Das neue niedersächsische Versammlungsgesetz
Mehr Hürden, weniger Freiheit
von monsteradmin am 14. Februar 2011 veröffentlicht in Hintergrund, Soziale Bewegungen, TitelstorySeit dem 1. Februar bestimmt in Niedersachsen ein neues Versammlungsgesetz, an welche Regeln sich Demonstrierende zu halten haben. Das neue Gesetz bringt einige Regelungen mit sich, die den Demo-Alltag auf Göttingens Straßen beeinflussen werden. Der Rechtsanwalt und Experte für Versammlungsrecht Johannes Hentschel erklärt für MoG, was sich geändert hat. Sein Fazit: mehr bürokratische Hürden, weniger Freiheitsrechte.
Am 1. Februar 2011 ist das Niedersächsische Versammlungsgesetz (NVersG) in Kraft getreten. Es löst für das Land Niedersachsen das Bundesversammlungsgesetz vollständig ab. Im Vorfeld der Verabschiedung des neuen Landesgesetzes kursierten mehrere Gesetzentwürfe, die sich stark voneinander unterschieden. Das hat zu Verwirrung geführt, welche Regelungen tatsächlich in Kraft getreten sind. Höchste Zeit also, sich mit der neuen Rechtslage vertraut zu machen. Von der Landesregierung vorgegebene Ziele waren die Vereinfachung und Entbürokratisierung des Versammlungsrechts. Auf diese Weise sollte auch die Anzahl der einschlägigen Gerichtsverfahren reduziert werden. Heraus gekommen ist ein Gesetz, das auf Abschreckung ausgerichtet ist, mehr bürokratische Hürden aufbaut und Freiheitsrechte beschneidet. Dieser Artikel geht nicht auf alle Facetten der Neuregelung ein, sondern beschränkt sich auf die wichtigsten Punkte.
Das neue Niedersächsische Versammlungsgesetz bringt wesentliche Änderungen in den Bereichen Versammlungsanmeldung, Datenanfragen (Polizei und Verfassungsschutz), Auftreten auf Versammlungen (insbes. Bekleidung), Vermummung und Schutzausrüstung sowie Videoüberwachung.
Johannes Hentschel ist Rechtsanwalt in Göttingen und verteidigt die Versammlungsfreiheit seit Jahren vor Gerichten in Göttingen und anderswo
Zweistufiges Anmeldeverfahren
Veränderungen bringt das neue Versammlungsgesetz bereits bei der Anmeldung mit sich. Nach wie vor müssen Versammlungen nämlich im Vorfeld bei der Versammlungsbehörde (in Göttingen das Ordnungsamt der Stadt) angemeldet werden, solange es sich nicht um Spontanversammlungen handelt. Der Begriff „Anmeldung“ ist im neuen Gesetz durch den Begriff „Anzeige“ ersetzt worden. Weiterhin gilt, dass eine Versammlung keiner Genehmigung bedarf.
Unverändert müssen Spontanversammlungen nicht angezeigt werden. Sie brauchen auch keine(n) Veranstalter(in) oder Leiter(in). Angezeigt werden müssen Versammlungen unter freiem Himmel 48 Stunden vor ihrer öffentlichen Bekanntgabe. Neu ist, dass Samstage, Sonn- und Feiertage bei der Fristberechnung nicht mitzählen. Dies kann zu einer erheblichen Vorverlagerung der Anzeigepflicht führen. Versammlungen in geschlossenen Räumen müssen nach wie vor nicht angezeigt werden.
Das Anmeldeverfahren ist in zwei Stufen aufgeteilt, von denen nur die erste verpflichtend ist. Die zweite Stufe ist im Gesetz als Ausnahme angelegt. Ob das Verhältnis von Regel und Ausnahme sich umkehren wird, wird die Praxis zeigen.
Auf der ersten (zwingenden) Stufe ist der Veranstalter/die Veranstalterin verpflichtet, folgende Angaben bei der Versammlungsbehörde zu tätigen:
Name, Vorname, Geburtsname und Anschrift der Leiterin / des Leiters, telefonische oder sonstige Erreichbarkeit der Leiterin / des Leiters, Beginn, Ende, Ort und Route der Versammlung sowie die erwartete Teilnehmerzahl.
Die Versammlungsbehörde kann auf der zweiten Stufe „zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit“ von der Leiterin / dem Leiter folgende weiteren Angaben verlangen: Geplanter Ablauf, Voraussichtlich mitgeführte Hilfsmittel, insbesondere technische, Anzahl der Ordnerinnen und Ordner sowie deren persönliche Daten.
