Göttinger Stadtrat für die Abschaffung des Gutscheinsystems für Flüchtlinge
von Rakete am 12. Februar 2007 veröffentlicht in LokalpolitikSeit 1997 sind durch einen Erlass des niedersächsischen Innenministeriums hier lebende Flüchtlinge dazu gezwungen, mit zweckgebundenen Gutscheinen einzukaufen. Bargeld bekommen sie nur noch sehr wenig. Erst im Dezember kam es in Göttingen zu Auseinandersetzungen in einem Supermarkt, als Gutscheingegner darauf aufmerksam machten, dass in diesem keine getauschten Gutscheine von Nicht-Flüchtlingen akzeptiert wurden. Nun hat sich sogar der Rat der Stadt Göttingen für die Abschaffung des Gutscheinsystems ausgesprochen.
80% der Sozialleistungen erhalten Flüchtlinge seit zehn Jahren in Gutscheinform. Daran genüpft sind zahlreiche Probleme und Schikanen. Einkaufen kann man nur in den Geschäften, die sich an dem System beteiligen. Wechselgeld gibt es nur zurück, wenn es 10% des Gutscheinwertes übersteigt. Viele Dinge, wie z.B. Fahrkarten, gibt es nur gegen Bargeld. Beim Bezahlen mit den Gutscheinen sind die Betroffenen als Flüchtling geoutet, in dieser Gesellschaft für viele Grund genug für rassistische Anfeindungen und herablassende Bemerkungen. Das Einkaufen wird so schnell zur erniedrigenden Erfahrung – verordnet durch das niedersächsische Innenministerium.
Sodexho gegen Gutscheintausch
In Göttingen wird seit Jahren der Gutscheintausch praktiziert. Menschen, die den Flüchtlingen helfen möchten, erwerben deren Gutscheine. Die Flüchtlinge haben dann Bargeld zur Verfügung und damit einen Grund weniger, Angst vor Stigmatisierung haben zu müssen. Zu den Gutscheinen erhalten die Tauschenden eine entsprechende Vollmacht, dass Sie die Gutscheine auch nutzen dürfen. Diese Strategie, mit einem schikanösen System bestmöglich zu leben, sah sich Ende 2006 einem Angriff der Firma Sodexho ausgesetzt. Diese Firma ist von der Stadt Göttingen mit der Organisation des Gutscheinsystems beauftragt worden: die Betroffenen erhalten von ihr die Gutscheine und teilnehmende Geschäfte haben einen Vertrag mit Sodexho. In einem Schreiben an ihre Vertragspartner im September 2006 behauptete Sodexho, die von den Verwendern ausgestellten Vollmachten dürften nicht akzeptiert werden. Beim Bezahlen sei die Vorlage der „Originalkundenkarte“ erforderlich. „Diese KundInnenkarte liegt beim Einkauf mit einem getauschten Gutschein in Kopie auf der Vollmacht vor“ entgegnete damals die Gutscheingruppe.
Im Dezember dann verweigerte der Supermarkt tegut erstmals die Annahme eines Gutscheins von Bevollmächtigten. Darauf reagierten rund 30 Personen mit einem „antirassistischen Einkauf“, indem sie versuchten, mit den Gutscheinen einzukaufen. Sie wurden an der Kasse zurückgewiesen und verteilten dann unter den wachsamen Augen von Zivilpolizisten Flyer, klärten andere EinkäuferInnen über die prekäre Situation der GutscheinnutzerInnen auf. Bei den anschliessenden Verhandlungen zwischen tegut und der Gutscheingruppe konnte man sich darauf einigen, dass in den drei Göttinger tegut-Filialen weiterhin Gutscheine angenommen werden und unter bestimmten Umständen auch wieder Vollmachten anerkannt werden.
Nur die CDU will Gutscheine
In einem Antrag der Fraktionen Gö LINKE, Bündnis 90/Die GRÜNEN, SPD und FDP zur Sitzung des Stadtrates am 09. Februar 2007 heisst es nun auch, dass die Ausgabe von Wertgutscheinen an Flüchtlinge eine diskriminierende und bevormundende Praxis darstelle. „In einem Europa, das immer weiter zusammen wachsen soll, ist es in einem sozialen Rechtssystem und in einer weltoffenen Stadt wie Göttingen nicht hinnehmbar, dass Menschen, die in ihren Herkunftsländern verfolgt werden hier einer weiteren Diskriminierung unterliegen“ heisst es in der Begründung. Weniger altruistisch wird ausserdem der mit diesem System verbundene finanzielle wie verwaltungstechnische Aufwand angeprangert. Ausserdem ist von einem Eingriff in die Geschäftsfreiheit der EinzelhändlerInnen die Rede: diese können Flüchtlinge nur dann zu ihren Kunden zählen, wenn sie einen entsprechenden Vertrag mit der Firma Sodexho Pass GmbH abschliessen. Des Weiteren ist Inhalt des Antrags, dass die Verwaltung mit Sodexho eine Regelung finden soll, die den Flüchtlingen weiterhin den Gutscheintausch ermöglicht. Alle Fraktionen des Stadtrats, ausser der CDU-Fraktion, stimmten für den Antrag.
