Urabstimmung zum Uni-Semesterticket, Take Two
von Harvey am 17. Mai 2010 veröffentlicht in UnipolitikVon Dienstag bis Donnerstag (18.-20. Mai) stimmt die »Studierendenschaft« der Uni Göttingen erneut ab, ob sie ein Semesterticket bei der deutschen Bahn »bestellt«: Wohl eine taktische Pleite des AStAs.
Urabstimmungen, deren Ergebnis dann alle Studierenden dazu zwingen, einen festen Betrag pro Semester für den öffentlichen Personennahverkehr auszugeben, sind eine Spezialität sogenannter öffentlich-rechtlicher Zwangszusammenschlüsse. Wer studiert, kann sich nicht aussuchen, ob sie oder er hier zur Gruppe der Semesterticketinhaber gehören möchte. Deshalb ist der Katalog an Dingen, die so zwangsweise für alle eingeführt werden können, auch begrenzt, beinhaltet nach höchstrichterlicher Ansicht aber sicherlich auch das Semesterticket.
Die Geschichte des Semestertickets in Göttingen ist auch die (jüngere) Geschichte der Urabstimmungen in der Studierendenschaft. Zwar könnte wohl auch die gewählte Studierendenvertretung ein Semesterticket im Alleingang einführen (das ist in anderen Unis auch schon geschehen), aber so richtig mochte man wohl nicht riskieren, das »hochpolitische« Thema »eigener Geldbeutel« politisch zu verantworten. Gleichzeitig hatten die in der Vergangenheit zusammen mit den Wahlen durchgeführten Urabstimmungen den Effekt, dass sich die Wahlbeteiligung insgesamt stark erhöhte.
Vor den letzten Wahlen allerdings gab es ein Novum: Die Angebote von privaten Bahnunternehmen Metronom und Cantus, die relativ zentrale Strecken nach Norden und Süden bedienen, und andererseits der Deutschen Bahn und einiger privater Anbieter kleinerer Strecken lagen getrennt vor und wurden getrennt abgestimmt. Während die die »Hauptachsen« bedienenden Metronom und Cantus für ihr Semesterticket 25,57 Euro veranschlagten, kalkulierte die Deutsche Bahn mit einem Angebot von 42,24 Euro – trotz erheblich geringerer Nutzung im Vergleich zu Metronom und Cantus.
Ziemlich personalidentisch mit Teilen der den AStA stellenden ADF richtete sich vor den studentischen Wahlen im Januar eine Gruppe Studierende mit Flyern und Werbung im Internet an die Studierendenschaft mit einem vermeintlich einfachen Plan: Man solle das eine Ticket – das von Metronom und Cantus – annehmen, das der Deutschen Bahn allerdings ablehnen. Damit wäre, so die wagemutige Vermutung, die DB zu Nachverhandlungen gezwungen.
Zunächst war diese Kampagne erfolgreich: Genau den Plänen folgend war nämlich das Ergebnis der Abstimmung. Absolut nicht den Plänen folgend war allerdings die Reaktion der DB: es gab quasi keine. Dabei hatte doch der im Januar gewählte (Teil-)AStA selbst die eigene Vorstellung beim damaligen Wissenschaftsminister Stratmann dazu genutzt, Lobbyarbeit für ein »besseres Angebot« durch die DB zu machen. Der Effekt war aber doch etwa so, wie wohl bei der falschen Adresse der eigenen Bemühungen zu erwarten war. Die DB hat wohl keinen wirklichen Druck verspürt und ist ganz locker in der Position geblieben, die Bedingungen zu diktieren.
Damit steht nun dasselbe Semesterticket wie im Januar noch mal zur Abstimmung. Allerdings sind nun die Vorzeichen ganz andere: Es ist keine kombinierte Wahl mehr. Die größte Gefahr dürfte dem Semesterticket daher wohl durch die Wahlbeteiligung, das sogenannte Quorum, drohen. Mindestens 15 Prozent der Wahlberechtigten müssen nämlich überhaupt abstimmen, damit das Ergebnis überhaupt etwas zählt. Ernsthaft auf die Probe gestellt wurde der Paragraph der »Organisationssatzung« noch nicht, allerdings dürfte wohl sogar erforderlich sein, dass 15 Prozent der Berechtigten auch für die Annahme stimmen. Die Frage, ob es mit den 15 Prozent um die Abstimmungsbeteiligung geht oder aber um die Mindestzahl der für ein Semesterticket stimmenden, könnte diesmal entscheidend sein.
