Hausdurchsuchungs-Prozeß: Die Chemikalien der anderen
von Rakete am 25. August 2009 veröffentlicht in PolitikAm Mittwoch, den 26. August beginnt im Göttinger Verwaltungsgericht um 12.30 Uhr ein Prozeß gegen die Göttinger Polizei. Vor einem Jahr diente dieser ein Chemikalienfund als Begründung für eine Hausdurchsuchung. Die BewohnerInnen vermuten, die Polizei habe vor allem linke Strukturen ausforschen wollen. Einer hat gegen die Razzia Klage eingereicht – das juristische Nachspiel beginnt.
Es ging um Leben und Tod, als am 7. September die Bewohner eines Göttinger Hauses auf Weisung der Polizei ihre Wohnungen verließen. Die Chemikalien, die im Keller des Hauses gefunden wurden, seien geeignet, ihr Haus in die Luft zu sprengen, sagten die Beamten. Daraufhin räumten sie die Wohnungen freiwillig.
Später konnten sie jedoch von der Straße aus beobachten, wie Polizeibeamte ihre Wohnungen durchsuchten und dort unter anderem Wände und Schreibtische abfotografierten. Die BewohnerInnen durften die Durchsuchung nicht begleiten – wegen der vermeintlichen Gefahrenlage. Die hinzugezogene Vermieterin durfte ihr Haus hingegen betreten.
„Wir glauben, dass sie die Wohnungen durchsucht haben, weil sie Einblick in linke Strukturen haben wollten“ sagt der Hausbewohner Markus N. Während der Durchsuchung seien Türen aufgebrochen und Schreibtische durchsucht, Schubladen und Schränke geöffnet, Gegenstände umgeworfen sowie Unterlagen durchwühlt worden.
Der Einsatzleiter hatte die Durchsuchung ohne richterlichen Durchsuchungsbefehl wegen „Gefahr im Verzug“ angeordnet, wie ein Polizeisprecher bestätigte. Angeblich sollte die Durchsuchung dazu dienen, noch im Haus befindliche Personen oder weitere Gefahrenquellen zu finden. Der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam wies diese Begründung zurück und bezeichnete die Razzia als unverhältnismäßig: Der Kellerraum, in dem die Chemikalien gefunden wurden, sei eindeutig einer Mietpartei zuzuordnen gewesen, eine Durchsuchung des gesamten Hauses somit nicht notwendig.
Der Polizeisprecher bestätigte auf Anfrage auch, dass Staatsschutz-Leute vor Ort waren. Diese seien jedoch nicht an der Durchsuchung beteiligt gewesen, anders als die BewohnerInnen vermuten. Vielmehr seien sie routinemäßig hinzugezogen worden, jedoch ohne aktiv zu werden. Im Haus sieht man das anders. „Der Staatsschutz versucht, in die Wohnungen einzudringen um Informationen zu sammeln und guckt erst im Nachhinein, ob es eine rechtliche Grundlage dafür gibt“, behauptet Markus N.
Ein Hausbewohner hat vor dem Verwaltungsgericht Klage gegen das polizeiliche Vorgehen erhoben. „Die vierstündige Durchsuchung ist völlig unverständlich und damit ein rechtswidriger Eingriff in den Kernbereich der Privatsphäre der Bewohner“, sagte sein Anwalt Adam. Er sieht sehr gute Chancen, das Verfahren zu gewinnen. Mit einem Urteilsspruch rechnet er jedoch frühestens im nächsten Jahr.
Der Ursprung der gefundenen Chemikalien ist inzwischen geklärt: Ein ehemaliger Mieter hatte sie bei seinem Auszug im Keller vergessen. Zuvor hatte er sie auf dem Sperrmüll gefunden und aus Neugier mit nach Hause genommen, wie die Polizei berichtete. Gegen ihn wird nun wegen Verdacht auf Verstoß gegen das Sprengstoffgesetz ermittelt. Ob das vermutete Gefahrenpotenzial tatsächlich bestand, ist unklar. Aufgrund der Beschriftung der Chemikalien war die Polizei davon ausgegangen, dass es sich um explosive Substanzen handeln könnte.
