Castor-Blockade

Ein Hauch von Wendland
von am 27. November 2011 veröffentlicht in Soziale Bewegungen, Titelstory

Am Samstagmorgen haben rund 100 Anti-Atom-AktivistInnen mit einer Blockade den Castor-Transport südlich von Göttingen aufgehalten. Monsters of Göttingen war mit vier Reportern und Fotografen vor Ort und berichtet aus erster Hand.

Samstagmorgen, kurz vor 7 Uhr. 20 Anti-Atom-AktivistInnen aus Göttingen schleichen im Dunkeln unter einer Brücke der Autobahn 44 in Richtung Bahndamm. Ihre Autos haben sie auf einem Feldweg beim südniedersächsischen Reckershausen geparkt. Hinter ihnen liegt eine schlaflose Nacht auf den Schleichwegen der Region mit stundenlangen Zwangspausen auf Parkplätzen, weil der Castor-Zug im nordhessischen Hühnfeld eine unerwartete, zweistündige Pause eingelegt hatte. Und ihn wollen sie schließlich zum Halten zwingen, den letzten Castor-Zug seiner Art, der aus der französischen Wiedereaufbereitungsanlage LaHague auf seinem Weg ins Wendland auch Göttingen durchfahren soll.

Dass die AktivistInnen zum rechten Zeitpunkt zwischen Friedland und Neu-Eichenberg über Felder in Richtung Bahnstrecke laufen, ist kein Zufall. Die Aktion ist minutiös geplant. Bislang scheint die Polizei sie nicht entdeckt zu haben, jedenfalls ist sie in der Nähe nicht zu sehen. Plötzlich tut sich eine kleine Unterführung unter dem Bahndamm auf. „Sichtbar machen!“, ertönt das Kommando und die Taschenlampen gehen an. Gleichzeitig gehen Warnanrufe bei der Polizei und der Bahn ein, JournalistInnen werden benachrichtigt.

Schnell erklimmen die AktivistInnen den Bahndamm und laufen Richtung Norden. Erste PolizistInnen werden auf sie aufmerksam, finden aber zunächst keinen Weg auf die Schienen. Wenig später steht der erste Beamte auf den Gleisen und bittet die CastorgegnerInnen freundlich aber bestimmt, die Strecke zu verlassen. Die stört das nicht, laufen weiter in Richtung Norden, wo ein Waldstück bis an die Gleise reicht. Über ihnen kreist ein Polizeihubschrauber, den Scheinwerfer konsequent auf sie gerichtet.

Dann plötzlich werden im Wald neben der Strecke Leuchtfeuerwerke gezündet, aus dem Dunkeln tönen menschliche Laute, die an Indianer-Darstellungen im Fernsehen erinnern. An mehreren Stellen stoßen kleine Gruppen von AktivistInnen aus dem Wald auf die Gleise. Es sind zunächst etwa 50, später scheinen es bis zu 100 zu sein, ein genaues Zählen ist unmöglich. Die Polizei, die jetzt mit etwa 20 Kräften vor Ort ist, versucht, sie wieder in den Wald zu drängen. Für jeden Aktivisten, mit dem ihr das gelingt, kommen an anderer Stelle zwei andere auf die Gleise gerannt.

Völlig überfordert versuchen die zahlenmäßig weit unterlegenen Einsatzkräfte, der Lage Herr zu werden. Das gelingt ihnen erst nach über einer Stunde, als unter anderem eine Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit der Bundepolizei und eine Polizeihundestaffel aus Göttingen an der Blockade ankommen. Bis dahin rennen immer wieder teilweise vermummte DemonstrantInnen auf die Gleise und verschwinden schnell wieder im Wald. Einige werden von den PolizistInnen geschubst, wenige in Gewahrsam genommen. Zum Ende versucht die Polizei, die Personalien der BlockiererInnen aufzunehmen, doch die meisten können ihre VerfolgerInnen am bewaldeten Hang abhängen.

Im Hintergrund läuft die PR-Maschine der AktivistInnen an. Noch während die Gleise blockiert sind, verschicken sie eine Pressemitteilung. Die „gezielte Störung von Atommülltransporten“ sei solange erforderlich, „bis die lebensfeindliche Atomenergienutzung und die Produktion von jahrtausendelang strahlendem Müll endgültig und weltweit beendet wird“, kommentiert eine Sprecherin die Aktion. Auch nach der von der Bundesregierung angekündigten Vereinbarung über den vermeintlichen Atomausstieg werde ein Großteil der Atomkraftwerke weiter betrieben. So werde immer neuer Strahlenmüll produziert, für dessen Entsorgung es keine Lösung gibt, so die Sprecherin. Mit “Wir stören weiter – bis zur entgültigen Stilllegung aller Atomanlagen!” lässt sich ein Aktivist zitieren.

Inzwischen geht die Sonne über Hebenshausen auf, die Polizei baut ihren zwischenzeitlich auf der nahegelegenen Autobahn errichteten Scheinwerfer wieder ab. Jetzt kommen auch zwei PolizeibeobachterInnen der Organisation BürgerInnen beobachten Polizei und Justiz an den Ort des Geschehens, um sich ein Bild vom Polizeieinsatz zu machen. Nach nur wenigen Minuten wird gegen sie ein Platzverweis ausgesprochen, trotz betont sachlichem Vortrag ihres Anliegens. „Für uns gehören Sie zur Störerseite“, macht ein Zugführer ihnen klar, was er von der Arbeit der Bürgerrechtsorganisation hält.

Viel zu kritisieren haben sie aber auch nicht: Im Großen und Ganzen läuft der Polizeieinsatz verhältnismäßig ab, von einigen schlecht gelaunten Beamten einmal abgesehen. Castorticker.de berichtet von Schlagstock- und Pfeffersprayeinsätzen, den die Polizei jedoch dementiert und keiner der vier MoG-Reporter beobachten konnte. Eine Journalistin aus Lüneburg ist von einem Polizeihund gebissen worden, angeblich als der Hundeführer gerade den Maulkorb neu richten wollte. Mehrere Tiere der Polizeihundestaffel waren allerdings gleich ohne Maulkorb zum Einsatzort gebracht worden (siehe Fotos).

Am Ende haben die AktivistInnen den Castor-Zug zwei Stunden lang zum Halten gezwungen. Um 9.15 Uhr passiert der Zug im Schrittempo die Blockadestelle, begleitet von Protestparolen aus dem naheligenden Wald. „Damit war dies die längste Castorblockade in Südniedersachen überhaupt und die größte Menschenblockade im Raum Göttingen seit den 90er Jahren“, schätzt das Göttinger Anti-Atom-Plenum die Aktion ein. Um 9.45 Uhr durchquert der Castor-Transport störungsfrei den Göttinger Bahnhof.

Reporter vor Ort: Rakete (Text und Fotos), 5708 (Fotos), Topf (Text und Fotos), Marcel Ramzinsky (Fotos). In der Ticker-Redaktion: Harvey.

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2 Kommentare auf "Ein Hauch von Wendland"

  1. winston_wants_victorygin sagt:

    Das die Reporter keine Schlagstockeinsätze beobachten konnten, heißt leider nicht dass es keine gab. Sorry monsters, auch ihr könnt nicht überall sein;-) Aber insgesammt gute Aktion und schöner Bericht.

  2. Rakete sagt:

    Haben wir ja auch gar nicht behauptet, sondern nur die Informationslage transparent gemacht.

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