Jetmir K. heute abgeschoben

Spontandemo durch die Innenstadt
von am 7. August 2012 veröffentlicht in featured, Soziale Bewegungen

Jetmir K., über dessen bevorstehende Abschiebung wir gestern berichtet hatten, wurde heute morgen über den Frankfurter Flughafen außer Landes geflogen. Am Vormittag hatte bereits der Vater des Abgeschobenen die Leitung der Ausländerbehörde der Stadt zur Rede gestellt. Am Abend fand dann eine spontane Demonstration gegen die erfolgte Abschiebung statt.

Etwa 130 Menschen kamen kurz nach 18 Uhr am Gänseliesel zusammen. Ein kurzer improvisierter Redebeitrag machte noch einmal deutlich, dass die Empörung über die Abschiebung groß ist. Kurze Zeit später bildete sich ein Demonstrationszug, der zunächst die Fußgängerzone hinunterzog. Es wurden Ausdrucke der heute herausgegebenen Presseerklärung des AK Asyl an Passant_innen verteilt, um auf die Gründe für den Protest aufmerksam zu machen. Mit Parolen wie „Nazis morden, der Staat schiebt ab — das ist das gleiche Rassistenpack“ machten die Demonstrant_innen mehr als deutlich, was sie von der Asylpolitik, der Entscheidung der Ausländerbehörde und dem Beitrag von Polizei und Justiz halten.


Demonstration auf der Kreuzung vor dem Neuen Rathaus

Die Polizei war wohl zunächst gar nicht informiert, erst als der Demonstrationszug schon das nördliche Ende der Fußgängerzone erreicht hatte, war ein erster Streifenwagen in Entfernung zu sehen. Auch, als die Demonstration – mittlerweile um einige dutzend Menschen angewachsen – dann durch Seitenstraßen und wiederum die Fußgängerzone bis auf die Kreuzung vor dem Neuen Rathaus zog, war von Polizei keine Spur. Nachdem etwa fünf Minuten kurz Stillstand auf der Kreuzung herrschte, tauchten zwei Streifenwagen auf und es ging zurück auf den Platz vor dem alten Rathaus, wo sich die Demonstration dann gut eine Stunde nach Beginn auflöste.

Die Ereignisse am Vormittag indes müssen weit aufwühlender gewesen sein, wie der AK Asyl berichtet. So habe der Vater des abgeschobenen Jetmir K. Verantwortliche in der Ausländerbehörde zur Rede gestellt. Der Arbeitskreis weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass hier die Mitarbeiter_innen der Behörde die Abschiebungen und das entstehende Leid direkt mit zu verantworten haben: Ihnen stehe ein Ermessensspielraum und Auslegungsfreiheit bei den Entscheidungen zu. Die Grüne Jugend Göttingen weist in einer Presseerklärung ebenfalls auf die Verantwortung für „die Zerstörung einer menschlichen Existenz“ hin und fordert eine umgehende Rückholung des Abgeschobenen.

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5 Kommentare auf "Spontandemo durch die Innenstadt"

  1. Frechdax sagt:

    Erstaunlich wie Tolerant die Polizei einen Eingriff in den Straßenverkehr billigt. Ich hätte mich geägert wenn ich einen Termin gehabt hätte und nicht wüsste dass es in 5 Minuten weitergeht. Hier sollte man überlegen, ob man selbst entscheiden darf, die Freiheit der anderen die Straße regulär zu benutzen. Klar sind Demos als Ausdruck politischer Meinungen wichtig, aber wenn jede Farbe im politischen Spektrum einfach irgendwelche Hauptstraßen zu macht, dann müssen wir bald alle Fahrrad fahren 😀

  2. Harvey sagt:

    Naja, hätte eine Einzelperson das gemacht, wäre das was anderes. In dieser Form ist das aber eine grundrechtlich geschützte Versammlung, die darf sowas erstmal grundsätzlich, egal wie viele sich darüber ärgern. Aber es werden ja auch für Karnevals- und Schützenfestumzüge Straßen gesperrt – die können sich nicht unbedingt auf dieses Grundrecht berufen. Da muss der Individualverkehr im groben und ganzen mit rechnen.

