Rat für Migration kritisiert Asylpolitik
Scheitern mit Ansage
von schnurr am 6. Oktober 2015 veröffentlicht in Politik, TitelstoryAuch Göttinger MigrationsforscherInnen kritisieren die Asylpolitik der Bundesregierung. ( Stefan Flöper, cc-by-sa-3.0, Wikimedia Commons)
Der Rat für Migration hat bei der Bundespressekonferenz am letzten Dienstag die geplante Asylrechtsreform heftig kritisiert. Die WissenschaftlerInnen konstatierten dabei ein grundsätzliches Scheitern des Migrationssystems. Statt einer restriktiven Asylpolitik fordert der Rat unter Anderem eine funktionierende „Willkommensstruktur“.
Der „Rat für Migration“ (RfM) ist ein bundesweiter Zusammenschluss von über 100 MigrationsforscherInnen, darunter die Göttinger Migrationsforscherin Sabine Hess. Seine zentrale Aufgabe sieht der RfM unter anderem darin, politische Entscheidungen und öffentliche Debatten über Migration, Integration und Asyl kritisch zu begleiten. Die geplanten Reformen bewertet der Rat für Migration als höchst problematisch:
„Mit ihrem aktuellen Plan setzt die Bundesregierung eine Politik fort, die in erster Linie auf Abschreckung und Abschottung basiert. Damit verschlechtert sie nicht nur die Situation der Flüchtlinge, sondern erstickt auch die Bereitschaft vieler Bürgerinnen und Bürger, sich aktiv für Schutzsuchende einzusetzen“
Prof. Dr. Werner Schiffauer, Kultur- und Sozialanthropologe an der Europa-Universität Viadrina Frankfurt (Oder)
An den aktuellen Asylgesetzen Deutschlands und der EU kritisiert der RfM vor allem drei Punkte: das Dublin-System sei nicht haltbar und nachhaltig. Es diene vor allem dem Schutz von Binnenländern des Schengen-Abkommens, nicht zuletzt Deutschlands. Ausserdem habe es zur prekärsten Art von Weiterwanderung geführt und sei ein „bürokratischer Koloss“.
In dieser Hinsicht ist der RfM von den nun geplanten Maßnahmen der Bundesregierung enttäuscht. Diese würden nicht den gewünschten (Abschreckungs-)Effekt erreichen, sondern seien eher ein Fortführen der jahrzehntelangen, restriktiven Politik. Die momentante Asylpolitik führe außerdem zu Diskriminierung, Armutsrisiko und beschränkten Zukunftserwartungen.
Zuckerbrot und Peitsche
Eine Steigerung der Effizienz der Asylverfahren würde durch den neuen Gesetzesentwurf verfehlt. Eher werde es zu erhöhten Belastungen von Kommunen, Behörden und Asylsuchenden kommen, z.B. durch die Wiedereinführung von Sachleistungen. Auch die Deklarierung von Albanien, Kosovo und Montenegro als sichere Herkunftsländer werden dem RfM zufolge Asylverfahren nicht verkürzen, da es bei einem Antrag immer eine individuelle Prüfung gäbe. Somit sei die Asyrechtsreform eher eine symbolische Maßnahme als Reaktion auf asylpolitische Entwicklungen. Und dass, obwohl die europäische Kommision und einzelne europäische Grenzstaaten, wie z.B. Italien, seit 2013 auf die kommende und jetzt eingetretene humanitäre Katastrophe hingewiesen hätten.
Trotzdem sieht der Rat für Migration auch postivie Aspekte bei der neuen Asylgesetzgebung. Es sei ein Fortschritt in den Leistungen des Bundes an die Länder und Kommunen zur Stärkung der Handlungsmacht zu verzeichnen. Darin sieht der Rat aber auch ein spezifisches Muster der Erleichterungen in einem bestimmten Bereich, die immer mit restriktiven Maßnahmen in einem anderen Bereich verbunden sind.
Zukunftsfähige Flüchtlingspolitik
Zum jetzigen Zeitpunkt wäre dem RfM zufolge ein sinnvolle Entwicklung möglich – „in einer proaktiven Auseinandersetzung, mit der Zivilgesellschaft zusammen“. Wider den bisherigen restriktiven Reformvorschlägen stellt der RfM zehn Forderungen, die auf eine zukunftsfähige Flüchtlingspolitik hinweisen sollen. Der Rat für Migration plädiert für eine Willkomensstruktur statt der gerade gefeierten Willkommenskultur. Es gelte, die Asylverfahren sowie Hilfsangebote der Zivilgesellschaft zu entbürokratisieren, best pratice-Modele zu erstellen, sowie Mitsprache und Vernetzung voranzutreiben.
Hier gibt es ein Video zur Bundespressekonferenz in voller Länge.