Interview mit Freiwilligen HelferInnen auf der Balkanroute
Wenn die Menschenwürde im Stau steht
von topf am 21. Oktober 2015 veröffentlicht in Politik, TitelstoryPreševo liegt kurz hinter der serbisch/mazedonischen Grenze und ist Teil der "Balkanroute"
Die Situation der Geflüchteten in Deutschland ist nicht gut. Noch viel schlimmer geht es denen, die noch auf der Flucht sind. Besonders auf der Balkanroute sorgen die Grenzschließungen für „Stau“, gleichzeitig sinken die Temperaturen und Dauerregen hat eingesetzt. Eine Gruppe Göttinger Freiwilliger ist vor Ort. Monsters hat mit ihnen gesprochen.
Zur Zeit sind die GöttingerInnen in Preševo an der serbisch-mazedonischen Grenze. Nahe einer dortigen Registrierungsstelle für Geflüchtete, wo diese ein Transit-Visum für Serbien bekommen können, haben sie eine mobile Küche eingerichtet. Gemeinsam mit anderen Volunteers aus der Schweiz, Österreich und anderen Ländern versuchen sie, den ankommenden Geflüchteten die weiterreise etwas zu erleichtern. Das Interview haben wir gestern über Skype geführt.
Danke, dass Ihr euch Zeit genommen habt! Was macht ihr im Moment?
Wir sind Teil einer Gruppe Volunteers, die außerhalb des normalen Registrierungscamps eine Küche aufgebaut haben, mit mehreren Gaskochern, wo wir im Prinzip 24/7 versuchen die Menschen mit dem Nötigsten zu versorgen. Wir geben ganz viele Bananen und Kekse raus. Wir kochen etwa vier bis fünf Mal am Tag Riesentöpfe mit Essen, weil die Leute aus dem Registrierungs-Camp rauskommen und großteils keine Verpflegung für die 6 Stunden Busfahrt und die danach folgenden 1,5 Kilometer zu Fuß zum nächsten Camp an der kroatisch-serbischen Grenzen haben. Die kommen halt zu uns und wir kaufen hier für 1500 bis 2000 Euro am Tag Essen ein und versuchen, das an die Menschen zu verteilen.
Wieviele Geflüchtete kommen denn bei euch zur Zeit durch?
Das ist sehr unterschiedlich, weil durch den Rückstau an der ungarisch-kroatischen Grenze die Behörden auch hier anfangen, den Registrierungsprozess zu verlangsamen. Zum Beispiel sind gestern Nacht auf einen Schlag 4000 Menschen hier angekommen, obwohl die Kapazitäten nur für 800 reichen. Letzte Nacht waren nur 800 Menschen hier. Ich habe selber keine gesicherten Informationen, aber die lokalen HelferInnen berichten, dass sie davon ausgehen, dass Mazedonien ebenfalls anfängt, die Geflüchteten zurückzuhalten. Die Strategie scheint zu sein: Sie setzen die Leute aus den Bussen zwei bis drei Kilometer vor der Stadt ab, so dass die Leute nachts im Regen die Strecke laufen müssen. Dadurch brauchen sie wesentlich länger als wenn sie mit dem Bus direkt dorthin gefahren würden, wo sie sich registrieren können.
Was brauchen denn die Menschen, die bei euch ankommen, am dringendsten und woran fehlt es?
Es fehlt einerseits an ganz grundlegenden Sachen wie trockene Schuhe, Socken, Essen, Regenmäntel, Decken, warmer Kleidung. Unterbringungsmöglichkeiten wären ein Traum, um die Menschen nicht im Regen warten zu lassen. Es hat gerade wieder angefangen zu regnen, das Wasser steht schon wieder zentimeterhoch. Die Leute stehen in ihrer eigenen Scheiße, denn es gibt für Tausende Leute acht Dixies. Viele haben Durchfall und brauchen Medikamente. „Ärzte ohne Grenzen“ und „Humedica“ sind mit ein bis zwei Ärzten und vielleicht zwei Krankenschwestern hier. Es gibt im Registrierungscamp noch eine ärztliche Versorgungsstelle, die können aber keine schweren Fälle annehmen sondern nur eine Ambulanz rufen. Diese Ambulanz kann aber nur die Polizei rufen, aus welchem Grund auch immer, wir wissen es nicht genau. Und 95% der Ärzte hier sprechen nur serbisch, das heißt wir sind auch auf lokale HelferInnen angewiesen.
Ihr seid nun direkt am Registrierungscamp – wie funktioniert die Infrastruktur dort?
Funktionieren ist kein richtiges Wort. Die Bedingungen, unter denen die Menschen hier in der Schlange stehen, wie die Polizei mit ihnen umgeht und wie die ärztliche Versorgung hier ist, sind einfach nicht menschlich. Ein rudimentäres Beispiel: Innerhalb des Registrierungscamps kriegen die Menschen Registrierungsmarken, aber das rote Kreuz sagt den Menschen nicht, dass sie die innerhalb des Camps nur eintauschen können. Dann kommen die teilweise raus in die Küche außerhalb des Camps und hätten gern Essen und dürfen dann nicht wieder in das Camp hinein. Wir sind etwa 20 bis 25 HelferInnen und wir sind die Einzigen, die die Menschen in der Schlange mit Wasser, Essen, Decken und Regencapes versorgen. Je Nachdem ob das Registrierungs-Camp gerade offen hat, stehen die Menschen da zwischen einer und zwölf Stunden.