Im Original erschienen am 9.10.2008 in der taz.
Dazu eine aktuelle Pressemitteilung der Anwaltskanzlei Sven Adam:
Am morgigen Mittwoch, den 26.08. d.J., findet um 12.15 Uhr in Sitzungssaal I des Verwaltungsgerichts Göttingen der erste Verhandlungstag in dem Klageverfahren über die Rechtmäßigkeit der Durchsuchung eines weitgehend von Linken bewohnten Hauses in der Geismar Landstraße durch Beamte der Polizei Göttingen statt. Gegenstand der Beweisaufnahme des Gerichts sind hierbei die näheren Umstände der Durchsuchung. Hierzu werden in dem ersten Termin zunächst die klägerseitig benannten Zeuginnen und Zeugen gehört werden, sowie evtl. ein am Einsatz beteiligter Spezialist der Polizei.
Die Polizei durchsuchte am 07.09.2008 mit einem Großaufgebot und Unterstützung der Feuerwehr sowie einem Kampfmittelbeseitigungsteam aus Hannover die Wohnungen des gesamten 4-stöckigen Hauses. Grund hierfür war der Fund von Chemikalien, in einem abgetrennten Kellerraum, zugehörig zur Wohnung des 1. Stockwerks, die von Feuerwehr und Polizei als vermeintlich explosiv eingestuft wurden. Eine Bewohnerin hatte diese Chemikalien zuvor beim Keller aufräumen gefunden und die Feuerwehr zwecks Entsorgung verständigt. Im Zusammenhang mit dem Einsatz wurde die Geismar Landstraße zwischenzeitlich für den Fahrzeugverkehr gesperrt.
Die Bewohnerinnen und Bewohner des Hauses mussten das Gebäude während des 4-stündigen Einsatzes verlassen. Über die Durchsuchung ihrer Wohnungen wurden sie nicht informiert und erfuhren dies nur durch Zufall. Sie durften im Gegensatz zu der Hauseigentümerin den Durchsuchungen nicht beiwohnen und wurden von der Polizei aktiv am Zutritt gehindert.
Die Durchsuchungsmaßnahmen umfassten hierbei u.a. das gewaltsame Aufbrechen von Türen und das Eindringen durch Fenster. Außerdem die Durchsuchung von Schubladen, Schränken und Schreibtischen sowie das Durchwühlen von privaten Unterlagen. Während der Durchsuchung wurden die Maßnahmen per Fotographie und Videographie dokumentiert. Hierbei wurden auch die Wände der Zimmer, an denen Plakate hingen, abfotografiert. Ob Gegenstände im Zuge der Durchsuchung beschlagnahmt oder sichergestellt wurden, ist den Bewohnerinnen und Bewohnern des Hauses bis heute nicht bekannt. Ein Durchsuchungs- und Beschlagnahmeprotokoll wurde nie ausgehändigt.
Ein Einsatzbericht des Einsatzleiters konnte erst mit Drohung der Klageerhebung erwirkt werden. „Dieser Einsatzbericht wirkt an entscheidenden Stellen konstruiert und entspricht nicht den Ereignissen.“ kommentierte der Kläger.
Eine Ausreichende Begründung der Durchsuchung geht aus diesem Bericht nicht hervor.
Am 25.09.2008 erhob Rechtsanwalt Sven Adam für den Hauptmieter der Wohnung im Erdgeschoss des Hauses Klage vor dem Verwaltungsgericht Göttingen mit dem Ziel, die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung feststellen zu lassen.
Im Laufe des Verfahrens wurden die Video- und Fotodokumentationen von der Polizei vernichtet, die als wichtiges Beweismittel von Klägerseite angeführt waren. Auch das weitere Vorbringen der Polizei ist von Widersprüchlichkeiten geprägt.
Dementsprechend erhoffen sich der Kläger und die anderen Bewohnerinnen und Bewohnern des gesamten Hauses Klärung des Sachverhalts durch die Beweisaufnahme im verwaltungsgerichtlichen Verfahren.
der prozess wurde heute ergebnislos vertagt, beim nächsten mal sollen diverse zeug_innen vernommen werden. termn steht noch nicht fest.