Patriarchat
Arabische Frauen und ihr Frühling
von Rakete am 8. März 2014 veröffentlicht in Soziale Bewegungen, Tagessatz, TitelstoryLibysche Frauen während einer Demonstration 2011 in Tripolis. Foto: Ammar Abd Rabbo (CC BY-NC 2.0).
Der arabische Frühling hat auch vielen Frauen erstmals ermöglicht, politisch da Wort zu ergreifen. Aber wie weit hat sie der Transformationsprozess bislang gebracht? Zum Frauentag ist Tagessatz-Autorin Sarah Raymaekers dieser Frage nachgegangen.
Als sich am 17. Dezember 2010 der tunesische Gemüsehändler Mohamed Bouazizi selbst in Brand steckt, um gegen Polizeiwillkür und Demütigungen in seinem Land zu protestieren, entfacht er nicht nur das Feuer an seinem eigenen Körper. In vielen Teilen des arabischen Raums (naher Osten und Nordafrika) bricht daraufhin eine ganze Revolution aus. Bilder zeigen, wie Männer und Frauen Seite an Seite gegen autoritäre Regimes und für ihr Mitbestimmungsrecht kämpfen. Auch Geschlechtergerechtigkeit und weibliche Emanzipation sind Gegenstand der Revolution.
Doch was hat der Frühling den Frauen bisher gebracht? Welche Chancen und Risiken bergen die Aufstände?
Ein harter politischer und kultureller Aushandlungsprozess verschiedener gesellschaftlicher Gruppen ist im arabischen Raum in vollem Gang. An der Transformation beteiligen sich sowohl Männer als auch Frauen. Dabei entstehen auf der einen Seite Chancen auf Freiheit, aber auch Risiken gewaltsamer Übergriffe inmitten der Proteste.
Nicht erst seit der arabischen Revolution organisieren und vernetzen sich Frauen in Gruppen und kämpfen für ihre Rechte. Doch mit den Umbrüchen haben sie die Gelegenheit genutzt, ihre Forderungen weiter auf die Straße und in die Öffentlichkeit zu tragen. Sie verlangen ein Mitspracherecht auf kultureller und politischer Ebene. Auch die arabische Revolution brachte Bilder hervor, auf denen Frauen in erster Reihe die Demonstrationen aktiv mitgestalteten. Barbara Unmüßig von der Heinrich Böll Stiftung erklärte in einem Interview mit dem Südwestrundfunk: „Frauen waren aktiv am Aufbruch für mehr Demokratie, auch für bessere sozio-ökonomische Entwicklungen beteiligt, denn der Protest war ja nicht nur ein Protest für mehr Freiheit und Bürgerrechte, sondern auch ein Protest gegen politische Willkür und massive soziale Ungleichheit.“
Mehr Geschlechtergerechtigkeit
Positive Beispiele für mehr Geschlechtergerechtigkeit gibt es unter anderem aus Saudi-Arabien. Dort wurden im vergangenen Jahr erstmals dreißig Frauen in den Schura-Rat, eine beratende Versammlung bestehend aus 150 Mitgliedern, berufen. Zum ersten Mal sollen auch Frauen bei den nächsten Kommunalwahlen 2015 kandidieren und wählen dürfen. Allerdings regiert das Haus der Al-Saud weiter uneingeschränkt das Land und viele Gesetze, wie das Fahrverbot für Frauen, bleiben umstritten. Sie engen Frauen immer noch stark ein. Ohne „Vormund“, das heißt Ehemann oder männlichen Blutsverwandten, dürfen sie auch keine Verträge unterschreiben, ja sich nicht einmal in der Öffentlichkeit zeigen.
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Ähnlich sieht es in Tunesien aus: „Dort ist es gelungen, über eine Frauenquote den Anteil der Frauen in der verfassungsgebenden Versammlung zu erhöhen. Allerdings sitzt im Parlament die islamistische Ennahda Partei, so dass zwar einerseits die politische Teilhabe von Frauen im tunesischen Parlament erhöht wurde, anderseits vertreten diese Frauen, die vom politischen Islam geprägt sind, aber Positionen, die nicht unbedingt Frauenrechte nach vorne bringen. Das ist also eine sehr komplizierte Situation.
In Libyen ist es so, dass ein paar wenige Frauen es ins Parlament geschafft haben, und dort engagieren sich die Frauen natürlich auch für Teilhabe und Gleichberechtigung“, berichtet Unmüßig.
