SPD verhindert Abschaffung der Wertgutscheine für Flüchtlinge
von am 11. Juli 2007 veröffentlicht in Lokalpolitik

In Niedersachsen lebende Flüchtlinge erhalten seit vielen Jahren kein Bargeld sondern zweckgebundene Wertgutscheine. Nachdem der Göttinger Stadtrat dieses Sytem noch im Februar abgelehnt hatte, stoppte selbiger nun dessen Abschaffung zu Gunsten einer Bargeldlösung – mit den Stimmen von CDU und überraschender Weise auch denen der SPD.

In einem entsprechenden Antrag der Göttinger Linken zur Ratssitzung am 06.07.2007 wurde gefordert, die Gutscheinausgabe schnellstmöglich zu stoppen und wieder Bargeld an die Flüchtlinge auszuzahlen. Die Wiedereinführung der Bargeldauszahlung sei die konsequente Umsetzung der Ratsentscheidung vom Februar, heisst es weiter in dem Antrag. Die Ratsfraktionen der Grünen und der FDP stimmten neben der Linken für den Antrag. Die CDU verweigerte wie schon im Winter ihre Zustimmung, bekam dieses Mal aber Schützenhilfe von der SPD und konnte sich somit durchsetzen.

„Wer hat uns verraten?“

Im Februar bezeichnete Frank-Peter Arndt, sozialpolitischer Sprecher der SPD – Stadtratsfraktion diese Regelungen noch als diskriminierend, isolierend und obsolet. Nun klammert sich die Fraktion jedoch an §3 des Asylbewerberleistungsgesetzes. Dieser lasse die generelle Ausgabe von Bargeld nicht zu, behauptete der SPD Abgeordnete Klaus-Peter Hermann in der jüngsten Ratssitzung. Dagegen spricht zumindest die Praxis in vielen anderen Bundesländern: in Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Bremen, Hamburg und Berlin sowie größten Teils auch in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein wird Bargeld ausgegeben. Auch aus juristischer Sicht ist diese Aussage inhaltlich umstritten: „Ein unumgänglicher Vorrang von Sachleistungen ist im Gesetz nicht enthalten, denn Flüchtlinge, die nicht in Aufnahmeeinrichtungen untergebracht sind, können Bargeld erhalten“ heisst es im abgelehnten Antrag der Göttinger Linken. Der Gesetzgeber verweise auf die Entscheidungskompetenz der Kommunen und vermeide deswegen eine strenge Vorschrift.

Das Abstimmungsverhalten der SPD wurde von den Fraktionen der Grünen und der Göttinger Linken wütend zur Kenntnis genommen. Auch die Göttinger Gutscheingruppe kritisierte die Entscheidung des Stadtrates scharf. „Die offensichtliche Fadenscheinigkeit der „Argumentation“ mittels vorgeschobener rechtlicher Schranken lässt darauf schließen, dass es letztlich doch politischer Wille der Göttinger SozialdemokratInnen ist, rassistische, diskriminierende und bevormundende Behandlung von Flüchtlingen durchzusetzen“ heisst es in einer Presseerklärung. Die Gruppe organisiert seit Jahren für die betroffenen Flüchtlinge den Tausch der Gutscheine gegen Bargeld und schafft somit konkrete Verbesserungen der Lebensumstände für viele Menschen.

Nachdem das Wertgutscheinsystem im Februar vom Göttinger Stadtrat abgelehnt wurde, schloss sich ihm der Landkreis in seiner Sitzung vom 9. Mai an und forderte die Verwaltung auf, „den Vertrag zur Abrechnung von Sodexho Pass Wertgutscheinen zum nächstmöglichen Zeitpunkt (…) zu kündigen.“ Das ist bislang nicht geschehen: ebenso wie die städtische stellt sich die Verwaltung des Landkreises mit Verweis auf §3 des Asylgesetzes quer.

Die Praxis der Gutscheinausgabe an Flüchtlinge jährt sich in Niedersachsen gerade zum zehnten Mal. Sie wird von den Betroffenen als diskriminierend empfunden. Sie können nur in bestimmten Geschäften damit einkaufen, erhalten nicht das volle Wechselgeld und werden beim Bezahlen oft Opfer von rassistischen Anfeindungen. In seinem Beschluss vom Februar 2007 hatte der Göttinger Stadtrat noch festgestellt, dass es sich bei der Gutscheinausgabe um eine „diskriminierende und bevormundende Praxis“ handele – damals auch mit den Stimmen der SPD Fraktion.

