Nach Durchsuchungen: Kritik am Vorgehen der Polizei
von am 28. Januar 2010 veröffentlicht in Antirassistische Politik & Verfolgung, Politik

Am gestrigen Abend durchsuchten Polizeibeamte das linke Wohnprojekt in der Roten Straße 1. Ein Spürhund soll eine Fährte vom Ort des Brandes im Kreishaus bis vor die Haustür dieser Adresse verfolgt haben. Die Durchsuchung wurde offenbar unter Mißachtung der Rechte der betroffenen Personen durchgesetzt und von einem Großaufgebot der Polizei abgesichert. Gefunden und mitgenommen wurden Computer und andere Datenträger, Klebstoff, sowie Beweismaterial in Bezug auf Graffitisprühereien.

Während andere Medien wie zum Beispiel goest auf Ungereimtheiten im Fall des Brandes im Kreishaus hinweisen, übernimmt das Göttinger Tageblatt einmal mehr kritiklos die Darstellung der Polizei und verschärft die Tatsachen in der Darstellung noch weiter, indem es den Begriff des Attentats ins Spiel bringt. Gleichzeitig verschweigen die Behörden noch immer, was den Brand ausgelöst hat, und schieben die vermeintliche Täterschaft aufgrund eines „in der Nähe des Tatortes“ (sic!) gefundenen Flugblatts der linken Szene zu.

Einen Tag nach den Durchsuchungen haben nun diverse Gruppen und Einzelpersonen die Polizeiaktion scharf kritisiert oder verurteilt. Verschiedene Stimmen stellen die Rechtmäßigkeit der polizeilichen Maßnahme und ihrer Durchführung in Frage. So sei die Durchsuchung teilweise ohne Beisein der Betroffenen durchgeführt worden, teilen die Bewohner_innen der Roten Straße 1 in einer Pressemitteilung mit. Auch wird allenthalben stark bezweifelt, dass ein Spürhund eine Fährte zum Haus verfolgt haben soll, zumal die Polizei nicht offenlegt woraus die Geruchsprobe bestand. „Es ist ein Skandal, dass ein Richter einen Durchsuchungsbeschluss auf einer solch vagen Beweisgrundlage überhaupt unterschreibt. Die Durchsuchung reiht sich ein in eine Vielzahl von Repressionsmaßnahmen gegen linke Strukturen.“, so die Bewohner_innen.

Auch die Göttinger Gruppe Gegenstrom kritisiert: „Obwohl es keinerlei konkrete Hinweise auf eine Täterschaft gibt, sind sich Behörden und Medien sicher: das waren Linksextremisten. So ist es sicher kein Zufall, dass der Spürhund (seit dem 28. Sind es auf einmal zwei Spürhunde) der Polizei angeblich ausgerechnet bei den bekannten und ältesten linken Wohnprojekten der Stadt in der Roten Straße anschlug, nachdem er fünf Tage nach dem Brand durch Neuschnee die „heiße“ Spur verfolgt haben soll.“ Die Gruppe Gegenstrom sieht andere Motive der Polizei am Werk, als die Aufklärung von vermeintlichen Straftaten: „Ganz gleich, was die Ursache des Brandes im Landkreis war: die Behörden suchten einen Grund, mal wieder die noch immer recht aktive linke Szene in Göttingen auszuforschen und ihr zu zeigen, wer das Gewaltmonopol besitzt – und es auch liebend gerne und ohne Grenzen anwendet.“

Tatsächlich scheint der Zusammenhang zwischen Brand und linker Szene konstruiert, ebenso wie die Geschichte mit dem Spürhund unglaubwürdig wirkt. So sieht auch die Antifaschistische Linke International in den Ermittlungen wegen des Brandes nur einen Vorwand der Polizei um die linke Szene mit derart gravierenden Polizeimaßnahmen einzuschüchtern, und bezweifelt die Rechtmäßigkeit der Aktion:„Dies ist ein Angriff auf linke Strukturen in Göttingen! In der Vergangenheit hat es mehrfach unter einem Vorwand Durchsuchungen in linken WGs gegeben, die später für rechtswidrig erklärt werden mussten.“ Damit nimmt die Gruppe auf die Durchsuchungen in linken Wohnungen bezug, die im Zusammenhang mit dem Fund von Chemikalien im Keller eines Wohnhauses in der Geismarlandstraße rechtswidrig durchgeführt wurden. Monsters of Göttingen berichtete.

