Spekulationen und Vorverurteilungen

Feuer in der Ausländerbehörde
von am 26. Januar 2010 veröffentlicht in Antirassistische Politik & Verfolgung, Politik

Kurz vor 9 Uhr am vergangenen Freitag knallte in der Ausländerbehörde des Landkreises Göttingen. Ein Mitarbeiter hatte Rauchentwicklung in der Teeküche entdeckt und eilte mit einem Feuerlöscher herbei. Von der Wucht des explodierenden Brandsatzes wurde er aus der Tür mehrere Meter gegen eine Wand im Flur geschleudert. Er wurde mit Verdacht auf ein Knalltrauma in ein Krankenhaus eingeliefert, mittlerweile aber wieder entlassen. „Es hätten auch schwere Verletzungen entstehen können“, sagte Kripo-Chef Volker Warnecke.

So schildert es die Göttinger Polizei. Unbekannte hätten einen Brandsatz in der Küche platziert und entzündet. Was für ein Brandsatz das allerdings war, bleibt offen. Die Polizei spricht von einer „unbekannten Spreng- und Brandvorrichtung“. Ob es also tatsächlich ein Brandanschlag war, bleibt zunächst Spekulation.

Auch beim Tatmotiv wird spekuliert. Es sei womöglich politisch, so die Polizei. In der Nähe des Brandes sei ein Flugblatt mit der Forderung nach einem Abschiebestopp gefunden worden, jedoch kein klassisches Bekennerschreiben. „Wir haben zumindest den Verdacht, dass der oder die Täter aus dieser Motivation heraus diese Straftat begangen haben dürften“, sagte Warnecke. Dieser bloße Verdacht manifestiert sich sodann in den Schlagzeilen der Presse: „Terror in Göttingen“ heißt es an einer Stelle, „Politisch motivierter Anschlag auf Kreishaus in Göttingen“ an einer anderen. Und auch wir fielen auf die PR-Strategie der Polizei zunächst herein.

Zugegeben: ein Zusammenhang zu den Protesten gegen Abschiebungen in Göttingen ist denkbar. Dass ausgerechnet die Teeküche der Ausländerbehörde in Flammen aufgeht, muss kein Zufall sein. Aber es kann eben auch der Versuch der Kriminalisierung einer Protestbewegung durch Vorverurteilung sein. Auch vier Tage später hat die Polizei noch keine heiße Spur, macht im Subtext aber „linke Extremisten“ dafür verantwortlich. BKA und LKA hätten dieser Einschätzung nicht widersprochen. Bestätigt haben sie sie aber offensichtlich auch nicht.


Wo geht’s denn hier zur Ausländerbehörde?

Das Stadtmagazin goest macht in diesem Zusammenhang auf Parallelen in zwei ähnlich gelagerten Fällen aufmerksam. Bei einem Brand in einem Göttinger Afroshop, gegen den es zuvor rassistische Anfeindungen gegeben hatte, war sich die Polizei ebenso schnell sicher wie im Fall der Ausländerbehörde: kein Brandanschlag, ein technischer Defekt sei die Ursache gewesen. Bis heute ist das abschließende Ergebnis der Untersuchung nicht bekannt.

Ähnliches gilt für den Brand im Sozio-Oeconomicum auf dem Campus. Bei dem Feuer im Jahr 2006 kam ein Feuerwehrmann ums Leben. In diesem Fall wurde konstatiert, der Brand sei durch einen technischen Defekt im ehemaligen linken Café Kollabs entstanden. Abschließend aufgeklärt wurde auch dieser Fall nicht, die Vorverurteilungen blieben jedoch.

In den vergangenen Wochen kam es in Göttingen zu mehreren bislang friedlichen Protesten gegen die drohende Abschiebung von Roma in das Kosovo. Erst am Mittwoch versuchten rund 100 Menschen erfolglos, die Abschiebung eines Roma durch eine Blockade des Amtsgerichtes zu verhindern. Zwei Wochen zuvor besetzten Protestierende ein Büro der Ausländerbehörde der Stadt Göttingen. Womöglich sehen die Aktivist*innen und Unterstützer*innen der von Abschiebung Betroffenen sich demnächst mit Überwachungs- und Repressionsmaßnahmen konfrontiert, die mit einer „Eskalation der Gewalt“ in Bezug auf den Brand im Kreishaus gerechtfertigt werden.

Mit Dank an unsere kritischen Leser*innen fürs Augenöffnen.

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4 Kommentare auf "Feuer in der Ausländerbehörde"

  1. Irgendwasanderes sagt:

    Am Abend stürmten ca. 15 Polizisten ein Wohnprojekt in der Roten Straße in Göttingen. Zu dem Zeitpunkt befanden sich 4 Bewohner des Hauses vor Ort. Weitere Einheiten, ca. 20 Wannen, sicherten die gesamte Rote Straße ab und ließen nach und nach nur Anwohner, die sich ausweisen konnten durch. Zunächst war der Grund für die Hausdurchsuchung völlig unklar. Auch die Presse wurde nicht durchgelassen, mit der Begründung, dass die Pressesprecherin selbst noch nicht vor Ort war. Als diese ca 40min. nach Einsatzbeginn erschien, gab sie an, „die Hausdurchsuchung stehe im Zusammenhang mit dem Brandanschlag auf die Ausländerbehörde.“ Pressemitarbeiter dürften erst durch, sobald der Einsatz abgeschlossen sei, sagte sie desweiteren. Das Gerücht, dass geplant sei nach und nach die weiteren Häuser des Wohnprojekts Rote Straße zu durchsuchen, sollte sich aber im Verlauf nicht bestätigen.
    An der Absperrung des unteren Teils der Roten Straße sammelten sich spontan ca. 200 Personen, die sich mit den Betroffenen solidarisierten und schließlich kam es spontan zu einer Demo durch die Innenstadt.
    Ein Anwalt war bald vor Ort. Jedoch konnte, wie durch die Bewohner des Hausprojektes nach außen drang, niemand einen Hausdurchsuchungsbefehl einsehen. Auch durften an der Durchsuchung der einzelnen Räume keine Bewohner teilnehmen.
    Es verbreiteten sich schnell Gerüchte für den Grund dieses Einsatzes, wie beispielsweise dass ein Spürhund eine Fährte vom neuen Rathaus bis in die Rote Straße aufgenommen hätte und dass den Anlass gegeben habe, sowie, dass es einen Hinweise aus der Bevölkerung gegeben habe.
    Auch drang nach außen, dass 4 Bewohnerzimmer, sowie das Wohnzimmer genauestens durchsucht worden wären, da der Hund angeschlagen habe. Gefunden worden sei jedoch nichts, was im Zusammenhang mit dem „Brandanschlag“ stünde.

  2. ... sagt:

    Samstag Demo gegen Repression und Abschiebungen: 17 Uhr Gänseliesel!

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