Für beide Stufen der Anmeldung gilt, dass die Leiterin / der Leiter spätere Änderungen der Versammlungsbehörde unverzüglich mitteilen muss.
Die gänzliche Weigerung, die Angaben zu machen, kann mit einem Bußgeld bis zu 3.000 € belegt werden. Bei unvollständigen oder falschen Angaben sind es nur bis zu 1.000 €.
Die bisherige Strafbarkeit des Veranstaltens einer nicht angemeldeten Versammlung ist entfallen: wer also als VeranstalterIn oder LeiterIn einer nicht angemeldeten Versammlung auftritt, macht sich nach dem neuen Gesetz nicht mehr strafbar, muss aber mit einem Bußgeldverfahren rechnen (s.o.). Hingegen ist die bloße Teilnahme an einer nicht angezeigten Versammlung wie schon nach dem Bundesgesetz weder eine Straftat, noch eine Ordnungswidrigkeit.
Datenerhebung durch Versammlungsbehörde
Anhand der von der Versammlungsbehörde im Rahmen der Anzeige erhobenen Daten darf die Versammlungsbehörde nach neuer Gesetzeslage eine Anfrage bei Polizei und Verfassungsschutz stellen. So soll geprüft werden, ob Leiter(in) oder Ordner(innen) die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährden. Ist dies in den Augen der Versammlungsbehörde der Fall, so kann sie Leiter(in) oder Ordner(innen) ablehnen. Insbesondere weil die Datenerhebung keiner Einschränkung unterliegt, handelt es sich hierbei um einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff. Denn der Verfassungsschutz ist beim Anmeldeverfahren „mit im Boot“.
„Auftrittsvorschriften“
Das niedersächsische Versammlungsgesetz verbietet nicht nur das Tragen von Uniformen und Uniformteilen auf Versammlungen. Verboten ist jetzt auch, „in einer Art und Weise aufzutreten, die dazu geeignet und bestimmt ist, im Zusammenhang mit anderen teilnehmenden Personen den Eindruck von Gewaltbereitschaft zu vermitteln“. Unklar bleibt, was mit diesem Verbot konkret gemeint ist, insbesondere auf wessen „Eindruck“ es dabei ankommt. Abzielen dürfte die Regelung unter anderem auf „schwarze Blöcke“ in Versammlungen, die den Sicherheitsbehörden seit jeher ein Dorn im Auge sind. Da ein generelles Verbot „schwarzer Blöcke“ verfassungsrechtlich nicht haltbar ist, versucht der Gesetzgeber offenbar, einen Hebel über den „Eindruck von Gewaltbereitschaft“ anzusetzen. Die notwendige Klarheit und Bestimmtheit der Regelung bleibt dabei auf der Strecke.
Vermummung und Schutzausrüstung
Es bleibt wie bisher beim Vermummungsverbot sowie beim Verbot der „Passivbewaffnung“ (die jetzt Schutzausrüstung heißt). Allerdings tritt eine Strafbarkeit nur dann ein, wenn die Polizei zusätzlich eine „vollziehbare Maßnahme“ getroffen hat. Das bedeutet, sie muss erst konkret zum Ablegen der Vermummung auffordern, ansonsten machen sich vermummte Personen nicht strafbar.
Videoüberwachung
Wie zu erwarten, hat auch die Videoüberwachung Eingang in das Niedersächsische Versammlungsgesetz gefunden. Nach dem Bundesgesetz durfte die Polizei nur filmen, wenn konkrete Anhaltspunkte für eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit durch die Demonstration ausgingen. Neu ist die explizite Unterscheidung zwischen Aufzeichnungen und bloßen Übertragungen. Die Videoaufzeichnung einzelner Personen sowie die Auswertung von Übersichtsaufnahmen ist nach wie vor nur zulässig, um eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit abzuwehren. Dagegen reicht für die bloße Videoübertragung jede Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Trotz dieser juristisch relevanten Abstufung des Gefahrengrades wird es in der Praxis schwer zu erkennen sein, wann eine Kamera nur überträgt und wann sie aufzeichnet.
