Deutschland, ein Wintermärchen. Der Abschiebeweltmeister räumt das Feld von hinten auf.
von Rakete am 13. Dezember 2006 veröffentlicht in Hintergrund, LokalpolitikDas Leben von Flüchtlingen in Deutschland an sich ist schon schwierig genug. Auf der Flucht vor Armut, Krieg oder Verfolgung in unser schönes Land gekommen, müssen viele mit alltäglichen Diskriminierungen und der permanenten Angst vor Abschiebungen leben. Rund 200.000 von ihnen derzeit mit dem Unstatus „Geduldeter“. Ihnen wurde der Asylstatus aberkannt, sie dürfen weder arbeiten noch studieren und die Residenzpflicht verbietet es ihnen, den Landkreis zu verlassen. Eine Innenministerkonferenz wollte im November eine Bleiberechtsregelung schaffen, welche solchen Menschen Sicherheit verschaffen könnte – allerdings mit dem erklärten Ziel, „Zuwanderung in die Sozialsysteme“ zu verhindern, also endlich feststellen zu können, wen man abschieben darf und wen nicht. Aktuelle Brisanz hat auch der dramatische Fall von Gazale Salames Abschiebung, an welcher das niedersächsische Innenministerium scheinbar auf Teufel komm raus ein Exempel statuieren will.
Bereits im Vorfeld zur Innenministerkonferenz (IMK) wurden kritische Stimmen laut. Plötzlich, nachdem man ihnen es jahrelang erschwert hatte, sollten die betroffenen Familien nachweisen können, dass sie für ihren Unterhalt selbst aufkommen können und der deutschen Sprache mächtig sind, waren einige Befürchtungen. „Familien mit kleinen oder volljährigen Kindern, Familien mit schulpflichtigen Kindern und Niedrigeinkommen, Alleinstehende, Kranke und Behinderte sollen ausgeschlossen werden.“, hiess es von Seiten des niedersächsische Flüchtlingsrats.
Nach der Konferenz hörte sich das dann in einer Pressemitteilung der IMK dann so an: „Die Innenministerkonferenz beschloss, dass ausreisepflichtigen ausländischen Staatsangehörigen, die faktisch wirtschaftlich und sozial im Bundesgebiet integriert sind, unter bestimmten Voraussetzungen ein Bleiberecht gewährt werden soll.“ Der Flüchtlingsrat hatte also Recht mit seiner Befürchtung: bleiben darf nur, wer für den Arbeitsmarkt gebraucht werden kann. Der bayrische Innenminister Beckstein liess es sich nicht nehmen, im selben Atemzuge einen sofortigen Rauswurf für alle anderen zu fordern: „Das bedeutet im Gegenzug aber auch, dass der Aufenthalt von Ausländern, die nach dieser Regelung keine Aufenthaltserlaubnis erhalten können, konsequent beendet werden muss. Sie dürfen nicht durch großzügige Sozialleistungen Anreize für den weiteren Verbleib in Deutschland bekommen.“ Wäre ja auch noch schöner.
Wer nun also von den möglichen Profiteuren dieser Bleiberechtsregelung nicht schnell genug einen Arbeitsplatz findet, kann sich seiner Abschiebung fast sicher sein. Ohnehin betrifft die Regelung in ihrer aktuellen Fassung nur 20.000 Menschen, also 10% der so genannten „Geduldeten“. Von Seiten der Linksfraktion im Bundestag wurde die „Weigerung der Innenminister und der Koalitionsparteien“ hervorgehoben, „den Betroffenen, die einen Großteil ihres Lebens in der Bundesrepublik verbracht haben, grundsätzlich ein festes Aufenthaltsrecht zu gewähren“ Der Abgeordnete Sevim Dagdelen sah darin einen rechtswidrigen Eingriff in das Privatleben nach Artikel acht der Europäischen Menschenrechtskonvention.
Der niedersächsische Flüchtlingsrat kritisiert die hiesige Umsetzung der auf der Konferenz beschlossen Regelungen zu dem scharf. „Obwohl geduldete Flüchtlinge bislang zu Sprach- und Integrationskursen nicht zugelassen waren, will das MI einen Nachweis von ausreichenden
Deutschkenntnissen zur Voraussetzung für die Erteilung der Aufenthaltserlaubnis machen“ heisst es in einer Pressemitteilung. Des Weiteren wird kritisiert, dass ein größerer Bezug öffentlicher Leistungen für Großfamilien, welcher auf der Konferenz beschlossen wurde, in Niedersachsen nicht umgesetzt wurde.