    Ehrlich gesagt glaube ich aber, dass weniger Toleranz, sondern eher Feierabend und Urlaubszeit die Polizei zur Zurückhaltung gezwungen hat. Am Marktplatz, als die Demo wieder zurück am Gänseliesel war, hat ein Kellner einem irritierten Gast das kurz erklärt: Nein, das sei nicht normal, dass so wenig Polizei da wäre. Die sei zwar eigentlich auch nicht nötig, aber seit etlichen Jahren stelle die Polizei immer schon vorher ein paar Mannschaftswagen hin und sei dann mit mindestens so vielen Beamt_innen vor Ort, wie Demoteilnehmer_innen erwartet werden. Also selbst das eher bürgerliche Spektrum hält dieses Machtspiel auch bloß für ein skurriles unnötiges Ritual der Polizei.

  3. Frechdax sagt:

    Ich weiß nicht, ob die Spontandemo angemeldet war oder nicht. Denke aber das eine Abwägung der Rechte der einzelnen immer eine schwierige Sache ist. Und sollte die Demo nicht angemeldet gewesen sein, so haben die einzelnen selbst entschieden, dass ihre Meinung es Wert ist den Verkehr und die Freiheit der anderen einzuschränken. Die Aussage “Da muss der Individualverkehr im groben und ganzen mit rechnen“ spiegelt schon eine gewisses Selbstverständnis wieder. Und auch impliziert es einen Egoismus für die eigene Meinung

  4. Harvey sagt:

    Na klar spiegelt mein Kommentar mein Selbstverständnis wieder. Und ja, ich habe ganz egoistisch eine eigene Meinung. Das allein hätte jetzt keine neue Antwort erfordert, aber mir ist eine ganz andere Sache wichtig: Demos genießen den grundrechtlichen Schutz der Versammlungsfreiheit selbstverständlich auch dann, wenn sie nicht angemeldet sind.

    Irgendwie scheint das so eine neue fixe Idee zu sein, dass Demonstrationen im Prinzip nur erlaubt sein sollen, wenn sie keine anderen Menschen stören. Dabei ist das doch gerade das Recht, andere Menschen zu (ver-)stören und sie politisch zu konfrontieren. Die bürgerliche Mitte dagegen scheint sich neuerdings ein Recht herbeizufantasieren, dass ihr niemand in der Sonne steht, jammert über den „Zwang“ zur political correctness und merkt nicht, dass sie dabei einen Schattenkampf mit den Resten (oder optimistischer: zarten Trieben?) der eigenen Moral ausficht. Demokratie, oder 5 Minuten früher im Supermarkt?

  5. Bolschewik sagt:

    Ich finde es genau so wie Harvey und möchte es deswegen betonen: Demonstrationen und politische Manifestationen (der fortschrittlichen und demokratischen Kräfte) sollen weiterhin geschützt werden und nicht in irgendwelchen Form eingeschränkt werden und sei es, weil man zu Supermarkt oder zur Arbeit gehen will. In ähnlicher Richtung wird versucht das „Streikrecht“ zu umgehen oder abzuschaffen. Es sind stets Angriffe auf unsere demokratische Rechte und sie werden vom bürgerlichen Medien und Staat getrieben. In diesem Sinne sollte eigentlich das Versammlungsgesetz und Koalitions- und Streikrecht (inklusive Generalstreik!) verteidigt und ausgebaut werden. Auf der anderen Seite müssen wir, demokratische und fortschrittliche Kräfte, Aufklärungsformen gegenüber normale Bürger finden, sodass sie nicht gegen uns gebracht werden können.

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