„All right, impress me!“ – Against Me! über Majordeals und Punkrocktouristen
von am 4. Juni 2006 veröffentlicht in Gespräche

Against Me! wurden noch vor einem knappen Jahr als Bollwerk gegen den Major-Ausverkauf von Punkrockbands gefeiert, auf ihrer kürzlich erschienenen DVD widmet die Band ein ganzes Kapitel den bösen Konzernen. Jetzt plötzlich unterschrieben die Gainesvillianer bei einem Unterlabel von Warner – das und noch viele andere Sachen erklärte uns ein äußerst sympatischer Warren bei einem Interview vor ihrem Konzert im Göttinger Theaterkeller. Auch wer sich für die fast schon sagenumwobene Kleinstadt Gainesville interessiert, klickt bitte auf:

Bitte stell‘ dich doch kurz vor.

Mein Name ist Warren und ich spiele Schlagzeug in der Rock’n’Roll Band Against Me!.

Du würdest also Against Me! als Rock’n’Roll Band beschreiben?

Sicher. Es ist der größte gemeinsame Nenner. Wenn du es irgend einer Weise spezifischer ausdrückst, bekommen die Leute falsche Vorstellugnen. Wenn ich „Punk-Band“ sagen würde, dann würden die Leute Iros erwarten. Wenn du einfach „Rock’n’Roll sagst, kann es 1000 Dinge bedeuten.

Ich habe mal versucht, eure Musik mit „sing-a-long Punkrock mit Countryeinflüssen“ zu beschreiben…

Das ist eine Sache, die wir machen. Wir schreiben ständig neue Songs und überlegen, was wir rausbringen können. Was wir mal gemacht haben muss nicht unbedingt das sein, was wir immer machen werden. Die Leute denken, dass du deinen Sound gefunden hast und deswegen auch so weiter machen musst. Wir machen uns keine Auflagen; wenn wir einen Song schreiben und mögen, der sich nach Jazz anhört und wir ihn veröffentlichen wollen, dann klingt die nächste Platte eben nach Jazz.

Also werden Againt Me! niemals ihren Sound finden?

Ich glaube, wir sind ganz froh, dass wir von den verschiedensten Stilen klauen können und es in unsere Songs mit einbringen können…

Fühlst du dich wie ein Dieb?

Ein bisschen. Aber eigentlich denke ich, dass Eigentum letztendlich Diebstahl ist, insbesondere intellektuelles Eigentum. Das heisst ja, dass eine Idee oder ein Konzept dir gehört und niemand anderes daraus einen positiven Nutzen daraus ziehen darf.

Ich fragte nur, weil du ja das Wort stehlen benutzt hast.

Manchmal fühle ich mich tatsächlich so, aber vielleicht sollte man lieber sagen, dass man sich etwas von der Tradition ausleiht, oder von verschiedenen Stilen.

Wenn wir schon über Musikstile reden… wie würdest du eure musikalische Entwicklung über die Jahre beschreiben?

Ich denke darüber nie aus der Distanz nach. Wenn du an einem Song arbeitest stellst du dir eher Fragen wie „Wie kriege ich diesen Teil hin?“oder „Wie passt diese Bridge am besten zu diesem Chorus?“. Wenn du zwischen zwei verschieden klingenden Teilen wechselst, sollte es Sinn machen, es sollte sich nie aprubt anhören. Nachdem ein Song dann aufgenommen wurde und nachdem du keine Lust mehr hast, den Song zu hören, weil du Monate lang daran gearbeitet hast, dann kannst du dich irgendwann hinsetzen und den Song in Ruhe hören. Dann verstehst du, was die Leute meinen wenn sie sagen, der Song kling soundso. Ich habe niemals die Vision einen Song zu machen, der die Leute an irgendwelche anderen Songs erinnert. Also ich glaube, dass Leute ausserhalb der Band einen besseren Blickwinkel haben, um die musikalische Entwicklung zu beschreiben. Für mich bleibt es immer gleich, weil der Prozess eben auch gleich bleibt.

Also wenn du heute eure ersten Veröffentlichungen anhört, magst du sie bedingungslos?

Da störe ich mich dann mehr an der Akkustik. Ich mag meine Snare auf dem ersten Album nicht, die hört sich da ziemlich schlecht an. Ich würde sie heute auf keinen Fall wieder so klingen lassen, aber es ist okay und funktionierte für die damalige Zeit und ich würde niemals zurück gehen wollen, um es zu ändern. Das Songwriting hingegen macht für mich auch heute noch Sinn, ich verstehe, was wir da versucht haben. Da habe ich eher meine Probleme mit der Akkustik oder der Geschwindigkeit. Bei manchen Sachen, die wir damals aufgenommen haben, denke ich heute, dass wir es viel zu schnell gespielt haben. Vielleicht hatten wir da mehr Energie, aber es ist nicht die Geschwindigkeit, die ich im Kopf habe. Wenn ich dann die Platte auflege, kommt es mir viel zu schnell vor. Wir haben versucht, das auf dem letzten album besser zu machen, also die Songs in der Geschwindigkeit aufzunehmen, wie wir sie im Kopf haben.

