Zug der Erinnerung: 4500 Gäste, Störmanöver der Bahn
von am 24. Dezember 2007 veröffentlicht in Politik

Die Regionalgruppe Göttingen des „Zugs der Erinnerung“ zieht eine positive Bilanz des Aufenthalts der rollenden Ausstellung in der Region. Auf den Schienen der ehemaligen Reichsbahn wurde eine Ausstellung über die Deportation und Ermordung von Kindern im nationalsozialistischen Deutschland gezeigt. Rund 4500 Menschen haben sich diese nach Angaben der Veranstalter_innen angesehen. Eine Kundgebung besuchten knapp 100 Menschen. Kritik übt die Regionalgruppe allerdings am Göttinger Bahnhofsmanagement: dieses habe sich durch Zurückhaltung und Störmanöver ausgezeichnet.

Alleine in Göttingen selbst hätten 3000 Menschen die Ausstellung besucht, berichten die Veranstalter_innen. Der Zug hielt auch in den Bahnhöfen von Hann Münden und Northeim. In Hann Münden sind laut einer Presemitteilung der Regionalgruppe Göttingen rund tausend Besucher_innen zu Gast gewesen. In Northeim seien es 450 gewesen. In Hann Münden kam es jedoch zu einem tragischen Unfall. Ein Mann, der den Ausstellungszug vom gegenüberliegenden Bahnsteig fotografieren wollte, wurde von einem anderen Zug erfasst und kam dabei ums Leben.

Den enormen Zuspruch begleiten Schulen und Archive mit eigenen Recherchen, die sie dem Zug zur Verfügung stellen. Bei Ankunft in Göttingen übergaben Jugendliche mehrerer Ausbildungsstätten ihre Arbeitsergebnisse in einer Feierstunde, die das örtliche Aktionsbündnis vorbereitet hatte. „Wir sind stolz auf das Engagement der Schulen“, sagt Anne Berghoff von der Göttinger Geschichtswerkstatt, die gemeinsam mit der Jüdischen Gemeinde zu den örtlichen Initiatoren gehört. Die Integrierte Gesamtschule (IGS) präsentierte eine Webseite, die in Kürze online gehen wird und die Biografien von 14 deportierten Jugendlichen aus der Region vorstellt. Schüler der Personn-Realschule erarbeiteten den Lebensweg der Göttinger Familien Rosenstein und Nasser, Schüler aus Duderstadt führten eine Befragung unter Gleichaltrigen durch, um deren Einstellung zum Rechtsextremismus zu dokumentieren. „Die Aktivitäten zeigen, daß der ‚Zug der Erinnerung‘ pädagogische Anstösse gibt, aber nach keinerlei Muster verfährt und für unterschiedliche Ansätze offen ist“, resümiert Anne Berghoff.

Die örtliche Regionalgruppe wertet die Besucher_innenzahl von 4500 Menschen an fünf Tagen als Erfolg. Dieser musste jedoch „mühsam gegen den Widerstandder Deutschen Bahn durchgesetzt werden“ beklagt die Gruppe in einer Pressemitteilung. So habe das Unternehmen einen Tag vor der Ankunft des Zuges in Göttingen 1000 Euro für die Stromversorgung verlangt, da entsprechende Kabel gekauft werden müssten. Nachdem die Veranstalter_innen sich um Leihkabel des THW gekümmert hatten, forderte das örtliche Bahnhofsmanagement 300 Euro für die Verlegung der Kabel. „Diese Geldforderung ist überzogen und unverschämt“,sagte die Sprecherin der Regionalgruppe. „Wir können das nur als den Versuch verstehen, eine unliebsame, weil bahnkritische Ausstellung zu sabotieren – beim ‚Zug der Erinnerung’ geht es ja auch um die Rolle der Reichsbahn im Holocaust und um die Weigerung der Deutschen Bahn, sich mit dieser Vergangenheit auseinander zu setzen.“

Die Bahn hatte sich auch im Vorfeld keines Wegs altruistisch gezeigt. Für die Nutzung der Schienen zahlen die Organisatoren sogenannte Trassengebühren an die Bahn AG. Darüber hinaus ist das Gedenken in den Bahnhöfen nach Regelsätzen für Zugaufenthalte zu entgelten. Diese Beträge summieren sich auf mehrere 10.000 Euro. Einen Erlaß dieser Gebühren hatte die Bahn AG abgelehnt. Eine Bitte um finanzielle Unterstützung wies das Verkehrsministerium Anfang Dezember “aus rechtlichen Gründen” zurück. Insgesamt kostet die mehrmonatige Fahrt über 250.000 Euro.

Dem „Zug der Erinnerung“ ging es schon von Beginn an auch um eine Kritik an der Firmenpolitik der Der Deutschen Bahn. „Es geht um die Verantwortung, die Menschen und Institutionen wie die Reichsbahn und deren Folgeunternehmen Deutsche Bahn übernehmen müssen“ hiess es in einer Publikation. Bereits im letzten Januar entfernten Mitarbeiter der Deutschen Bahn im Göttinger Bahnhof aufgehängte Bilder von deportierten Juden. Menschen, die im Bahnhof an die Deportierten erinnern wollten, erhielten Hausverbot. „Es kann nicht angehen, dass deutsche Unternehmen es von ihrem Gutdünken abhängig machen, ob und wenn ja, wo und wie der Opfer des Nationalsozialismus gedacht wird“, kritisierte die Regionalgruppe und forderte freie Informationen und offene Erinnerung an die verschleppten Menschen auf den Bahnhöfen der Deportationsstrecken.

Der „Zug der Erinnerung“ wird dennoch weiter in ganz Deutschland über die Deportationen aufklären. Das Göttinger Veranstaltungsprogramm reicht noch bis in das kommende Frühjahr. Zu diesem Zeitpunkt wird der Zug seine zweite Etappe durchfahren: Niedersachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und Sachsen.

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