Solange es noch dieses System noch gibt, bitten wir euch: tauscht Gutscheine! Das geht z.B. im Buchladen Rote Straße, dem Weltladen, im Kabale oder in der Theo-Kafete.
Unter dem Motto „Alle sollen bleiben nur die Gutscheine nicht! Weg mit dem rassistischen Gutscheinsystem.“ veranstaltet die Göttinger Gutscheingruppe am 24. Februar eine Soli-Party im JuzI, Bürgerstr. 41.
Beim Weltladen können keine Gutscheine mehr getauscht werden. Aktuelle Umtauschstellen sind Buchladen, Kabale, Theo-Cafete und Mathe-Cafete.
Sozialausschuss des Landkreis Göttingen empfiehlt Abschaffung des Wertgutscheinsystems
Der Sozial- und Gesundheitsausschuss des Landkreises Göttingen hat sich in seiner Sitzung am 25.4.2007 mehrheitlich (6:4) für die Abschaffung des Wertgutscheinsystems für Flüchtlinge zu Gunsten zukünftiger Bargeldauszahlung ausgesprochen. Der Kreistag wird sich dieser Entscheidung voraussichtlich in seiner nächsten Sitzung am 9.5.2007 anschließen.
Wörtlich heißt es in dem : „Der Kreistag [lehnt] das Gutscheinsystem für Flüchtlinge ab“ und „fordert die Verwaltung auf, den Vertrag zur Abrechnung von Sodexho Pass Wertgutscheinen zum nächstmöglichen Zeitpunkt mit dem Ziel einer künftigen Barauszahlung zu kündigen.“ Zur Begründung heißt es unter anderem, die Gutscheinregelung sei „diskriminierend“ und bedeute für die Betroffenen „Bevormundung, Demütigung und Stigmatisierung“.
Von Seiten der Verwaltung wurde bestätigt, dass die Erlasse des Landes Niedersachsen von 1997, welche die Kommunen verpflichteten, vorrangig Gutscheine statt Bargeld auszugeben, seit 2005 außer Kraft gesetzt sind. [1] Demnach gelten in Niedersachsen bezüglich der Grundleistungen für AsylbewerberInnen nur die bundesrechtlichen Vorschriften des AsylbewerberInnenleistungsgesetzes (AsylbLG).
In der Sitzung des Sozialauschusses vertrat die Verwaltung allerdings die Ansicht, dass das Bundesrecht ein Abrücken von der derzeitigen Praxis zu Gunsten der Bargeldausgabe nicht zulasse.
Dem entgegen steht der Wortlaut des geänderten AsylbLG, zahlreiche Rechtsgutachten und Kommentare [2] sowie die Handhabung in zahlreichen Bundesländern und Kommunen: In Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Bremen, Hamburg und Berlin wird Bargeld ausgegeben, mit wenigen Ausnahmen auch in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein.
Bereits im Februar hat sich auch der Rat der Stadt Göttingen in einem für die Abschaffung des Wertgutscheinsystems ausgesprochen.
Flüchtlinge und UnterstützerInnen begrüßen die Entscheidungen des Sozialausschusses und des Stadtrats; die Gutscheingruppe fordert eine zügige Umsetzung der Beschlüsse durch die Verwaltungen von Stadt und Landkreis.
1. mittlerweile .
2. vgl. Birk LPK-BSHG sowie Fichtner/Wenzel. Außerdem und .
Abschaffung des Gutscheinsystems beschlossen –
Verwaltung stellt sich quer
Der Göttinger Kreistag hat sich in seiner Sitzung am 9.5.2007 für die Abschaffung des Wertgutscheinsystems für Flüchtlinge zu Gunsten zukünftiger Bargeldauszahlung ausgesprochen. In einem entsprechenden heißt es zur Begründung, die Gutscheinregelung sei „diskriminierend“ und bedeute für die Betroffenen „Bevormundung, Demütigung und Stigmatisierung“. Der Antrag wurde mit den Stimmen von SPD, Grünen, Linkspartei und WLG angenommen. CDU und FDP lehnten den Antrag ab.
