Übergabe eines offenen Briefs

Wohnrauminitiative sieht Repressionen durch das Studentenwerk
von am 13. Mai 2014 veröffentlicht in Politik, Titelstory

Transparente in der Theodor-Heuss-Straße 13

Die Wohnrauminitiative Göttingen übergab in den Morgenstunden einen von 37 Gruppen unterzeichneten, offenen Brief an Studentenwerksgeschäftsführer Jörg Magull und Jens Vinnen, den Leiter der Wohnheimsverwaltung. Die persönliche Übergabe erfolgte an den jeweiligen Privathäusern, um gegen repressive Maßnahmen seitens des Studentenwerks zu protestieren. Jörg Magull weist die Vorwürfe zurück.

Die Wohnrauminitiative, eine „Organisierung der Wohnheime des Studentenwerks“ kritisiert in dem offenen Brief das Verhalten des Studentenwerks gegenüber den Bewohner_innen verschiedener werkseigener Häuser, das sie als „Schikanen und […] Kontrollzwang seitens des Studentenwerkes“ bezeichnet. Hauptstreitpunkt ist dabei das Heraushängen von Transparenten. Zu verschiedenen Anlässen hatten Bewohner_innen diese herausgehängt, um gegen beabsichtigte bauliche Maßnahmen des Studentenwerks zu protestieren oder zu allgemeinpolitischen Anlässen wie dem Frauenkampftag am 8.März und dem Tag der Arbeit am 1.Mai. Die Reaktionen waren laut Wohnrauminitiative meist persönlich überbrachte mietrechtliche Drohungen wie Abmahnungen.

Die Aktion bezieht sich dementsprechend auf die Vorgehensweise: Es ginge um die „immer wiederkehrende Praxis des Studentenwerks“, sich persönlich an der Haustür zu melden, heißt es in einer Pressemitteilung der Initiative. Es solle gezeigt werden, wie sich dieser Umgang anfühle. Neulich habe Jens Vinnen 30 Minuten vor einer Haustür gewartet um „mietrechtliche Drohungen auszusprechen“. Es sei wie ein „Belagerungszustand“ gewesen, so die Pressemitteilung. Die Übergaben der offenen Briefe verliefen ohne Zwischenfälle, nur Jens Vinnen konnte persönlich angetroffen werden. Dieser ist besonders Ziel der Kritik. Ihm wird im offenen Brief schikanierendes Verhalten, dem er sogar in seiner Freizeit nachgehe, vorgeworfen. Er sei ein „harter Hund“ und „Hardliner einer selbstgewählten ‚Ordnung’“.

Jörg Magull wehrte sich gegen die Vorwürfe und das Vorgehen. Die Übergabe sei „hochgradig befremdlich“ und gegen die Veröffentlichung der Fotos seines Hauses und seiner Frau werde er „mit allen Mittel vorgehen“. Das Verbot von Meinungsäußerung in Form von Plakaten und Transparenten sei wichtig, um Konflikte zwischen dem weiten Spektrum von Menschen in den Wohnheimen zu vermeiden und habe nichts mit der inhaltlichen Bewertung zu tun. Die Behauptung der Initiative, dass das Aufhängen von Transparenten mietrechtlich in Ordnung sei, stimme nicht.

In dem geschilderten Verhaltens von Herrn Vinnen kann Magull, nichts beleidigendes oder ungebührliches erkennen. „Er hat nur gemacht, was er machen muss. Und er handelt auch nicht aus eigenem Ordnungsprinzip heraus, wie unterstellt wird“, so Magull. Zudem müsse jegliche Kritik nur auf ihn selbst bezogen werden, da alle Mitarbeiter auf auf seine Weisung und die des Vorstandes handelten.

Umstrittene Politik des Studentenwerks

Zugleich sehen die Aktivist_innen einen Zusammenhang zwischen den Transparenten und sanktionierenden Maßnahmen des Studentenwerks. So sei in nur kurzem zeitlichen Abstand nach Abmahnung wegen des Aufhängens von Transparenten, das Nutzen von bestimmten Parkflächen untersagt worden. Dies und viele der weiteren Streitpunkte sehen die Aktivist_innen als „Vorwände, sich mit strenger Schärfe an die Bewohnerinnen und Bewohner zu wenden“.

Konkret geht es um das Halten von Kleintieren, das nach Meinung der Initiative gestattet ist, wobei das Studentenwerk es verwehre, „adäquate Ausgangsmöglichkeiten für [die] Haustiere zu gewährleisten“. Weitergehend sei einer Bewohnerin gedroht worden, ihr Auto verschrotten zu lassen, wobei jedoch im Vorfeld nicht auf die Änderung der Parkflächen hingewiesen wurde. Auch gab es Streit um untersagte Nutzung von Kellerräumen und die Nutzung von Gärten. In einem Fall habe das Studentenwerk entgegen einer anders lautenden Absprache sämtliche Bäume auf einem Grundstück abgeholzt. In anderen Fällen seien Kellerräume nun verschlossen – und ungenutzt.