Einig sind sich offenbar alle linken Gruppen in dem Punkt, das die Stimmungsmache von Polizei und Göttinger Tageblatt gegen die linke Szene mit der gestrigen Hausdurchsuchung ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden hat. Die Göttinger Antifa-Gruppe redical [m]: „Die Hausdurchsuchung ist der vorläufige Höhepunkt der anhaltenden Hetze und Repression gegen Linke in Göttingen, die seit dem Brand in der Teeküche nahe der Ausländerbehörde des Landkreises an Qualität deutlich zugenommen hat. Dass die Rechnung von Polizei und Staatsanwaltschaft jedoch nicht aufgehen wird, haben die spontanen Reaktionen der Göttinger Linken noch am Abend bewiesen.“ Noch während der Durchsuchung begannen Sympathisanten sich in der Roten Straße zu versammeln und führten eine Spontandemonstration durch, aus der heraus es anscheinend zu kleineren Sachbeschädigungen im Innenstadtbereich kam.


Protest gegen die Durchsuchung am Abend des 27. Januars

Neben der Durchsuchung wird auch das anschließende Vorgehen der Polizei bei einer Veranstaltung mit einer Holocaust-Überlebenden im alten Rathaus scharf angegriffen. Die Polizei habe am Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz durch die Rote Armee „unfassbar unsensibel“ agiert, so der Landtagsabgeordnete der Linken im Niedersächsischen Landtag, Patrick Humke-Focks. Bei der Veranstaltung mit der Holocaust-Überlebenden Esther Bejaranos und der Hip Hop-Formation „Microphone Mafia“ habe man sich „wie im Belagerungszustand“ gefühlt. „[…] gerade in Anwesenheit Frau Bejaranos ist ein derartiges Verhalten deutscher Polizeikräfte ein Skandal.“, so Humke-Focks weiter.

Die Gruppe Gegenstrom wählte indes schärfere Worte: „Dass sie weder Hirn noch Respekt vor der Geschichte besitzen, zeigten die Bullen kurz darauf vorm Alten Rathaus: […] Als das Konzert zu Ende war, mussten die BesucherInnen zwischen Bullenwannen durch ein Polizeispalier laufen, was sich an der Treppe zum Rathaus aufgestellt hatte.“ Die Veranstalter, das Bündnis „Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus“, sind empört und verurteilten das Vorgehen der Polizei „aufs Schärfste“. Sie fordern eine öffentliche Erklärung und Entschuldigung der Göttinger Polizei. „Dieser Einsatz der Polizei kündet von beispielloser Ignoranz gegenüber dem Gedenktag und der deutschen Verantwortung für den Nationalsozialismus“, sagte Mitveranstalterin Pia Gries vom DGB. „Als Polizistin würde ich mich schämen, einer Auschwitzüberlebenden und ihrer Familie so zu begegnen. Ich kann mir nicht erklären, was die Polizei von den Gästen der Veranstaltung wollte.“

Die Partei „DIE LINKE“, so Humke-Focks, will nun die Polizeiaktion zum Thema im Landtag machen. „Wir wollen wissen, welche juristische und polizeiliche Rechtfertigung es für die Durchsuchung gab, und ob nicht vielmehr politische Erwägungen eine Rolle spielten.“ Unterdessen rufen die Bewohner_innen der Roten Straße für kommenden Samstag zu einer Demonstration gegen Repression auf: „Wir werden diese willkürlichen Maßnahmen nicht widerstandslos hinnehmen und verurteilen sowohl die Hetze gegen antirassistische Politik als auch die mit ihr verbundene Repression.“, so eine Sprecherin.

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Ein Kommentar auf "Nach Durchsuchungen: Kritik am Vorgehen der Polizei"

  1. cyberpunk sagt:

    Gibt’s eigtl. noch irgendwo diese schönen schwarzen Shirts, passend zum Transpi?

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