Ein Video, dass das Rastplatz-Projekt veröffentlicht hat – irgendwie versucht man, die Stimmung zu retten.
Wie sieht es denn mit der Infrastruktur der größeren Hilfswerke und des Staates aus? Ist die dem gewachsen?
Ich glaube man kann dem Ganzen nicht gewachsen sein, besonders angesichts der politischen Entwicklung in Ungarn und Kroation. Vor allem kein Staat wie Serbien ist in der Lage, zusätzlich zur eigenen Bevölkerung, solche Menschenmengen menschenwürdig unterzubringen. Hier wurde beispielsweise eine Frauen- und Kinderstation eingerichtet, wo „extremely vulnerable families“, also hochschwangere Frauen oder Frauen mit kleinen Kindern, die unterkühlt sind oder ähnliches, untergebracht wurden. Das wurde bis vor drei Tagen ausschließlich von freiwilligen Helfern gestemmt, seit drei Tagen ist jetzt die NGO „Save The Children“ hier. Im Registrierungscamp gibt es das UNHCR, die ziemlich gut mit uns Volunteers zusammenarbeiten. Aber zum Beispiel gestern Nacht, als so viele Menschen hier waren, hatten die keine Decken und kein Wasser mehr. Dann gibt es eine dritte Hilfsorganisation, von der ich nicht so viel halte, weil der lokale Chef einfach ein patriarchaler Macker ist, der sich versucht zu profilieren indem er Hilfe leistet – die aber extrem ineffizient organisiert ist. Auf der anderen Seite hast du hier die staatliche Registrierungsstelle und staatliche Autoritäten, aber zur humanitären Versorgung können sie, glaube ich, auch einfach von den Ressourcen die sie haben, nicht beitragen.
Wie schätzt ihr eigentlich die politische Situation an Europas Außengrenzen und besonders auf der Balkanroute ein?
Wir kriegen ja relativ wenig mit. Klar, wir haben mitbekommen, das Ungarn die Grenze dichtgemacht hat. Und wir haben mitbekommen, dass Kroatien die Registrierungsprozesse extrem verlangsamt. Dadurch entsteht ein Rückstau an Menschen hier in Serbien, dann weiter in Mazedonien und in Bulgarien, wo halt die Menschenrechtslage noch um einiges beschissener ist als hier. In Šid, hier in Serbien, an dem Grenzübergang, der nach Kroatien führt, ist die Situation auch einiges schlechter als hier in Presevo. Ich habe das Gefühl, dass dadurch, dass Ungarn die Grenze dicht gemacht hat, es ein Signal an andere Länder wie Kroatien ist, es genauso zu machen. Auch weil sie als Nation einfach die wenigste politische Macht haben und es deshalb ausbaden müssen.
Was müsste denn eurer Meinung nach die Politik tun?
Ich war zum Beispiel gestern in einem Meeting der NGOs, die im Camp sind und denen, die ausserhalb sind, und den Freiwilligen HelferInnen. Das UNHCR hat einen „International Aid Call“ -also quasi einen internationalen Hilferuf- gestartet hat, dass sich hier so viele Hilfsorganisationen wie möglich sammeln, um eine Art humanitären Korridor einzurichten, der die Leute über Länder wie Bulgarien, wie Mazedonien, Bulgarien, die Türkei und Griechenland schützt, dass die nicht von Schleppern oder Polizei oder ähnlichem ausgeraubt werden. So dass der Verkehr von den Ländern bis nach Europa laufen kann. Aber es fehlt hier einfach am grundlegender Infrastruktur, weil die Länder einfach nicht in der Lage sind, ihre eigenen Probleme überhaupt zu lösen.
Und was bräuchtet ihr als Volunteers?
Das ist auf der einen Seite einfach Geld, um die medizinische Versorgung und die Essensversorgung zu gewährleisten und um weiter Decken, Kleidung, Zelte und Isomatten zu kaufen. Auf der anderen Seite würde es natürlich unglaublich helfen, in irgendeiner Form eine Beziehung mit serbischen Offiziellen herzustellen, die der serbischen Regierung einfach finanzielle und infrastrukturelle Hilfe zukommen lässt. Allein, wenn hier ein Flugzeug landen würde, mit 30 Dixie-Toiletten, 5000 Decken und Essen für 5000 Menschen würde es die Situation hier für vier Tage zu einem Traum machen.
Die Göttinger Volunteers haben gemeinsam mit anderen einen Spendenaufruf gestartet. Aktuell arbeiten sie mit dem „Rastplatz“-Projekt zusammen, dass über Betterplace Spenden annimmt, um Essen und Ähnliches ausgeben können.