Der Fall Gazale Salame
Durch das durch die Innenministerkonferenz entstandene Medieninteresse kam auch der Fall von Gazale Salame wieder ins norddeutsche Fernsehen. Die schwangere Gazale wurde im Februar 2005 mit einem ihrer Kinder vom Landkreis Hildesheim in die Türkei abgeschoben. Ihr Mann und zwei weitere Kinder durften bleiben. Man wurf ihr vor, bei der Einreise eine falsche Identität angegeben zu haben, was das Verwaltungsgericht Hannover im Juni diesen Jahres allerdings als haltlosen Vorwurf enttarnte. Gazale hätte nun eigentlich mit ihren zwei Kindern zum Rest ihrer Familie zurück kehren können, wenn nicht der Niedersächsische Innenminister Schünemann und sein Ministerium den Landkreis zur Einlegung von Revision gedrängt hätte. Das bedeutete für die Familie weitere Monate in Trennung.
Eben dieser Innenminister wurde nun auch im erwähnten NDR Beitrag interviewt. Man wolle einen Präzedenzfall an Frau Salame statuieren, um Rechtssicherheit zu schaffen. Einen Präzedenzfall auf Kosten von Familie Salame, welche seit nunmehr fast zwei Jahren getrennt voneinander lebt. Gazale mit zwei Kindern unter katastrophalen Bedingungen in einem Land, dass sie nicht kennt, ihr Mann und die beiden anderen Kinder nach wie vor im gewohnten Hildesheimer Umfeld. Dass die Familie sich eine Zusammenführung wünscht, konnte dann sogar Herr Schünemann im Interview nachvollziehen und legte Herrn Salame mit einer abstossend hochnäsigen Art nahe, doch einfach seiner Frau zu folgen und ebenfalls Deutschland zu verlassen. Da wundert es sich nicht, dass er sich in seiner noch nicht allzu langen Amtszeit den Beinamen „Abschiebeminister“ eingehandelt hat.
Ende November nun verfügte das Verwaltungsgericht Hannover, der Landkreis Hildesheim müsse Gazale und ihre Kinder zurück nach Deutschland holen und ihnen eine beschränkte Aufenthaltserlaubnis erteilen, bis letztinsanzlich geklärt sei, ob die Vorwürfe der Identitäsfälschung gegen ihren Mann haltlos und damit sein Aufenthalt in Deutschland rechtens ist. Die Begründung war humanitärer Natur, das Gericht berufte sich auf den grundgesetzlichen Schutz der Familie. Das sieht das Innenministerium aber nicht so und entschloss sich, der gerichtlichen Verfügung nicht Folge zu leisten. Eine Familienzusammenführung, wiederholte man, sei durch eine Ausreise der restlichen Familienmitglieder in die Türkei möglich. Auch der Landkreis Hildesheim hat gegen den Beschluss Beschwerde eingelegt. Und so muss Gazale weiterhin im Elendsviertel von Izmir hausen, ohne Sprachkenntnisse oder Kontakte zur restlichen Bevölkerung. Weitere 30 bis 50.000 Menschen werden jährlich aus der Bundesrepublik abgeschoben. Deutschland, ein Wintermärchen.
Update:
Die Rückkehr von Gazale Salame ist vor wenigen Tagen durch die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichtes Lüneburg verneint worden. Der Eilantrag, der es ihr zugestehen sollte, während der Zeit des Jahre dauernden Hauptverfahrens
bei ihrem Mann und ihren Kinder sein zu können, wurde nun in einer höheren Instanz abgelehnt. Zuvor hatte ein verwaltungsgerichtliches Urteil den Landkreis Hildesheim angewiesen, Gazale zurück zu holen. In einer Pressemitteilung die unten dokumentiert ist, weist die Hildesheimer Bleiberechtsinitiative auf den sich verschlechternden Zustand Gazale hin. http://papiere-fuer-alle.org/gazale-salame