr klugscheißern die meisten mit ihrem wissen nur rum, ändern aber de facto nichts an ihrem männlich-dominanten verhalten.
    deswegen fand ich auch den redebeitag der frauen*-falkengruppe ziemlich cool.
    @antifajungs mit coolen schwarzen mützen: es ist ja ganz nett, feminism-buttons zu tragen, aber denkt doch bitte ersteinmal über euer auftreten nach, bevor ihr euch mit eurer ach so emanzipatorischen meinung profiliert!

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