Hintergrund
Föderalismusreform 2006
Das niedersächsische Versammlungsgesetz hat seinen Ursprung in der Föderalismusreform 2006, in der die Gesetzgebungszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern neu geregelt wurden. Eines der Ergebnisse war die Übertragung der Gesetzgebungszuständigkeit für die Versammlungsgesetze vom Bund auf die Länder. Diese sind nun befugt, Landesversammlungsgesetze zu erlassen. Machen sie davon nicht Gebrauch, gilt das Bundesversammlungsgesetz wie bisher weiter. Ansonsten wird es vollständig durch das Landesgesetz abgelöst. Bisher haben Bayern, Baden-Württemberg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen eigene Gesetze erlassen.
Bayerisches Gesetz gekippt
Den Reigen neuer Landesversammlungsgesetze eröffnet hatte Bayern. Am 1.10.2008 war dort ein Versammlungsgesetz in Kraft getreten, das getrost als „Versammlungsverhinderungsgesetz“ bezeichnet werden konnte. In einer Eilentscheidung vom 17.02.2009 hob das Bundesverfassungsgericht das Gesetz in wesentlichen Teilen auf. Als Reaktion auf diese Gerichtsentscheidung verabschiedete der bayerische Gesetzgeber im April 2010 eine deutlich entschärfte Neufassung.
Auswirkungen auf Niedersachsen
Von Beginn an hatte sich die niedersächsische Landesregierung bezüglich eines eigenen Versammlungsgesetzes an Bayern orientiert. Nach der bayerischen Neufassung verschwand ein demonstrationsfeindlicher niedersächsischer Gesetzesentwurf, der kurz vor dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts ergangen war, sang- und klanglos. Das zum Februar in Kraft getretene Gesetz orientiert sich an der entschärften bayerischen Version. Von einem freiheitlichen Versammlungsgesetz ist es noch immer weit entfernt. Ob es in Teilen sogar verfassungswidrig ist, wird derzeit von ExpertInnen diskutiert.
Auswirkungen für Göttingen
Die konkreten Auswirkungen des neuen Versammlungsrechts für Göttingen lassen sich derzeit nur vermuten. Erfahrungen aus Bayern zeigen, dass Versammlungsbehörden und Polizei einige Zeit benötigen, sich auf die neue Rechtslage einzustellen. In der Anfangszeit ist daher zu befürchten, dass „die eine Hand nicht weiß, was die andere tut“. Besonders problematisch wird dies bei der Hinzuziehung von Polizeikräften aus anderen Bundesländern sein, denen die niedersächsischen Regelungen kaum bekannt sein dürften.
Die deutliche Ausweitung des Anmeldeverfahrens wirkt mit Sicherheit abschreckend. Umso mehr gilt dies aufgrund der Möglichkeit der Datenanfragen bei Polizei und Verfassungsschutz.
Das bisher übliche und oft rechtswidrige flächendeckende Abfilmen von Versammlungen wird sich wohl fortsetzen. Wegen der Ausweitung der Befugnisse im neuen Versammlungsgesetz wird es schwieriger werden, juristisch dagegen vorzugehen.
Was von der Landesregierung als modernes, entbürokratisiertes Versammlungsgesetz angekündigt war, entpuppt sich als sperriges Gesetz zur weiteren Einschränkung der Versammlungsfreiheit. Es vermag nur wenig zu trösten, dass die ursprünglich von der Regierung vorgelegten katastrophalen Gesetzesentwürfe verhindert werden konnten.
Rechtsanwalt Johannes Hentschel, Göttingen
Das führt doch einfach nur zu mehr „out of control“ Geschichten
Mh. Neulich klang das von einem Juristen eher nach „Es bleibt so wies is, aber es gibt jetzt mehr Rechtssicherheit.“ Schade…
Was is denn eigentlich mit dem Passus, der Nazi-Demos einschränken kann? Den fänd ich noch wichtig zu erwähnen
danke für den schönen artikel!
Hier mal der Link zum Gesetzestext selbst: . (Dort dann unter § 8 Abs. 4 der Passus bzgl. Nazi-Demos.)
Ich denke auch, dass gerade durch die Veränderungen bezüglich der Anmeldungen von Demonstrationen weitestgehend auf Anmeldungen verzichtet werden sollte und das Ganze dann eher spontan ablaufen sollte. Fragt sich dann allerdings, inwiefern eine (langfristige) Mobilisierung für einen Termin, der nicht angemeldet wird, aussehen soll, da klare Aufrufe durch eine Gruppe, so wie ich das hier „“ verstehe, durchaus rechtlich Probleme bekommen könnten.