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4 Kommentare auf "SPD verhindert Abschaffung der Wertgutscheine für Flüchtlinge"

  1. clandestino sagt:

    Die Linke in Göttingen sollte sich viel mehr mit diesem Thema beschäftigen. Schließlich gibt es so viele Gruppen hier die sich mit allem möglich beschäftigen. Wenn aber mal ernsthaft was sinnvolles getan werden kann, bleibt alles am akasyl oder der gutscheingruppe hängen. Es gibt im Moment nicht viel sinnvolle Praxis (außer „Here to stay“, anti-Burschi und Kollektiv-Arbeit), aber dieses Thema würde sich lohnen, vor allem für die Flüchtlinge. Macht was! Tauscht Gutscheine!

  2. Olle Tolle sagt:

    Vielleicht sollte sich auch diese eine Antifagruppe überlegen ob sie wirklich weiter in einem Bündnis mit der SPD sein will. (ASTA also auch ADF zusammenarbeit scheinen sie ja nicht so kritisch zu sehen)

  3. Rakete sagt:

    Update:
    SPD-Basis mit eigener Fraktion unzufrieden?

    So jedenfalls klingt ein Beschluss der Delegiertenversammlung des SPD-Stadtverbands vom 17. Juli 07. Unter der Überschrift „Geldleistungen statt Wertgutscheine“ heißt es: „Die Ausgabe von Wertgutscheinen (…) diskriminiert und entmündigt die Leistungsberechtigten, sie werden durch diese Gutscheine in ihren praktischen Möglichkeiten am gesellschaftlichen und kulturellen Leben teilzuhaben, massiv eingeschränkt und als ‚unerwünschte Fremde‘ stigmatisiert.“ [1] So weit, so richtig.

    Weiter heißt es dann: „Die Delegiertenversammlung des SPD Stadtverbandes Göttingen fordert daher die örtlichen Mandatsträger auf, sich in ihrem Einflussbereich nachdrücklich gegen den im Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) festgeschriebenen allgemeinen Vorrang für Sachleistungen, zu denen auch die Wertgutscheine gezählt werden, einzusetzen. Dies kann am ehesten durch eine entsprechende Änderung des §3 im AsylbLG realisiert werden. Für die Betroffenen in Niedersachsen wäre bereits die Rücknahme des Erlasses vom 14.5.2007 zielführend, mit dem das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport als weisungsberechtigte Aufsichtsbehörde auf dem Sachleistungsprinzip beharrt.“ [1]

    Trotz der zwischen den Zeilen durchklingenden Enttäuschung über die eigenen MandatsträgerInnen, die sich in den Augen ihrer Basis offenbar nicht nachdrücklich genug für die Abschaffung des Wertgutscheinsystems eingesetzt haben, beharrt auch der SPD-Stadtverband juristisch auf einer Position, die NICHT mit der Realtität in Einklang steht, sich aber anbietet, um die politische Verantwortung von der kommunalen Ebene weg in Richtung Hannover oder Berlin zu schieben.

    Obwohl schon unzählige Male geschehen, im Folgenden ein erneuter, kurzer Versuch, argumentativ der SPD entgegenzutreten:

    a) Wertgutscheine sind keine Sachleistungen. Wer den Vorrang für Sachleistungen nach §3 AsylbLG als unumgänglich interpretiert, muss Essen oder Fresspakete für Flüchtlinge organisieren!

    b) Das indizierte Schreiben ist kein Erlass.

    c) Auch von seinem Inhalt her taugt das indizierte Schreiben nicht, um das Festhalten an Wertgutscheinen zu begründen.

    Die angeführten Punkte beziehen sich ausschließlich auf den Beschluss der Delegiertenversammlung des SPD Stadtverbandes, eine darüber hinaus gehende Darstellung der Rechtslage kann auf der Internetseite [2] eingesehen werden.

    Gutscheingruppe Göttingen, 23. Juli 07.

  4. Weiterhin kein Bargeld in Göttingen! Rat spricht sich gegen Gutscheine aus und beharrt doch auf der bisherigen Praxis.

    Also alles wie immer. Einen ausführlichen Kommentar zur Ratsentscheidung vom Freitag gibt es .

    …und wie immer nicht vergessen:

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