Viel zu spät und vielleicht gar außerhalb der Fristen wurde die Urabstimmung bekannt gegeben, der Werbeaufwand hält sich sehr in Grenzen, die Abstimmungslokale sind von der Zahl her viel weniger als bei studentischen Wahlen und der Wahlzeitraum ist kürzer: Viel spricht dafür, dass die größte Abstimmungsmotivation ohnehin bei denjenigen liegt, die das Ticket trotz höherer Kosten einführen möchten. Angesichts der widrigen Umstände erscheint es aber durchaus zweifelhaft, dass diese Gruppe die 15 Prozent erreicht.
In der politischen Rechnung war auch sicher nicht enthalten, dass an den »Reststrecken« im Angebot der Deutschen Bahn zahlenmäßig weniger Studierende interessiert sein werden als an den »Hauptstrecken«, die bereits abgedeckt sind. Der eigentliche Todesstoß für das »große« Semesterticket könnte dann auch schon die Aufteilung in zwei Tickets gewesen sein. Und vielleicht glaubt selbst die Bahn nicht wirklich an eine Annahme…
Andere wiederum meinen, allerdings ohne dem Quorum Aufmerksamkeit zu widmen, .
Tja, damit hat die ADF sich wohl selbst ein Ei gelegt… Einen um 88 Cent niedrigeren Wucherpreis von nunmehr noch 42,24 Euro als Erfolg darzustellen (O-Ton: „Immerhin belaufen sich die Ersparnisse für alle Studenten ja dank der Verhandlungen auf rund 40.000(sic!) Euro im Jahr!“) ist ganz schön peinlich. Zumal nach dem Aufwand, der im Januar betrieben wurde, damit das Wahlvolk auch bloß mit ‚Nein‘ abstimmt. Man denke nur an die farbliche Gestaltung der Wahlzettel: der Metronom-Vorschlag auf grünem Papier, der böse Bahn-Vorschlag auf rotem Papier.
in einer Re-Analyse seiner Umfrage von 2007 hat der Asta wohl übrigens Folgendes herausgefunden:
– nur 5% der Semesterticketnutzer*innen nutzen Züge der DB direkt ab Göttingen
– 40% der Semesterticketnutzer*innen nutzen überhaupt Züge der DB
– insgesamt trägt die DB nur 24% der durch Göttinger Studierenden verursachten Verkehrslast
– der Preisanteil der DB am Gesamt-Semesterticket ab 01.10.2010 würde 57% betragen
noch Fragen?
PS. Eine Bahncard50 kostet im Jahr übrigens in etwas dasselbe wie das aktuelle Semesterticket (118,-). Die kann ich mir allerdings auch so kaufen, ganz ohne Asta. Auch kann ich damit in ganz Deutschland umherfahren, nicht nur in die Richtung, in der der Asta denkt, dass ich wohl fahren wollte.
Ja, ich muss dann zwar immer noch zu viel für eine Reise bezahlen (auch die Hälfte von unverschämt viel ist immer noch zu viel), die dauert dann aber auch keine 5 Stunden mehr. Und nicht zuletzt wäre da das gute Gefühl, nicht allen am-Wochende-aber-bitte-zu-Mama-Studierenden ihr fragwürdiges Lebensmittelpunktkonstrukt unterstützt zu haben :-p
Mein Pessimismus was das Quorum anging, ist unbegründet: Die Urabstimmung war „erfolgreich“, das heißt dass sie positiv beschieden wurde. Von 22.358 Stimmberechtigten waren 5.743 abstimmen (knapp 26%), davon haben 4.403 mit „ja“ gestimmt und 1334 mit „nein“. 6 Stimmen waren ungültig. Damit ist das Quorum von mindestens 15% „Ja“-Stimmen erreicht.
Zur politischen Bewertung: Natürlich haben auch diejenigen ein wenig recht, die meinen, dass die Bahn nun erst recht sicher sein könne, dass sie die Preise diktieren kann. Allerdings glaube ich ja, dass die Bahn das eh nur recht periphär kümmert, die macht halt ’nen Preis und daran gibt es wenig zu rütteln. Persönlich bin ich überrascht, dass beim im Vergleich viel geringeren „Wahlkampf“ immerhin ein Viertel der Studis wählen war. Naja, Futter für die These, dass das Semesterticket auch bei den „normalen Wahlen“ der Beteiligungsfaktor Nummer eins ist.
http://undeadsystem.blogsport.de/ „Show a Undead System how to Die!“ Bundesweite Krisendemo am 12. Juni 2010 – Reden hat Jahrzehnte nichts zum besseren verändert, Zeit zu handeln!!! Wir werden nur bekommen wofür wir kämpfen! Arbeiter / Schüler / Studenten / Rentner / Arbeitslose – UNITE