Flüchtlingsschicksal

Lieber in den Tod als in das Kosovo
von am 6. Februar 2010 veröffentlicht in Hintergrund, Migration

Fadil Barisha erzählt seine Geschichte unter Tränen. „In diesem Krieg habe ich schon meine Schwester und ihre 6 Kinder verloren“, sagt er. Jetzt wieder in das Kosovo gehen? „Das ist sehr schwer“, erzählt der Familienvater. Sein Haus in dem Land, aus dem er vor zehn Jahren vor dem Krieg floh, sei abgebrannt. Familie habe er dort keine. Trotzdem müssen er und vor Allem sein Sohn Sead mit der Abschiebung rechnen. Es fällt ihm nicht leicht, vor Publikum von seinem Leid zu berichten. Aber es scheint die einzige Möglichkeit, seine Drohende Deportation noch abzuwenden.

Einmal saß er schon im Abschiebeflieger, das war Anfang Dezember. Über Budapest sollte es nach Pristina gehen. Sein Anwalt konnte das Schlimmste abwenden, kurz vor dem Start durfte Barisha wieder aussteigen.

Nun muss Sohn Sead sich vor staatlicher Deportation fürchten. Ihm wurde die Duldung nicht verlängert, auch deshalb, weil er als Straftäter gilt. Er hat gegen die Residenzpflicht verstoßen, drei Mal in zehn Jahren. Er hat eine Disco in Worbis besucht, das macht ihn zum Straftäter. „Sead hat nichts gemacht“, sagt sein Vater. Nur das, was Jugendliche nunmal tun – und was für jeden Deutschen selbstverständlich ist. Seit langem lebten und schliefen sie in Angst, erzählt Barisha. Angst davor, dass die Polizei nachts in ihr Haus einbricht und die Abschiebung vollstreckt.

So ist es Elvis A. ergangen. Er hat bereits eine Abschiebung aus seinem Wohnort Kassel in das Kosovo hinter sich. Nachts brach die Polizei die Wohnungstür auf und verhaftete ihn vor den Augen von Frau und Kindern – obwohl er einen festen Arbeitsvertrag gehabt habe, berichtet seine Ehefrau. Mittlerweile ist er wieder in Deutschland, illegal eingereist. Weil das Leben im Kosovo zu gefährlich sei.

Auch sein Haus im Kosovo sei verbrannt. „Wo soll er denn hingehen?“ fragt seine Frau, eine Famlie habe er dort schließlich auch nicht. Und seine ehemaligen Nachbarn hätten ihm gedroht: „Besser, du gehst wieder dahin, wo du hergekommen bist, oder dir wird etwas passieren“, sollen sie gesagt haben. Aus Angst, ermordet zu werden, reiste Elvis A. wieder nach Deutschland.

„Besser bringt ihr uns hier um, als dass ihr uns wieder in das Kosovo bringt“, sagt seine Frau. Sie hat Angst, im Kosovo vergewaltigt zu werden, würde sie dorthin abgeschoben. „Die bringen sogar kleine Kinder um!“, klagt sie. „Die verbrennen Kinder, das muss man sich mal vorstellen“, sagt eine Geistliche im Raum. Sie versucht, die erneute Abschiebung von Elvis A. noch abzuwenden, kurz vor der Resignation. Das Fernsehen will sie einschalten, vielleicht hilft das ja noch was.

Einfach ist es jedenfalls nicht, die Abschiebung von den rund 5000 Roma in Niedersachsen zu verhindern. Appelle an die Behörden endeten stets mit der Aussage, sie könnten nichts machen, so sei nun einmal die Rechtslage, berichtet Anne Berghoff vom „Bündnis gegen Rassismus und Abschiebungen.“ Letztlich müsse die Gesetzeslage verändert werden. Zunächst sei es immens wichtig, die Einzelfälle öffentlich zu machen. „Als außerparlamentarische Opposition versuchen wir, das zu skandalisieren“, sagt Berghoff. „Wir werden außerdem klar machen, dass es hier keine Abschiebungen ohne Widerstand gibt.“


Fadil Barisha, Anne Berghoff, Pastor Peter Lahmann

Sebastian Frede ist beim Niedersächsischen Flüchtlingsrat engagiert und Experte für die Lage im Kosovo. „Die Roma leben dort noch immer extrem ausgegrenzt“, berichtet er. Es sei eine „rassistische Ausgrenzung“, unter der sie dort zu leiden hätten. Die Wohnverhältnisse seien unzumutbar. „Teilweise sind das Barackensiedlungen, teilweise sehr sehr arme Wohnverhältnisse in Dörfern, mit acht oder zehn Leuten in ein, zwei Zimmern.“

Die Arbeitslosigkeit unter den Roma liege bei fast 100%, sie seien auf Schwarzarbeit angewiesen. „Es ist zynisch zu sagen, dass die Roma eine Chance hätten, sich dort eine Existenz aufzubauen“, sagt Frede. Schon für die Roma, die jetzt dort lebten, sei die Situation katastrophal. Sie verschlimmere sich um ein vielfaches dadurch, dass Leute dorthin abgeschoben würden. Schon jetzt gebe es immer wieder Berichte von Gewalttaten gegenüber den Roma, „bishin zu Angriffen mit Molotowcocktails auf ihre Siedlungen“, so Frede.

Gerade vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte sei die Abschiebepraxis in diesem Land skandalös und ein „ahistorisches Verhalten“, sagt Pastor Peter Lahmann. Hunderttausende Roma wurden in Deutschland zur Zeit des Nationalsozialismus verfolgt und getötet. Sebastian Frede sagt, die Frage sei, ob die Deutschen heute wieder einfach wegsehen wollten, wenn die Polizei nachts Wohnungen aufbreche und Menschen verschleppe.

Das „Bündnis gegen Rassismus und Abschiebungen“ ruft zu Zivilcourage gegen Abschiebungen auf. „Jeder weiß selbst am besten, was er für Möglichkeiten hat“, sagt Bündnis-Sprecherin Anne Berghoff. Am 9. Februar geht das nächste Flugzeug nach Pristina. Ob Sead Barisha und Elvis A. darin sitzen werden, wissen sie noch nicht.

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3 Kommentare auf "Lieber in den Tod als in das Kosovo"

  1. Rakete sagt:

    Ein Video von der Pressekonferenz, auf die sich der Artikel bezieht, findet sich hier: http://vimeo.com/9337159

  2. Heinz sagt:

    100% arbeitslose Roma im Kosovo. In Deutschland sieht es nicht anders aus.

  3. Harvey sagt:

    Ist das der magere Versuch eines impliziten Verweis auf „Arbeitsscheue“? Einfach Rassismen bedienen? Oder willst du völlig berechtigt anmerken, dass es den Flüchtlingen nicht nur beim Abschiebeziel, sondern auch am Abschiebeursprung völlig unnötig absurd schwer gemacht wird und sie schlicht keinen Status erhalten, der Arbeitssuche (und damit überhaupt eine Perspektive) ermöglicht?

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