Protest gegen Abschiebungen

Parteibüros besetzt
von am 1. März 2010 veröffentlicht in Politik, Soziale Bewegungen

Jeweils etwa 15 Abschiebungsgegner*innen haben heute Mittag die Göttinger Parteibüros von SPD und Grünen besetzt. Mit der Aktion wollten die Besetzer „auf die menschenverachtende Abschiebepolitik der Bundesrepublik Deutschland“ und die Verhältnisse in Göttingen aufmerksam machen, heißt es in einem Fax, dass aus den Parteizentralen versendet wurde. Nach einer guten Stunde verließen die Aktivist*innen die Parteibüros freiwillig. Die erhoffte Medienresonanz blieb aus, zu unspektakulär war das Geschehene.

Aus dem Fenster des SPD-Parteibüros in der Bürgerstraße hing ein Transparent. „Besetzt wegen der Abschiebepolitik“ stand darauf. Im Flur vor dem Büro des Bundestagsabgeordneten Thomas Oppermann hatten sich 15 Aktivist*innen versammelt und erklärt, das Büro zu besetzen. Auf wenig Gegenliebe stieß das bei der SPD: „Wir halten die Besetzung von Büros nicht für ein Mittel, um politischen Willen durchzusetzen“, sagte Oppermanns Büroleiter Sören Steinberg. Er hatte den Besetzer*innen ein Gespräch mit den Bundes- und Landtagsabgeordneten angeboten. Die Konfrontation mit den Protestierenden war ihm zunächst merklich unangenehm. Bei früheren Besetzungen seien Büromitarbeiter an ihre Stühle gefesselt worden, erinnerte er sich.


Innenansichten einer Besetzung

Fünf Minuten wollte Steinberg den Menschen in seinem Flur geben, dann, so drohte er, werde er die Polizei rufen. Aus fünf Minuten wurde eine gute Stunde, in der die Stimmung sich deutlich auflockerte. Die Polizei rief eine gute halbe Stunde, nachdem eine entsprechende Meldung über einschlägige E-Maillisten gegangen war, kurz an und erkundigte sich nach der Situation. „Alle schon wieder weg“ sagte Steinberg, die Besetzer*innen im Rücken. Am Ende gingen sie freiwillig.

Auch bei den Grünen in der Langen Geismar Straße verließen die Besetzer*innen das Gebäude nach einer guten Stunde freiwillig. Vorher hatte man in der Teeküche den angebotenen Kaffee verköstigt. Nachdem die Abschiebungsgegner*innen verschwunden waren, tauchte die Polizei auf und nahm die Personalien der anwesenden Mitarbeiter auf. Aber auch hier: keine Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs.

Einigkeit herrschte bei Grünen und Sozialdemokraten darüber, dass die Protestierenden sich die falschen Parteibüros ausgesucht hätten. „Das finden wir schon etwas irritierend“, sagte Grünen-Kreistagsfraktionsmitglied Sascha Völkening. Abschiebepolitik werde auf Bundes- und Landesebene gemacht. „Die Einflussmöglichkeiten auf Kreis- und Stadtebene wo die Grünen was zu sagen haben, sind sehr beschränkt“, so Völkening. Ähnlich äußerte sich auch Sozialdemokrat Steinberg.


Das Transparent am Parteibüro der Grünen

So einfach wollten die Besetzer*innen es den Lokalpolitikern nicht machen. Sven Baier, Sprecher der Aktivist*innen, attestierte ihnen eine „Zweizüngigkeit“: zwar spräche man sich häufig gegen die Abschiebepolitik aus, in Göttingen in Form einer Ratsresolution. „Aber häufig sind Politiker und Politikerinnen aktiv in Form von Funktionen innerhalb der Stadt an den Abschiebungen beteiligt“, so Baier.

Zur medialen Darstellung von Prostest und Gewalt empfiehlt die Redaktion den Telepolis-Artikel Bündnis der Medien mit der Gewalt.

Die erhoffte Medienaufmerksamkeit blieb größten Teils aus. Von den etablierten Medien fand sich nur das StadtRadio ein, um über die Besetzungen zu berichten. Und bis zum Ende der Besetzung hatte auch keine Redaktion in den Parteibüros angerufen und sich nach den Geschehnissen erkundigt. „Enttäuschend, aber nicht unerwartet“, fand das Sven Baier. Ganz bewusst hätten sich die Besetzer*innen auf eine friedliche Vorgehensweise geeinigt. „Anscheinend muss es immer clashen, aber das wollten wir nicht“, so Baier. Die Medien sollten sich einmal fragen, wieso sie nur auf Krawall aus seien, so der Aktivist. „Aber das müssen wir ja auch nicht zwangsläufig bedienen“.