Dass Zusammenhänge zwischen dem Aufhängen von Transparenten und Maßnahmen des Studentenwerks bestünden, wies Magull zurück. Auseinandersetzungen über Parkflächen und Kellerräume ergäben sich daraus, dass diese nicht Gegenstand des Mietvertrags sind und sich kein Recht auf diese aus dem Mietverhältnis ableite. Diese könnten Bestandteil werden, gegen einen zusätzlichen Mietbetrag.

Die Wohnrauminitiative fordert hingegen erstmal einen Stopp des kritisierten Verhaltens, vor allem von Jens Vinnen. Konkret bedeutet dies die Kontrolle von „Vinnens Verhalten“ und die „Zurücknahme der Drohungen und Abmahnungen“. Wichtig sei jedoch auch die Abschaffung der Allgemeinen Mietbedingungen. Diese seien „Quelle der Ärgernisse und der gehäuften Drohungen und Mahnungen durch das Studentenwerk“, hieß es in der Pressemitteilung. Eigeninitiative werde mit einer einengender Auslegung der Bedingungen bekämpft. Zudem müsse die Nutzung von Gartenanlagen, Parkflächen und Kellerräumen ein im Mietvertrag festgehaltenes Recht der Bewohner_innen sein.

Zudem plädiert die Initiative gegen Sanierungen, die Mietpreise erhöhen und Wohnfläche reduzieren. Stattdessen wolle man „mehr gemeinschaftliches und selbstbestimmtes Wohnen“.
Magull sieht dies anders, es ginge nicht um die Einrichtung von „Luxusbuden“. Es fehle jedoch bei hohem Renovierungsbedarf an Mitteln. Das Land und der Bund hätten vergangene Projekte mitfinanziert, wodurch günstiger vermietet werden konnte. In sofern sei das Studentenwerk „der falsche Adressat“. Die Initiative müsste sich in diesem Fall ans Land wenden. Das Haus Theodor-Heuss-Straße 13 sei hingegen nicht sanierungsfähig. Bei baulichen Vorhaben, wie im Rosenbachweg, werden studentische Selbstverwaltungen im Prozess mit einbezogen worden, heißt es in einer Pressemitteilung des Studentenwerks.

Konflikt mit Vorgeschichte

Neu ist der Konflikt nicht. Schon im Jahr 2006 habe das Heraushängen von Transparenten zu Drohungen von Mietvertragskündigungen geführt. 2010 habe das Studentenwerk deutlich gemacht, dass politische Meinungsäußerung nicht erwünscht sei und sie als „unvernünftig“ und „unangemessen“ bezeichnet. Nach Meinung der Initiative ist das Heraushängen von Transparenten jedoch eine legitime Form der Meinungsäußerung und von der Meinungsfreiheit gedeckt. Weitergehend präge „der unliebsame politische Ausdruck“ nicht nur die studentische Kultur, sondern sei „Teil des Klimas dieser Stadt“. Das Verbot politischen Ausdrucks greife in die Freiheit der Bewohner_innen ein und gehe über den Zweck des Studentenwerkswohnraums, die Bereitstellung günstigen Wohnraums, hinaus.

Den Grund für viele der Repressionen sieht die Initiative in der Kritik am Studentenwerk. Nach dem auf Transparenten artikulierten Protest gegen Mietpreissteigerung und den Wegfall von Gemeinschaftsräumen seien Bewohner_innen der Theodor-Heuss-Straße „mit Abmahnungen überzogen“ worden, so die Pressemitteilung. Anfang April habe Jörg Magull noch angegeben, dass keine Bewohner_innen wegen Kritik abgestraft würden. Diese Zusage sieht die Initiative verletzt. Stattdessen würde auf Kritik unzureichend eingegangen und auf Beschlüsse von Gremien, „die es mehrheitlich besetzt“, verwiesen.

Magull betonte hingegen, dass niemand eine Kündigung aufgrund von geäußerter Kritik zu fürchten habe, weshalb keine Decknamen nötig seien. Für anonyme Kritik solle man sich an die studentischen Vertreter_innen in den Studentenwerksgremien wenden. Für persönliche Gespräche stände er immer auch kurzfristig zur Verfügung. Ihm zufolge deckten die geäußerten Vorwürfe einen großen Zeitraum ab und hätten oft nichts miteinander zu tun. Es werde ein Bild konstruiert, „dass wir die böse Seite der Macht wären. Dem ist nicht so.“

Dies sieht die Wohnrauminitiative anders. Die Maßnahmen „die sich sein Gehilfe Jens Vinnen einfallen lässt, müssen auf den Prüfstand“, so die Initiativen-Sprecherin Karolin in der Pressemitteilung. Alleine steht sie mit ihren Forderungen nicht: Unterstützung fand der offene Brief von 37 Gruppen und Einzelpersonen, darunter die Linke Göttingen, die Jusos Göttingen, die Grüne Hochschulgruppe, die ver.di Jugend Göttingen und die Antifaschistische Linke International (A.L.I.).

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