Der arabische Raum, geprägt durch die arabische Sprache und dem Islam als zentrale Glaubensrichtung, ist alles andere als homogen. Sowie die Staaten und Regionen selbst sind auch die Entwicklungen der letzten Jahre von Land zu Land sehr verschieden. Von einigen Unruhen, Protesten, über gestürzte Staatsoberhäupter bis hin zum Bürgerkrieg hat der arabische Frühling starke und weniger starke Volksaufstände hervorgerufen.
In Syrien beispielsweise tobt seitdem ein erbitterter Bürgerkrieg; die Lage für die Bevölkerung ist prekär, Vergewaltigungen und Entführungen werden hier als Kriegswaffe missbraucht. Und in Ägypten sind Frauen nach wie vor nicht Teil der verfassungsgebenden Versammlung, um nur ein paar wenige Beispiele zu nennen und deutlich zu machen, dass der arabische Raum im Umbruch schwer zu vergleichen ist. Schon gar nicht die Situation der Frauen.
Dennoch ist ihnen gemein, dass sie den Protesten ein weibliches unübersehbares Gesicht geben. Ob auf dem Tahir-Platz in Kairo oder in der Kasbah von Tunis, die Szenen ähneln sich: Frauen gestalten die Revolution, halten Plakate, schreiben auf Facebook. Sie sind Teil der öffentlichen Debatte. Trotzdem sind viele weibliche Lebensverläufe noch durch patriarchale und traditionelle Normen gekennzeichnet, die ihnen eine untergeordnete Rolle zuweisen. Auch sexualisierte Gewalt ist allgegenwärtig. Besonders in den chaotischen und schutzlosen Umbruchzeiten, in denen Täter leichtes Spiel haben und straffrei davonkommen.
Viele Frauen, die auf die Straße gegangen sind haben berichtet, wie Männer die Situation ausnutzten und übergriffgig wurden. Die Heinrich-Böll-Stiftung hat zu dieser Problematik Ende vergangenen Jahres eine Tagung abgehalten: (K)ein Frühling für Frauen? So hieß der Arbeitstitel. Fast vierzig Frauen aus Ägypten, Libyen, und Syrien, Palästina, den USA, England, dem Balkan und dem Nordkaukasus versammelten sich zum Austausch in Berlin. In ihrer Eröffnungsrede sprach Barbara Unmüßig: „Die Bandbreite der Gewalt ist groß und reicht von Nötigung, massiver Einschüchterung und Jungfrauentest bis hin zu Massenvergewaltigungen und sexueller Versklavung. Besonders der weibliche Körper gilt als symbolische Angriffsfläche in nationalistisch, ethnisch und religiös aufgeladenen Konflikten. Vergewaltigungen werden als kollektive Demütigungs- und Vertreibungsstrategie angeordnet, die familiären und kulturellen Grundlagen der Gemeinschaften zerstört. Weibliche Körper werden so als Waffe politisiert. Sexualisierte Gewalt richtet sich aber auch gegen Jungen und Männer.“
„Es ist leichter, einen Diktator loszuwerden, als die Herrschaft der Männer zu überwinden.“
Die Aufklärungsarbeit gestaltet sich schwierig, da die Opfer aus Angst vor Stigmatisierung sich häufig nicht zu ihren Erfahrungen äußern wollen. Vergewaltigung ist und bleibt ein großes Tabuthema. Doch Aufklärung wird von vielen Organisationen groß geschrieben. Ein ägyptisches Internetprojekt gibt beispielsweise Opfern die Möglichkeit, anonym über ihre Erfahrungen zu berichten und die Belästigungen und Übergriffe öffentlich zu machen.
Insgesamt sollte aber die Lage nicht allzu pessimistisch betrachtet werden; die Umbrüche haben eine neue und besondere Situation geschaffen. Auch wenn, hauptsächlich für die Frauen in Syrien und für die Frauen, die auf der Flucht sind, von bitteren Rückschläge begleitet, ist dieser Aufbruch unumkehrbar, weil er den Leuten das Selbstbewusstsein gegeben hat, für ihre Rechte einzutreten. So ist es noch ein langer Weg bis zur Gleichberechtigung, aber der Grundstein ist gelegt. Naima Gibril, eine Richterin aus dem libyschen Benghazi bringt es auf den Punkt: „Es ist leichter, einen Diktator loszuwerden, als die Herrschaft der Männer zu überwinden.“