Als ich euch das erste Mal sah, war gerade „Reinventing Axl Rose“ draussen. Ich war ziemlich vom akkustischen Sound begeistert und recht enttäuscht, als ihr dann mit E-Gitarren aufgetreten seid…

Wir sind nie mit Akkustik-Gitarren getourt, jedenfalls nicht in meiner Zeit. Der alte Drummer hat keine Metall-Elemente wie Becken benutzt, da ging das noch ganz gut mit Akkustik-Gitarre. Als ich anfing brachte ich meine Becken mit und es hat viel zu laut gescheppert, sodass man die Gitarre gar nicht mehr hören konnte. Ausserdem ist die Band mit der Zeit auch immer lauter geworden.

Es ist ganz lustig zu sehen, wenn wir in einer neuen Stadt spielen und in den Vorberichten ist von einer Akkustik-Folk-Punk-Band zu lesen. Dann sind die Leute natürlich enttäuscht, wenn das Konzert dann mit Akkustik überhaupt nichts zu tun hat.

Was können wir vom nächsten Album erwarten, das Live-Album mal ausser Acht gelassen?

Wir haben eine Menge neuer Songs. Da wir ja nie nach Hause kommen, schreiben wir unsere Songs während der Soundchecks. Tom schreibt die Lyrics mit seiner Akkustik-Gitarre und während des Soundchecks probieren wir aus, wie es sich anhört. Das spielen wir dann 10 Minuten und dann heisst es „Okay, merkt euch das, wir machen morgen weiter!“. So basteln wir die Songs Stück für Stück zusammen. Ich hätte nie gedacht, dass das funktioniert, aber es ist eigentlich ganz cool: du kannst ein kleines Stück Song erarbeiten und dann einen Tag drüber nachdenken, ob wir etwas ändern wollen. Wir können die Songs dann auch während der Shows ausprobieren. Während dieser Tour haben wir jeden Tag zwei brandneue Songs gespielt und ausprobiert, ob sie im Set funktionieren.

Musikalisch kann ich nicht sagen, ob es sich nach den alten Sachen anhört, oder nicht, aber… es macht Spaß.

…und darum sollte es ja gehen. Eine Frage, die böse Magazine stellen würden: werden wir den Major Sound auf der neuen Scheibe hören?

Oh… wir wissen noch nicht, wo wir aufnehmen werden. Aber ich glaube, wir haben eine andere Vorstellung von einer gut klingenden Platte als MTV. Die Platte wird sich für uns gut anhören. Wenn die Leute mit uns auf einer Wellenlänge sind, werden sie sie auch gut finden. Aber wie gesagt, wir wissen noch nicht, wo wir sie aufnehmen. Es gibt eine Welt voller Möglichkeiten, was ziemlich aufregend ist. Hoffentlich treffen wir die richtige Entscheidung.

Es ist ja auch fraglich, wieviel ein Produzent damit zu tun hat, wie die Platte klingt und wieviel wirklich daran hängt, wie sehr sich die Band rein hängt. Wir wollen niemanden, der etwas kreiert, was nicht da ist, wir wollen einfach eine Dokumentation über das, was wir machen.Für mich ist es irgendwie auch unnatürlich, einen Song zehn Mal am Stück zu spielen um sich hinterher zu überlegen, was denn ejtzt die beste Aufnahme war. Spontanität ist sehr wichtig, damit ein Song funktioniert; sie ist der Grund, warum ein Song die Energie hat, die er hat und warum er sich gut anhört.Man sollte einen Song nicht ins Labor bringen und mit dem Mikroskop auseinnandernehmen. Also, wir werden unser Bestes geben.

Folglich wäre es für euch unvorstellbar, einen Song Instrument für Instrument aufzunehmen, wie es ja viele Bands tun?

Wir nehmen als Band auf. Wir gehen in einen Raum und spielen. Alles andere wäre verrückt, es würde sich lächerlich anhören.

Ich habe gerade ein Interview mit Against Me! Aus dem letzten Sommer mit dem Magazin Southspace gelesen. Da ging es um Major-Labels und ihr habt befürchtet, dass man die Kontrolle verlieren würde, wenn man bei einem Majorlabel unterschreibt. Jetzt habt ihr bei einem Majorlabel unterschrieben. Was ist passiert?

