Polarkreis 18 – Polarkreis 18
von MAINSTAGE.DE am 11. Februar 2007 veröffentlicht in PlattenKlischees bringen, so sind sich viele Menschen sicher, Ordnung in diese Welt. Muster, die uns beim Einordnen helfen, die all das erträglich machen. Und problematisch wird es immer dann, wenn wir mit etwas konfrontiert werden, das sich eben absolut nicht in die vorhandenen Schubladen einordnen lässt. Doch nicht nur problematisch, auch faszinierend und unbeschreiblich aufregend kann das werden. Das glauben Sie mir nicht? Bitte, legen Sie diese CD ein und geben Sie ihr die Möglichkeit, Ihr Leben zu bereichern.
„Was machen die denn so?“ wird man fragen. Eine Frage, die bei dieser außergewöhnlichen Band aus Dresden eigentlich nicht zu beantworten ist, da die elf Songs des self-titled-Albums für eine Klassifizierung viel zu vielfältig sind. Jedes einzelne Stück sieht neben dem vorherigen völlig neu aus, jedes hat seine eigenen Qualitäten und Spezialitäten. Und vor allem hat jedes einzelne Stück die Fähigkeit, Wörter wie „Langeweile“ oder „Einseitigkeit“ aus sämtlichen Wörterbüchern zu streichen.
Den Start macht „Dreamdancer“: Explosiv wirkt es, fast hysterisch, scheinbar ohne diesen Wendepunkt nach jener Explosion je zu erreichen. Streicher begleiten die hektische Snaredrum, während die verträumt wirkende Stimme vielmehr als Instrument arbeitet, als klassische Funktionen der Textbeisteuerung einzuhalten.
In der Mitte kommt er dann doch, der Wendepunkt: Einen kurzen Moment lang wird es fast unerträglich still, bevor der Pegel zum Abschluss ins Unermessliche steigt. Noch bevor die Stimme wieder einsetzt, wird ein wichtiges Signal an den Hörer geschickt. „Halt dich fest!“ sagt es. Zu Recht. Und bitte so fest wie möglich. Denn das perfekte Zusammenspiel der üblichen Garde der Instrumente moderner Rockmusik und der dominant wirkenden Streichereinheiten bietet einem keinen Halt. Hinzu kommt die Stimme, die einem keine Ruhe gibt. „We’re dancing in dreams!“.
Da eine derartige Wucht auf Dauer aber völlig unerträglich wäre, bietet das Album auch Möglichkeiten des völligen Abschaltens. „Chiropody“ und „Under This Big Moon“ zwingen auf der einen Seite zum Vergleich mit der isländischen Postrock-Elite, halten einen andererseits genau davon ab, da jedes dieser Stücke so einzigartig wirkt, dass Vergleiche völlig unangebracht scheinen. Doch ein gemeinsamer Nenner ist vorhanden: Man lehnt sich zurück, schließt die Augen und wird in Welten entführt, deren Existenz einem zuvor nicht bekannt war. Verträumt wirkt es.
Wem das an Vielfalt noch nicht reicht, bekommt gerne noch einen oben drauf: Nicht um dem derzeitigen Trend gerecht zu werden, sondern um manche Stücke einfach an die Grenzen der Perfektion zu bringen, wurde auch das Künstliche nicht aus dem Spiel gelassen: Feinstes Elektrogefrickel wirkt verfeinernd, verliert dabei aber niemals an Kunst-Attitude und wird vor allem zu keinem Zeitpunkt primitiv.
Was also machen Polarkreis 18? Experimental Indiepop? Post-poprock? Noisepop? Nein. Es hat keinen Sinn. Wir bleiben an dem Punkt der Erkenntnis, den wir schon hatten: Diese fünf Dresdner machen Kunst. Kunst in Form von Musik, die sich einfach nicht festnageln lässt. Musik, die sich auf Ebenen bewegt, die nicht für Jedermann greifbar ist. Doch lässt man sich drauf ein, bewegt sie einen, das verspreche ich.
„Polarkreis 18“ erscheint am 16. Februar bei Motor.
Diese Rezension stammt im Originalen von: Mainstage Musikmagazin