Here to stay: Studentenwerk vs. selbstverwaltete Häuser
von am 26. Mai 2007 veröffentlicht in Hintergrund, Politik

In den letzten Jahren wurden, Schritt für Schritt, selbstverwalteten Häusern, die dem Studentenwerk gehören, die bestehenden Mietverträge gekündigt, um sie in typische anonyme Wohnheime mit Einzelmietvertägen und Wohnzeitbeschränkung umzuwandeln. Wir dokumentieren aus aktuellem Anlass einen Text der Kampagne Here to stay:

Betroffen davon waren bisher vor allem Häuser im Kreuzbergring und der Goßlerstraße. Nach Aussage von Angestellten der Stiftung Studentenwerk Göttingen, die für die Verwaltung der Wohnheime zuständig sind, sollen noch in diesem Jahr alle Wohnheime mit sogenannten Kollektivmietverträgen und ohne Wohnzeitbegrenzung umstrukturiert werden. Die alten Mietverträge sollen gekündigt werden und dann für jeden Wohnplatz Einzelmietverträge mit Wohnzeitbegrenzung vereinbart werden.

In Göttingen existieren seit nunmehr über 30 Jahren selbstverwaltete Wohnhäuser. Für diese Objekte bestehen seit Ende der 70er Jahre Mietverträge für die jeweiligen Wohnprojekte, die in Form von privaten Vereinen oder Gesellschaften eigenverantwortlich verwaltet werden. Diese Mietverhältnisse sind das Ergebnis von Konflikten und Verhandlungen um die ehemalige Besetzung dieser Häuser. Dem entgegen behauptet das Studentenwerk in seiner Eigenwerbung, mit der Einrichtung von Wohnplätzen in der Roten Straße eine Sanierung der Gebäude durchgesetzt zu haben und so zum Erhalt des Stadtbildes beigetragen zu haben. Der damalige Konflikt um die Initiative der BesetzerInnen dieser Gebäude wird dabei vollständig verschwiegen. Ohne deren Kampf wäre es gar nicht zur Einrichtung von Wohnplätzen in der jetzt bestehenden Form gekommen. Nur aufgrund der Entschlossenheit der damaligen BewohnerInnen konnten die noch heute bestehenden Mietverträge abgeschlossen werden. Im Jahr 1977 beabsichtigte das Studentenwerk, Einzelmietvertäge abzuschließen. Dagegen wurde mit einer erfolgreichen Kampagne vorgegangen, so dass die Verwaltung der Gebäude in den Händen der BewohnerInnen blieb. Eine kollektive Wohnkultur mit Auswirkungen auf das gesamte politische und gesellschaftliche Leben in Göttingen konnte entstehen.
Die linke Szene, wie sie derzeit in Göttingen vorzufinden ist, mit ihren Treffpunkten, kulturellen Aktivitäten und einer Vielzahl an politischen Gruppen kann nicht einfach als gegeben vorausgesetzt werden: sie bedarf nicht zuletzt solcher selbstverwalteten Wohnformen. Brechen diese weg, besteht die Gefahr, dass auch Göttingen zu einem studentisch geprägten Provinzkaff mit öde konformistischem Klima wird, wie dies in manch anderer einstmals „linken Unistadt“ schon längst geschehen ist.

Ohnehin gibt die gesellschaftliche Entwicklung auch hier wenig Anlass zum Optimismus: mit der Umstrukturierung der Universität und der Umstellung auf bachelor-Studiengänge scheinen die Zeiten passé, in denen die Uni ein Ort war, an dem sich mitunter kritisches Denken entwickeln konnte. Der zunehmende ökonomische Druck tut sein übriges, dass das Studium zu einer stupiden Zumutung gerät, die es schleunigst hinter sich zu bringen gilt: wer im vierzehnten Semester Sozialwissenschaften studiert, gilt nicht mehr als der relaxte Langzeitzeitstudent, sondern als ein anachronistisch anmutender Typ, der sich –selber schuld- demnächst mit 1Euro-Jobs rumschlagen wird. Nicht nur an der Universität selbst, sondern auch in den Häusern, die dem Studentenwerk gehören, verschärfen sich die Bedingungen zusehends.
Mehr oder weniger selbstbestimmte Wohnformen sind zwar keineswegs, wie Freiraum-RomatikerInnen einst hofften, die Vorwegnahme eines Besseren im schlechten Bestehenden. Die so beliebte Forderung nach dem „selbstbestimmten Leben“ ist im Hier und Jetzt, angesichts von Staat und Kapital, nicht einzulösen. Jedoch bieten solche Häuser zumindest die Möglichkeit, sich innerhalb dieser Verhältnisse kollektiv das Leben so „selbstbestimmt“ wie eben möglich zu gestalten. Die Vorstellungen leitender Funktionäre des Studentenwerkes zielen auf etwas anderes ab: ordentlich durchorganisiert soll das Wohnen ablaufen, mit Einzelmietverträgen und Wohnzeitbegrenzung. Eine deratige „Umstrukturierung“ wurde schon in mehreren Häusern problemlos durchgesetzt und so soll es demnächst auch mit den noch verbliebenen selbstverwalteten Häusern geschehen.

Wir begreifen dies jedoch keineswegs als einen Prozess, der sich gegen unsere Interessen und ohne unsere Zustimmung einfach so vollziehen wird. Stattdessen ist für uns dieser vermeintliche Verwaltungsakt eine politische Auseinandersetzung. Die Häuser in der Roten Straße, der Goßlerstraße, im Kreuzbergring und der Gotmarstraße würden in dieser Form nicht existieren, wären sie nicht im Zuge der Besetzung in den 70er Jahren und den folgenden Konflikten erkämpft worden. Und ebenso ist für uns klar, dass es diese Form des Zusammenwohnens zu erhalten, zu verteidigen gilt. Dabei ist eine geplante Abwicklung der derzeitigen kollektiven Wohnstrukturen keine Tatsache, die es zu akzeptieren gilt und die lediglich im Detail zu unseren Gunsten aushandelbar wäre. Jeden Eingriff in den Status Quo betrachten wir als eine qualitative Verschlechterung unserer Wohnsituation, eine Verschlechterung, die wir nicht einfach hinnehmen werden.

Die Häuser der Roten Straße 0-5, Kreuzbergring 10+12 und die Gotmar Straße 9+10 haben sich deshalb in der Kampagne „here to stay“ vernetzt. Da geht noch einiges…

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