Nicht schön, aber nützlich – zur Geschichte des Roten Buchladens
von am 23. September 2007 veröffentlicht in Hintergrund, städtisches

Der Buchladen Rote Straße wird dieser Tage stolze 35 Jahre alt und ist – nicht erst seit 2007 – ein Stück Göttinger Geschichte, die immer schon von linker Politik geprägt war. Ein linkes politisches Klima war nötig, um einen politischen Buchladen zu gründen und es ist nötig, um ihn am Leben zu halten. 35 Jahre lang hat das Buchladenkollektiv zuammen mit der linken Szene der Stadt dies nun geschafft. Wir gratulieren herzlichst und führten aus diesem Anlass ein Interview mit Gerd vom Buchladenkollektiv, in dem wir einiges über die Geschichte des Buchladens erfahren konnten. Ausschnitte aus diesem Gespräch gibt es nun im folgenden zu lesen.

Hallo Gerd. Erzähl doch Mal, wie es zu der Gründung des Roten Buchladens kam.

Der Buchladen wurde 1972 gegründet, vier Jahre nach ’68. Das war eine Zeit, als es einen großen Bedarf an neuen Büchern gab, als Verlage aus dem Boden geschossen waren und in vielen Städten der Republik neue Buchläden und Vertriebsstrukturen entstanden. In Göttingen gab es allerdings schon einen Buchladen. Der Anlass, dass ein neuer Buchladen gegründet wurde, war dass aus dem bestehenden Buchladen ein Parteiladen wurde. Der wurde vom KBW geführt und die hatten anfangs auch ein offenes Konzept mit diverser linker Litereatur. Das bedeutete damals Bücher von kleinen Verlagen. Dazu muss man sich vorstellen, dass die großen Buchhandlungen, wie zum Beispiel Deuerlich, sich aus politischen Gründen weigerten, bestimmte Bücher zu bestellen. Der bestehende Buchladen, Polibula, änderte ’72 sein Programm. KBW beschloss, alle Buchhandlungen, wo er federführend war, so auszugestalten, dass nur noch die eigenen Zeitschriften und die marxistischen Klassiker verkauft wurden und sonst nichts.

Daraufhin taten sich verschiedene linke Gruppen, die sich nicht mehr vertreten fühlten, zusammen. Sie beratschlagten über die Situation und kamen zu dem Schluß, dass sie einen eigenen Laden machen mussten, der ein linkspluralistisches Konzept verfolgt. Hier sollte alles an interessanter Literatur, die für die Bewegung wichtig sein könnte, vorrätig sein.

Was gab es zu dieser Zeit für ein politisches Stadtklima?

Es gab ganz unterschiedliche Initiativen, Bewegungen und Gruppen, ein ganzer Teil davon war universitär. In der Uni gab es durchgehend einen linken Asta, was heute ja gar nicht mehr selbstverständlich ist. Die Vollversammlungen mussten ausserhalb der Hörsääle gemacht werden, weil sie zu groß waren. Daneben gab’s aber auch eine ganze Reihe von Gruppen in der Stadt, die sich damals schon gegen Abriss richteten. Ende der 60er Jahre gab es nach dem zweiten Weltkrieg eine zweite Welle der Zerstörung, als Umgehungsstraßen und Schneisen durch die Stadt geschlagen und ganze Viertel platt gemacht werden sollten. Dagegen gab es eine ganze Reihe von Initiativen, die nicht nur universitär bestimmt waren. Dann gab es Initiativen in ganz unterschiedlichen Bereichen wie zum Beispiel Antiknast oder Antipsychatrie. Es war ein sehr breites Themenspektrum, was sich auch in den Büchern wieder spiegelte. Nach und nach entstand mit dem Zerfall der K-Gruppen Ende der 70er Jahre auch so etwas wie eine undogmatische Linke.

War der Buchladen damals dediziert links oder hat er auch normale Literatur geführt?

Damals konnte man gar nicht sagen, was normale Literatur ist. Das war eine Zeit, in der auch die großen Verlage linke Titel aufgelegt haben. Es war diese Kombination aus den eigenen, genuid linken oder linksradikalen Verlagen, die in die normalen Buchhandlungen gar nicht rein kamen. In der Zeit entstand der Verband des linken Buchhandels, in dem die linken Buchhandlungen, die kleinen linken Verlage und auch die ersten linken Vertreter organisiert waren. Daneben gab es eben das, was aus den bürgerlichen Verlagen interessant war. Bestseller gab es damals nicht, aber von Anfang an hatten wir auch ausgewählte Belletristik wie die ersten feministischen Romane. Es kam weniger darauf an, schöne Bücher zu haben, sondern nützliche.