….Wir hatten die Möglichkeit, dass uns alles versichert wurde, wo wir uns Sorgen drüber gemacht haben. Das Touren blieb komplett in unseren Händen, sodass wir nie dazu gezwungen werden können, wo zu spielen, wo wir nicht spielen wollen oder mit einer Band zu spielen, mit der wir nicht spielen wollen. Einfach die volle kreative Kontrolle: wir können aufnehmen, was wir wollen, niemand kann uns reinreden. Alles ist immernoch so, wie wir es wollen. Nichts wird sich ändern – ausser dem CD-Vertrieb. Als wir zu diesem Punkt kamen, an dem sich uns die Chance bot, unseren Vertrieb zu wechseln, war es für uns einfach logisch. Das möchte ich mein Leben lang tun: Reisen und Musik machen.

Wir haben jetzt mit drei, vier Labels gearbeitet und wir werden wahrscheinlich auch mit noch mehreren arbeiten. Für mich ist das nicht tragisch, es ist Rock’n’Roll. Wir machen Musik. Wir sind alle ziemlich gespannt und wir werden aus der Erfahrung lernen und es beim nächsten Mal dann besser machen.

Warum fiel die Wahl auf Sire Records? Waren besagte Freiheiten der Grund?

Ja, das, und wir haben ein gutes Gefühl bei den Leuten, mit denen wir arbeiten werden. Ausserdem ist der Labelroster unglaublich! Sagen zu können, dass die Ramones, Blondie und Madonna unsere Labelmates sind… ich kann nicht sagen, dass das kein Grund für uns war, uns für Sire zu entscheiden. Ausserdem war keine dieser Bands im traditionellen Sinne eine Popband und sie durften musikalische Experimente machen. Das spricht ja auch dafür, dass sie nicht darauf aus sind, eine Band zu verarschen.

Du meintest vorhin, dass Eigentum Diebstahl sei. Ist jetzt nicht ein Major Eigentümer eurer Musik?

Nicht wirklich. Was die Leute sagen und was wirklich abläuft sind zwei verschiedene Dinge. Ein Album zu kaufen ist nicht mehr der einzige Weg, Zugang zu einem Song zu bekommen. Die Leute sehen die Majors als böses Empire, während sie eigentlich gerade einen ziemlich schlechten Stand haben. Sie sind nicht mehr die Riesen, die sie mal waren. Wenn die Leute das Label einer Band nicht mögen, aber dafür die Songs, dann können Sie die Songs umsonst bekommen. Das Label kann sich ihnen nicht in den Weg stellen. Ich denke, dass es noch weiter in diese Richtung gehen wird, Plattenfirmen wie wir sie kennen sind dabei, auszusterben.

Ich hatte viele Unterhaltungen, auch mit alten politischen Freunden über den Punkt, an dem du plötzlich mit einem multinationalem Konzern arbeitest und inwiefern dieser dich benutzt um komplett andere Sachen zu machen, die nicht in deinem Interesse sind und mit Musik nichts zu tun hat. Sire ist eine reine Unterhaltungsfirma. Viele andere Labels wie Virgin machen noch ganz andere Sachen.

Es ist kompliziert. Wenn die Leute einen Bezug zu DIY haben ist manchmal schon die Tatsache, dass eine Band bei einem Major unterschreibt Grund genug, die Band nicht mehr zu mögen. Diese Leute sollten einen Song schreiben, sie sollten eine DIY-Band gründen und einen Song darüber schreiben oder eine andere Band finden, der sie ihre Liebe und Energie schenken wollen. Das ist okay.

Mache Leute machen nur Konzerte mit Bands, die keine Booking-Agentur haben.

Tom hat am Anfang auch immer darauf bestanden, das Booking selber zu machen. Er hat dann während der Tour die nächste Tour gebookt. Das geht einfach irgendwann nicht mehr.

Wenn du eine Umfrage unter 100 Leuten machst, was für sie Sellout bedeutet, wirst du 100 verschiedene Antworten bekommen. Wir mussten uns Dinge wie „Ihr seid von Akkustik-Gitarren auf E-Gitarren umgestiegen und wendet euch vom klassischen Bob-Dylen-Weg ab“ anhören. Auch unser Wechsel von No Idea zu Fatwreck, dem „dummen Poppunklabel“, bedeutete für viele den Sellout der Band. Wenn man dir das so oft vorwirft, aus so vielen unterschiedlichen Gründen, kannst du es irgendwann nicht mehr ernst nehmen. Erst sind wir scheiße, weil wir auf dem Label sind, dann sind wir scheiße, weil wir auf jenem Label sind, dann sind wir scheiße wegen unserer Bookingagentur… wenn jemand das nicht mag, dann mag er’s halt nicht. Take it, if you want it!

