„Antisemitismus pur“: Göttinger Professor verheddert sich
von am 2. Juli 2008 veröffentlicht in Politik

Die elf israelischen Sportler, die beim Olympia-Attentat 1972 in München Opfer eines Anschlags wurden, seien freiwillig in den Tod gegangen. Das behauptet der geschäftsführende Direktor des Göttinger Instituts für Sportwissenschaften, Arnd Krüger. Dafür hagelt es Kritik: aus der Wissenschaft, von der israelischen Botschaft und vom Zentralrat der Juden.

Der Professor hat im Rahmen einer Tagung, die vom 19. bis 21. Juni in Göttingen stattfand, einen Vortrag mit dem Titel „Hebron und München. Wie vermitteln wir die Zeitgeschichte des Sports, ohne uns in den Fallstricken des Antisemitismus zu verhaspeln?“ vorgetragen. Im Interview mit dem Göttinger Hochschulsportmagazin ‚Seitenwechsel‘ unterstellte Krüger bereits zu Beginn des Sommersemesters: „Sie hatten sich freiwillig gemeldet und wussten, dass die Palästinenser kommen würden.“ Es habe sich um eine politische Entscheidung gehandelt, dass die Sportler zum Zeitpunkt des Anschlags überhaupt anwesend waren. In diesem Zusammenhang verwies er auch darauf, dass es in der israelischen Geschichte in der Vergangenheit schon Fälle gegeben hätte, in denen ein Herrscher den Tod der Bevölkerung in Kauf genommen hätte. Damit sollte laut Krüger ein Krieg legitimiert werden.

„Das ist eine These, die durch keinerlei Quellen zu belegen ist, die schlichtweg absurd ist. Letztendlich ist es für mich eine Verhöhnung der Opfer“, kommentierte der auf Tagung anwesende Sportwissenschaftler Norbert Gissel von der Universität Gießen im Deutschlandfunk Krügers Argumentationen.

Grundlegend für die Opfertod-These des Göttingers war ein vermeindlich unterschiedliches „Körperverständnis und Verständnis von (werdendem) Leben“ in Israel im Vergleich zu anderen Industrienationen. So gäbe es in Israel eine höhere Abtreibungsquote, einen geringeren Schutz ungeborenen Lebens und eine Kultur, die „versucht Leben mit Behinderungen mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln zu verhindern“. Krüger bezieht sich dabei auf aktuelle israelische Literatur.

„Die in seinem Vortrag konstruierten Zusammenhänge, wonach zwischen dem angeblichen Opfergang sowie einem unterschiedlichen Körperverständnis, dass in Israel herrsche, denn dort versuche beispielsweise die Jüdische Kultur Leben mit Behinderung massiv zu verhindern, eine Verbindung bestehe, überschreitet die Meinungsfreiheit und grenzt an Volksverhetzung. Hier sind Konsequenzen längst überfällig“, sagte der Vizepräsident des Zentralrats der Juden, Dieter Graumann. Der israelische Botschafter, Ilan Mor, kritisierte die Äußerungen Krügers ebenfalls scharf. „Das ist eine der schlimmsten Formen der Dehumanisierung des Staates Israel und eine Form des neu aufflackernden Antisemitismus in Deutschland, verpackt als Israel- Kritik“, kommentierte er dessen Äußerungen.

Dem Vorwurf des Antisemitismus begegnet die Göttinger Universität mit bekannten Reflexen. „Die Universität Göttingen ist stolz auf ihre langjährige, fruchtbare Zusammenarbeit mit israelischen Forschern und Universitäten und fördert aktiv Forschungskooperationen ihrer Mitglieder mit Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern in Israel“, sagte der Präsident der Universität, Kurt von Figura. Das Präsidium distanziere sich entschieden von allen Äußerungen rassistischen und antisemitischen Inhalts und werde „alles ihm mögliche tun, um derartigen Vorgängen entgegenzuwirken und klare Zeichen gegen Intoleranz, Rassismus und Antisemitismus zu setzen.“

Zunächst habe die Universität eine Ombudskommission beauftragt zu prüfen, ob durch Krügers Thesen die Regeln guter wissenschaftlicher Praxis verletzt worden sind. Je nach Ergebnis dieser Überprüfung werde die Universität einen angemessenen Weg einschlagen, sagte die Pressesprecherin Marietta Fuhrmann-Koch der taz. Es seien auch straf- oder arbeitsrechtliche Konsequenzen denkbar.

Diese Zurückhaltung der Uni wurde vom Zentralrat der Juden ebenfalls scharf kritisiert. „Selbst wenn die Äußerungen Krügers durch die Meinungsfreiheit gedeckt sein sollten, so sind das Schweigen und die bisherigen Beschwichtigungsversuche der Leitung der Universität Göttingen und der Deutschen Vereinigung für Sportwissenschaft (DVS) mindestens ebenso skandalös wie Krügers Aussagen selbst“, sagte Vizepräsident Graumann.