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4 Kommentare auf "Parteibüros besetzt"

  1. Rakete sagt:

    Weil ichs grad lese und es so schön passt:

    „Die erste Hürde, um über Öffentlichkeit auf politische Entscheidungsträger einzuwirken, ist die Erlangung von Aufmerksamkeit. Hierbei stehen Protestbewegungen vor dem Dilemma, daß nachrichtenwertträchtige Aktionen und insbesondere spektakuläre Regelverletzungen zwar starke Beachtung sichern, aber zugleich auch scharfe Ablehnung wahrscheinlich machen. Unter diesen Bedingungen besteht ein hohes Risiko, daß nicht Motive und Gründe des Protests, sondern die Verwerflichkeit der Protestformen zum Gegenstand öffentlicher Aufmerksamkeit werden. Deshalb müssen Protestbewegungen darauf bedacht sein, ihre Aktionsformen und ihr Framing so abzustimmen, daß die Balance zwischen ‚appeal and threat‘ gewahrt wird. Allzu harmlose Proteste drohen im vielstimmigen und mit mächtigen Konkurrenten besetzten Feld politischer Interessenverfolgung unterzugehen; allzu aggressive Proteste drohen die Mehrheit des Publikums zu verschrecken und die Protestierenden anstelle ihrer Gegner auf die Anklagebank zu bringen.“

    Dieter Rucht: Öffentlichkeit als Mobilisierungsfaktor für soziale Bewegungen

  2. Kokain sagt:

    Bezüglich Medienresonanz die HNA hatte noch eine kleine Meldung, wenn auch mit dem obligatorischen Verweis auf den vermeintlichen Brandanschlag…
    http://www.hna.de/nachrichten/landkreis-goettingen/goettingen/protest-gegen-abschiedepraxis-linke-aktivisten-besetzten-parteibueros-bn-652178.html

  3. Rakete sagt:

    Die HNA berichtet kurz und kriegt es hin, den bei dem Feuer im Kreishaus verletzten Mitarbeiter in Beziehung mit den Besetzungen vom heutigen Tage zu bringen: http://www.hna.de/nachrichten/landkreis-goettingen/goettingen/protest-gegen-abschiedepraxis-linke-aktivisten-besetzten-parteibueros-bn-652178.html

  4. Rakete sagt:

    Pressemitteilung der Grünen:

    GRÜNE solidarisieren sich mit Abschiebungsgegner_innen

    zur Besetzung des Grünen Zentrums durch eine Gruppe von Abschiebungsgegner_innen am Vormittag des 01. März erklärt der Kreisvorstand von Bündnis 90 / Die Grünen Göttingen:

    Mit ihrem politischen Anliegen laufen die Kritiker_innen einer inhumanen Abschiebungspolitik bei uns offene Türen ein. Bündnis 90 / Die Grünen treten an der Seite der Migrationsverbände und freien politischen Initiativen für das Menschenrecht auf politisches Asyl und für ein Bleiberecht in Deutschland unabhängig von der Herkunft ein. Damit teilen wir als Grüne klar die Anliegen der „Besetzer_innen“.

    Moritz Keppler vom Kreisvorstand dazu: „Wir freuen uns immer über Besuch von politisch Gleichgesinnten. Mit einer Besetzung als politischem Signal haben die Besetzer_innen aber leider das falsche Büro erwischt. Die Grünen schieben nicht ab! Auch die Kritik an der Göttinger Ausländerbehörde trifft die falschen, da in der Ausländerbehörde Göttingen weisungsgebundene Akteure arbeiten.
    Wir bedauern zutiefst, dass die Besetzer_innen augenscheinlich nur die Büros der Grünen und der SPD besetzt haben. Das ist ein falsches Signal. Die Geschäftsstellen für CDU und FDP als Landesregierungsparteien und Bundesregierungsparteien wären für ihre inhumanen Richtlinien und Weisungen an die kommunalen Behörden der richtige Anlaufpunkt gewesen. Dennoch sind uns die Besetzer_innen jederzeit gerne wieder auf einen Tee und ein Gespräch über gemeinsame Ziele herzlich willkommen.“

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