Abschiebung aus Psychiatrie

Eine Politik der Verantwortungslosigkeit
von am 27. März 2014 veröffentlicht in Migration, Titelstory

Protest gegen Abschiebungen vor dem Göttinger Rathaus im August 2012. Bild: Hank Scorpio.

Vor einer Woche wurde der aus Syrien geflohene Motasem N. nach Polen abgeschoben. Wegen Suizidgefahr saß er zuletzt zusammen mit seiner Frau in der Psychiatrie. Das Paar wollte nicht getrennt werden, der zuständige Landkreis Northeim vollzog die Abschiebung trotzdem. Kritik kommt gleich von mehreren Gruppen, die Geflüchtete unterstützen. Heute wird zu einer Demo in Northeim aufgerufen.

Es sei „ein zutiefst unmenschlicher Akt, einen psychisch und physisch schwerkranken Menschen aus einer Klinik heraus in Abschiebegewahrsam zu nehmen,“ kritisiert Ortrud Krickau vom Projekt FairBleib Südniedersachsen die Ausländerbehörde des Landkreises Northeim in einer Stellungnahme. Außerdem entspreche der Umgang mit Flüchlingen in Polen „nicht den europaweit vereinbarten Mindeststandards“, weshalb zum Beispiel das Verwaltungsgericht Meiningen schon Abschiebungen nach Polen gestoppt habe. Geteilt wird die Kritik vom Niedersächsischen Flüchtlingsrat. Der Göttinger Arbeitskreis Asyl sowie die Grünen Jugend Göttingen und Northeim tragen den Protest und die Kritik am Landkreis Northeim nun auf die Straße. Für heute Mittag wird zu einer Demonstration vor dem Northeimer Kreishaus aufgerufen.

Keine Heiratsurkunde: Landkreis erkennt Ehe nicht an

Obwohl bei Abschiebungen der Zusammenhalt von Ehe und Familie zu berücksichtigen sei, wurde Motasem N. abgeschoben. Die Ehe des 33-jährigen wollte der Landkreis Northeim ohne die Vorlage einer Heiratsurkunde nicht anerkennen. Die Ausländerbehörde forderte die beiden auf, eine entsprechende Urkunde aus Syrien anzufordern, was angesichts der dortigen politischen Situation so gut wie unmöglich ist. Nachdem auch der Einspruch eines Anwalts gegen die Entscheidung des Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) abgelehnt wurde, war die Abgabe einer eidesstattlichen Erklärung die letzte Hoffnung. Der Suizidversuchs von Motasem N. am 13. März und die „Ereignisse der nachfolgenden Tage habe das aber in den Hintergrund treten lassen“, schreibt Krickau von FairBleib dazu.

Der Landkreis Northeim verteidigt seine Entscheidung und verweist auf das BAMF. „In Form einer Abschiebeanordnung“ würden solche Entscheidungen ausschließlich vom BAMF getroffen, erklärt Kreissprecher Dirk Niemeyer auf Anfrage. Eine Suizidgefahr sieht der Landkreis bei N. nicht, denn „die behandelnde Ärztin im Asklepios Fachklinikum Göttingen hat die Reisefähigkeit bescheinigt“, sagt Niemeyer. Asklepios gibt keine Auskunft zu dem Fall, mit Verweis auf die ärztliche Schweigepflicht. Ähnlich sieht es beim BAMF aus, wo ebenfalls datenschutzrechtliche Gründe angeführt werden.

Mit den Dublin Verordnungen wird die Zuständigkeit für Asylanträge innerhalb der Europäischen Union geregelt. Es gilt, der zu erst betretene Staat ist für die Antragbearbeitung zuständig. In den Mitgliedsstaaten an den Rändern der EU werden deshalb mehr Asylanträge gestellt, als in der Bundesrepublik. Ein Antrag auf Asyl in Deutschland wird dadurch erschwert. Für die Umsetzung dieser EU-Richtlinie ist in Deutschland das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zuständig. Die Landkreise führen die Abschiebeanordnungen des BAMF durch, haben aber einen gewissen Spielraum. Bei gesundheitlichen Bedenken kann eine Abschiebung in Absprache mit den Innenministerien der Länder ausgesetzt werden.

Zurück nach Polen: Nicht als Opfer des Syrienkriegs anerkannt

Der 33-jährige Motasem N. lebte mit seiner Frau als Angehörige einer palästinensischen Minderheit im syrischen Daraa, wie dem Schreiben von FairBleib zu entnehmen ist. Die Verfolgung von Minderheiten durch das Assad-Regime brachte beide zur Flucht nach Europa. Ein erster in Polen gestellter Asylantrag wurde im vergangenen Jahr abgelehnt. Ein in der BRD gestellter Asylantrag wurde nun ebenfalls abgelehnt, da das BAMF nach der Dublin Verordnung weiterhin die Republik Polen als zuständig sieht. Damit wird die Abschiebung nach Polen begründet.

Da Motasem in einem jordanischen Flüchtlingslager aufwuchs, wird er vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als jordanischer Staatsbürger eingestuft. „Insoweit besitzt die ,Syrienproblematik‘ in diesem Fall keine Relevanz“, sagt Sprecher Niemeyer unter Berufung auf das BAMF. Die Bundesregierung hatte im Herbst vergangenen Jahres beschlossen ein Kontingent von 10.000 syrischen Kriegsflüchtlingen aufzunehmen und auf die Bundesländer zu verteilen. Motasem N. und seine Frau zählen nicht dazu.

Kritik auch an Asklepios wegen bescheinigter Reisefähigkeit

Ohne den ärztlichen Attest der Reisefähigkeit hätte es keine so schnelle Abschiebung gegeben. Dass der Betroffene trotz chronischer Krankheiten und eines versuchten Suizids als reise- und damit abschiebefähig beurteilt wurde, stößt beim Göttinger AK Asyl auf Unverständnis. In einem offenen Brief an die Klinikleitung kritisiert der Arbeitskreis den Umgang mit Motasem N. und fordert, die Klinik solle sich aus ihrer medizinischen Verantwortung heraus bei der Ausländerbehörde Northeim um eine Rückkehr Motasem N.s bemühen.

„Die Rückkehr Motasems ist allein schon für die Genesung seiner Frau, die schließlich immer noch Patientin des Asklepios ist, dringend notwendig“, sagt Tania Schläger vom Göttinger Arbeitskreis Asyl gegenüber MoG. Das Vertrauen vieler Menschen ohne sicheren Aufenthaltstitel in den Kliniken der Region hier sei außerdem schwerst erschüttert, so Schläger.

Text: Coska & Hank Scorpio

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