Bereits im Februar 2007 hatte der Rat der Stadt Göttingen einen ähnlichen Antrag verabschiedet.
Die Verwaltungen von Stadt und Landkreis weigern sich jedoch bisher, den Beschluss umzusetzen. Das heißt Flüchtlinge erhalten derzeit weiterhin die ihnen zustehenden Leistungen in Form von Gutscheinen.
Die Verwaltungen mißachten bewußt ihren Handlungsspielraum, den das AsylbewerberInnnenleistungsgesetz spätestens seit seiner Neufassung 1997 vorsieht. Auf die konkrete Frage am 11.5.07 im Stadtrat, welche Gesetze oder Vorschriften, die Ausgabe von Bargeld in Göttingen gegenwärtig noch verhindern, konnte Sozialdezernentin Dr. Schlapeit-Beck lediglich auf das Bundesgesetz (§3 AsylbLG) verweisen. Dass es sich hierbei nur um eine fadenscheinige Begründung handelt ist offensichtlich, denn schließlich werden in zahlreichen Bundesländern und Kommunen die Leistungen in Bargeld erbracht: in Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Bremen, Hamburg und Berlin flächendeckend; mit wenigen Ausnahmen auch in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein. Selbstverständlich gilt auch dort §3 des AsylbLG.
Die politische Frage, Bargeld oder Wertgutscheine auszugeben, wird seitens der Verwaltung mittels unlauterer Argumentation rechtlich kaschiert. Sie begibt sich so in eine Position, in der der politische Wille des Stadtrates und des Kreistages – nämlich Flüchtlingen endlich wieder Bargeld auszuzahlen – zur Durchsetzung eigener politischer Vorstellungen ignoriert wird.
Dies ist nicht hinzunehmen. Vielmehr ist es nun erforderlich, eine zügige Umsetzung der Beschlüsse durch die Verwaltungen von Stadt und Landkreis einzufordern. Einstweilen wird der Gutscheinumtausch fortgesetzt werden müssen, die Beteiligung aller daran bleibt wichtig.
SPD verhindert Abschaffung der Wertgutscheine in der Stadt Göttingen
Der Rat der Stadt Göttingen hat in seiner Sitzung am 6. Juli 07 die Abschaffung des Wertgutscheinsystems für Flüchtlinge mit CDU-SPD-Mehrheit in letzter Minute gestoppt und hält somit an dem noch im Februar als „diskriminierend“ und „bevormundend“ bezeichneten System fest. Damals stimmte auch die SPD-Fraktion einer interfraktionell eingebrachten Resolution für die Abschaffung der Gutscheine zu. Jetzt schmetterten die SPD-Abgeordneten sogar die von der FDP und der antragstellenden GöLinken vorgeschlagene Überweisung in den Sozialausschuss ab und verhindern damit eine weitere parlamentarische Diskussion.
Der SPD-Abgeordnete Hermann führte für seine Fraktion aus, der für das Gutscheinsystem einschlägige §3 des AsylbewerberInnenleistungsgesetzes lasse die generelle Ausgabe von Bargeld nicht zu, die Gesetzeslage sei „eindeutig“. Dem entgegen stehen zahlreiche Gesetzeskommentare und Rechtsgutachten sowie die Praxis in Kommunen von zahlreichen Bundesländern, in denen generell Bargeld ausgegeben wird.
Das Abstimmungsverhalten der SPD wurde von den Fraktionen der Grünen und der GöLinken wütend zur Kenntnis genommen. Die Gutscheingruppe kritisiert die Entscheidung des Rates. Die offensichtliche Fadenscheinigkeit der „Argumentation“ mittels vorgeschobener rechtlicher Schranken lässt darauf schließen, dass es letztlich doch politischer Wille der Göttinger SozialdemokratInnen ist, rassistische, diskriminierende und bevormundende Behandlung von Flüchtlingen durchzusetzen. Der Gutscheinumtausch sowie der Kampf gegen das Gutscheinsystem wird in Göttingen fortgesetzt werden müssen.
bis vor kurzem konnte man angeblich noch bei alnatura in der langen geismar mit gutscheinen einkaufen. als ich es vor kurzem versucht habe, meinte der stellvertretende geschaeftsfuerer (hab mir den namen nicht gemerkt), das ging noch nie. also was denn nun