Ihr kommt ja wie viele andere bekannte Bands auch aus Gainesville. Für viele Leute ist Gainesville Punkrock-City! Die ganzen Bands und Labels… Ein Freund von mir war mal da und all seine Erwartungen wurden enttäuscht: er konnte noch nicht mal jemanden finden, der Hot Water Music kannte… Wie ist Gainesville?

Gainesville ist eine kleine Stadt und hat ein… ja hat halt No Idea Records. Ich glaube es sind verschiedene Faktoren, die Gainesville als ein solches Mekka der Independentmusik erscheinen lassen. In Florida ist jede andere Stadt an der Küste sehr teuer, wie überall am Strand, das ist also eher etwas für alte Leute mit viel Geld. Wenn du am Strand aufwächst, willst du irgendwann da weg, weil du die Mieten nicht bezahlen kannst und alle um dich rum so viel älter sind. Wenn du weg willst, suchst du dir eine coole Stadt in Küstennähe, da bietet sich Gainesville mit seiner Musikvergangenheit natürlich an. Folglich landet jeder, der in Florida aufwächst und in einer Band spielen will in der kleinen Stadt Gainesville. Deshalb leben in Gainesville die besten Musiker des ganzen Staates Florida.

Ausserdem gibt es ein sehr günstiges, gutes Tonstudio dort, wo schon Hot Water Music aufgenommen haben oder wir „Reinventing Axl Rose“. Es gibt also viele gutaussehende, gut klingende Platten aus Gainesville von einer Menge Bands, die aber vielleicht nur ein paar Monate existiert haben. Eine relativ kleine Gruppe von Leuten bringt unter den verschiedensten Bandnamen eine Platte nach der anderen Raus und die Releases werden ziemlich gut dokumentiert. Das ist ähnlich wie in D.C. mit Dischord Records. Diese kleine Stadt erschien für Leute von ausserhalb tierisch groß, weil einfach 20 großartige Platten aus dieser kleinen Stadt kamen.

Wenn dein Nachbar gerade eine gute Platte geschrieben hat, wirst du kaum bei deiner Show Nirvana-Cover spielen. Es gibt also auch so etwas wie einen Wettbewerb unter den Bands.

Aber um auf die Stadt zurück zu kommen… es ist eine Uni-Stadt. Ein paar gute Plattenläden, ein paar gute Clubs… aber wenn du durch die Stadt gehst, siehst du nicht an jeder Ecke einen Punk stehen. Viele Leute kommen nach Gainesville und erwarten, dass die Stadt einem etwas gibt. Das wird Gainesville nicht tun. Wenn jemand kommt und sich denkt „All right, impress me!“, dann gehen die Lichter aus. Die Stadt muss sich so auch schützen, weil sonst die Touristen kommen und sie töten würden.

Gibt es so etwas wie Punkrock-Tourismus in Gainesville?

Oh ja, Punkrock-Touristen. So wie wahrscheinlich auch dein Freund. Das selbe passierte in Seattle, wo ein paar Bands ein paar gute Scheiben aufgenommen haben und die Stadt plötzlich „the place“ war. Dann kamen die ganzen Leute und haben die Stadt dadurch abgewertet, dass sie kamen mit der Erwartung, dass die Stadt sie beeindrucken würde.

Wie ist denn die Beziehung zwischen den ganzen Bands in Gainesville? Kennt da jeder jeden?

Wir kennen Hot Water Music sehr gut und haben einige Shows mit ihnen gespielt. Drei von ihnen sind jetzt bei The Draft. Für eine lange Zeit waren Hot Water Music nie da, weil sie immer getourt sind.Wie wir jetzt. Wenn du heute in Gainesvielle fragst, ob Against Me! da sind, bekommst du als Antwort, dass wir seit Monaten nicht mehr da waren. Und wenn ich dann mal für drei Tage da bin, verbringe ich die Zeit mit meinen Freunden und hänge nicht auf den Shows rum.

Der Gitarrist einer befreundeten Band lebt mit dem einen Typen von Less Than Jake in einem Haus. Es ist schon eine kleine Szene, du gehst mit den Leuten in die selbe Bar, es ist halt eine kleine Stadt. Es ist ja aber nicht so, dass Hot Water Music, Less Than Jake und wir jede Nacht in der selben Bar hocken, weil alle viel unterwegs sind.

Vielen Dank für das sehr nette Interview!

Ich fand’s auch gut, danke.

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