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11 Kommentare auf "„Antisemitismus pur“: Göttinger Professor verheddert sich"

  1. machnow sagt:

    wirklich ekelhaft, solch ein typ. ich frag mich nur, wie die göttinger studentenschaft darauf reagiert. der antisemit gibt doch bestimmt seminare, oder? is‘ vielleicht nicht einfach sportstudenten zum protest zu motivieren, aber besuchen darf mensch die seminare doch…

    ich wär mal an dem wortlaut des ominösen beitrags für das hochschulsportmagazin interessiert. hab leider niegendwo ne pdf-version der zeitschrift gefunden. vielleicht erbarmst du göttingen dich es mal zu scannen?

  2. machnow sagt:

    danke! für den link… echt ekelhaft, wie krüger seine merkwürdige theorie konstruiert. das er die jahreszahlen durcheinanderwirft, bestätigt im grunde nur sein unwissen (hebron war 1929 nicht 49 und sollte nicht für einen krieg herhalten).

  3. puk sagt:

    Was der da losgelassen hat ist natürlich der größte Schwachsinn ..aber ich find es langsam zum Kotzen, dass Israel unter dem Deckmantel des möglichen Antisemitismus unangreifbar wird. Ein Idiot springt auf den Zug der Verschwörungstheorien auf und nun ist das gleich „eine Form des neu aufflackernden Antisemitismus in Deutschland“. Geschichte hin oder her – die sind auch keine Kinder von Unschuld. Aus so einer Sache muss man nicht gleich ein nationales oder sogar internationales Ding machen. Ist die Frage was der Sache mehr dient. Warum sollte man den Schunt auch noch weiter verbreiten?

  4. @puk- husch, husch, ab zu altermedia, da wird dir dein Menschenrecht auf Israelkritik sicher zugestanden.

    @ machnow- bei dem Massaker von Hebron 1929 wurden 133 Juden durch Anhaenger des Mufti von Jerusalem ermordet.

  5. puh sagt:

    krüger hat heute „mit dem Ausdruck großen Bedauerns“ seine Thesen zurückgezogen. hier ist der link zur uni-page, wo das zu finden ist (inkl abstrusem „entschuldiguns“brief): http://www.uni-goettingen.de/de/87308.html
    wir dürfen gespannt sein…

  6. machnow sagt:

    @ streifenstyle: dieser großmufti kann vermutlich als stammherr des palästinensischen antijudaismus angesehen werden. aber ’29 ging es bestimmt nicht darum – zumindest von jüdischer seite – einen von krüger phantasierten krieg gegen palästinenser / araber zu inszenieren. einen irgendwie gearteten „zwang“ zur internationale intervention kann ebenfalls nich unbedingt angenommen werden. das is doch absurd… is diesselbe widerliche argumentation, das juden – wahlweise auch zionisten – die shoa angezettelt haben, um endlich einen staat israel zu bekommen.

  7. machnow sagt:

    jaja, und jetzt haben sich wieder alle lieb. die akademiker sind wieder schön in ihrem diskursiven turm zurüclgekehrt. die politik hat es gerettet. und der antisemit bleibt in amt und würden! aber schön, das er sich distanziert hat…

  8. der mad professor im taz Interview- ein Auszug

    taz: Dafür bieten Sie unter anderem die Begründung an, dies sei eine „Grundlage für die Verlängerung der Schuld(en) Deutschlands gegenüber Israels“.
    Arnd Krüger: Wenn man versucht, das Ganze zu erklären, läuft man Gefahr, auch von mir akzeptierte Grenzen zu berühren oder zu übertreten. Bei dem Versuch, mir selbst die Sache zu erklären, habe ich alle möglichen Erklärungsansätze aufgelistet, auch diesen. Dass ein Teil von dem, was ich gesagt habe, bei Anderen in den falschen Hals kommt, habe ich nicht erwartet.
    taz:Sie haben dort gesagt, die Sportler, die im Olympiadorf wohnten, seien Geheimdienstmitarbeiter gewesen.
    Arnd Krüger: Habe ich das gesagt?
    taz: Ja, ich zitiere: „Von den männlichen Mitgliedern des israelischen Teams waren nur Geheimdienstler, Reserveoffiziere und Freiwillige da. Außer der Ringer Moshe Weinberg.“
    Arnd Krüger: Ich muss sagen: Dafür habe ich keinen Beleg.
    taz: Warum wollen Sie an dem Thema dran bleiben?
    Arnd Krüger: Ich habe eins auf die Nase bekommen. Nicht wegen der These, sondern wegen ihrer Begründung. Die These, dass es vorab eine Warnung gab, die das Verhalten der Sportler beeinflusst hat, halte ich für tragfähig. Nur kann ich die so nicht veröffentlichen.

  9. ”kein antisemitisch denkender Mensch”-
    aber Rüge für Arnd Krüger durch DVS
    http://ondemand-mp3.dradio.de/file/dradio/2008/09/10/dlf_20080910_0524_ce5809f2.mp3
    In dem Bericht wird zudem das Vorgehen der Unileitung kritisiert, u.a. dass das Gesocks es nicht fuer noetig haelt, auf einen Brief des israelischen Botschafters zu antworten.

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