Was, würdest du sagen, hat sich bis heute an diesem Stadtklima geändert? Und wie hat sich der Buchladen verändert?

Das ist natürlich eine schwierige Frage. Die linke Szene im engeren Sinne ist sehr viel kleiner geworden. Trotzdem sind bestimmte Themen, um die es damals große Auseinandersetzungen gab, viel selbstverständlicher geworden. Für den Buchhandel bedeutet dass zum Beispiel, dass Bücher aus Verlagen wie Wagenbach heute in jeder Buchhandlung zu haben sind. Zumindest im Diskurs hat sich eine ganze Menge geändert. In zwischen ist es akzeptierter, dass es einen linken Buchladen in der Stadt gibt. Mit einer Selbstverständlichkeit, dass die Bibliotheken bei uns ihre Bücher bestellen. Das war damals so gut wie ausgeschlossen. Zum Glück gab es den Beschluss der sozialwissenschaftlichen Fakultät, dass sie als ausgleichende Gerechtigkeit alle Bücher bei uns bestellen, weil sonst niemand hier bestellt hat. Auch dass Schulen ihre Klassensätze bei uns bestellen, wie es später der Fall war, war anfangs undenkbar.

Ich habe später Leute kennen gelernt die gesagt haben, früher hätten sie sich nicht in den Buchladen hinein getraut. Offensichtlich hatte der Laden auf einige wenige die Wirkung, dass er etwas ganz spezifisches für die linksradikale Szene ist. Was er dem eigenen Anspruch nach nie war. Heute betreiben wir sehr offensiv ein offeneres Konzept und es kommen auch entsprechend unterschiedlichere Leute. Es ist heute auch viel selbstverständlicher, dass unsere Veranstaltungen im Göttinger Tageblatt angekündigt werden. Auch das war früher undenkbar.

Hat sich der Anspruch, den ihr an den Buchladen stellt, mit der Zeit geändert? Immerhin arbeiten zum Teil noch die selben Leute dort wie vor 35 Jahren.

Wir gehören mit zu den Buchläden, die es durchgehalten haben, sich nicht so zu ändern, dass die eigenen Ansätze und das Ziel, für linke Debatte und Bedürfnisse das Lesefutter bereit zu stellen, nicht mehr eingehalten werden. Dazu gehört bei uns auch, dass wir im Keller eine breite Palette an den linken Zeitschriften haben, die es sonst in Göttingen nirgends mehr gibt. Es gehört mit zu unseren Aufgaben, die breite der linken Zeitschriftenkultur präsent zu haben, auch wenn es mal zu einzelnen Themen Zeitschriften gibt, die nicht so gefragt sind. Wenn man sich in anderen Städten umguckt, dort haben sich die linken Buchläden, soweit es sie noch gibt, ganz anders entwickelt. Oft in Richtung Kunstbuchladen oder ähnliches. Es haben sich Infoläden gebildet und so kam es zu einer Auseinanderentwicklung von linker Bewegung und ehemals linken Buchhandlungen.

Seid ihr stolz darauf, dass euch das nicht passiert ist?

Da sind wir stolz drauf und sonst würden wir den Laden so auch vermutlich gar nicht mehr machen. Da brauchen wir aber auch nicht nur stolz auf uns zu sein, sondern das hängt auch von dem Umfeld ab. Wir haben in Göttingen sehr viel Unterstützung. Göttingen ist eine Stadt mit viel Kommen und Gehen, aber die jeweils jüngeren Generationen, die auch ihre eigenen Vorstellungen entwickeln, entdecken den Buchalden nach und nach als einen Anlaufpunkt. Ohne eine breite Linke Szene, die ein Interesse an einem solchen Buchladen hat, würde es gar nicht gehen. In den Zeiten, in dem es dem Buchladen schlechter geht, greift sie ihm finanziell unter die Arme. Das ist alles nicht nur unser Verdienst.

In diesem Sinne: immer brav die Bücher im Buchladen Rote Straße, ansässig im Nikolaikirchhof, kaufen. Sichert es doch den Fortbestand einer kleinen Insel inmitten der zahlreichen alltäglichen Schweinereien, denen jeder von uns ausgesetzt ist. Monsters of Göttingen jedenfalls findet das gut und gratuliert, zum wiederholten Male, zum 35. Geburtstag.

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