Interview mit Witzenhausener Studierenden
Containern als schwerer Diebstahl?
von topf am 19. Februar 2014 veröffentlicht in Gespräche, Soziale Bewegungen, TitelstorySehen überall gleich aus und sind begehrter als gedacht: Mülltonnen. CC von Flickr-User "Onnola"
Drei Monate Haft für die angebliche Entwendung von entsorgten Lebensmitteln. Das fordert die Staatsanwaltschaft in einem aktuellen Prozess vor dem Amtsgericht Eschwege. Die Angeklagten wehren sich und argumentieren, das sogenannte Containern sei ein Zeichen gegen Lebensmittelverschwendung. Monsters hat mit Ihnen darüber gesprochen, wie Verschwendung und Lebensmittelbranche zusammenhängen und woher die Konflikte ums Containern kommen.
Beim sogenannten Containern – der Entnahme von entsorgten Lebensmittel aus Müll-Containern – gibt es viele rechtliche Grauzonen: Eine davon lotet gegenwärtig das Amtsgericht Eschwege aus. Drei Angeklagten drohen bis zu 4500€ Geldstrafe oder 3 Monate Haft. Nachdem sie bei einer Verkehrskontrolle mit einer größeren Menge unverpackter Brote entdeckt wurden, stellte der Supermarkt Tegut eine Anzeige gegen das Trio. Tegut behauptet, dass diese für die Witzenhausener Tafel bestimmt gewesen sein. Dementsprechend hätten die Angeklagten schweren Diebstahl begangen, als sie die Brote entwendeten. Die Angeklagten streiten den Diebstahl-Vorwurf ab und werten die Anklage als Kriminalisierung des „Containerns“. Beim ersten Prozesstag am 2. Februar gestaltete sich die Beweisaufnahme schwierig. Die Argumentation der Staatsanwaltschaft ließ sich nicht bestätigen, Tegut zog den Strafantrag zurück. Der Prozess wurde auf Donnerstag, den 20.2.2014 vertagt. Vorher haben wir nochmal mit den Angeklagten Adelheid und Tamara gesprochen, Chris war als Unterstützer ebenfalls beim Interview dabei.
Hallo, schön dass ihr Zeit für ein Interview habt. Aktuell läuft ein Prozess gegen euch vor dem Amtsgericht Eschwege – wie geht’s euch damit gerade?
Tamara: Ich glaube wir sind alle recht optimistisch. Es war natürlich spannend, wie viele Widersprüchlichkeiten sich schon am ersten Prozesstag aufgetan haben, vor allem seitens Tegut. Außerdem finde ich total gut, dass sich gerade so viele Leute mit dem Thema beschäftigen und sich dafür interessieren. Es macht Mut, dass sich da so viele Leute solidarisieren.
Es gab eurer Meinung nach Widersprüchlichkeiten am ersten Prozesstag – was für Ungereimtheiten waren das?
Tamara: Erstmal kam die Behauptung auf, dass die Lebensmittel für die Tafel bestimmt gewesen wären. Dass kann aber nicht sein, weil die Tafel nur Lebensmittel annimmt, deren Mindesthaltbarkeitsdatum noch nicht überschritten ist. Bei den Waren, die im Auto sichergestellt wurden, war es aber überschritten. Zudem sollten die Waren, die von Tegut an die Tafel gehen, nicht auf der Laderampe, sondern in einem abgeschlossenen Bereich gekühlt und geschützt vor Schadtieren gelagert werden. Es wurden aber keine Einbruchspuren festgestellt.
Das klingt, als würden die Vorwürfe gegen euch zusammenfallen. Wie ist denn das sonst in Witzenhausen, gab es dort zuvor Anzeigen gegen Leute die „containert“ haben?
Adelheid: Es wurden immer mal wieder Leute angezeigt. Die Anzeigen wurden jedoch immer wegen Nichtigkeit fallengelassen weil Hausfriedensbruch oft nicht erfolgte, da einige Container offen zugängig sind.
Chris: Aus Sicht der Staatsanwaltschaft Kassel ging es da scheinbar immer nur um Diebstahl mit geringen Sachwert. Im aktuellen Fall ist der Unterschied, dass die Strafbefehle wegen besonders schweren Fall von Diebstahl rausgeschickt wurden. Das bedeutet Einbruchdiebstahl. Es wird behauptet es wäre eingebrochen worden, also ein Hindernis überwunden in Tateinheit mit einem Diebstahl mit nicht-geringen Sachwert. Aber das bröckelt gerade in sich zusammen.
Wenn es verfolgt wird, warum wird dann überhaupt „containert“? Es ist schließlich eine Straftat, die scheinbar mit einem Risiko behaftet ist ?
Tamara: Manche Leute wollen scheinbar nur Gesetze befolgen, die sie für sinnvoll erachten. Von der breiten Öffentlichkeit wird befürwortet, dass „Containern“ nicht als Straftat definiert sein sollte. Die Lebensmittel, die im Mülleimer von Supermärkten landen, sind oft Top in Schuss und gut zu verzehren.
Chris: Darüber hinaus gibt es auch Menschen, die ihre Lebensstrategie aufs „Containern“ ausgerichtet haben und so mit möglichst wenig Lohnarbeit leben können um mit ihrer Zeit sinnvolleres anfangen zu können. Und ganz sicher gibt es auch in Deutschland Menschen, die darauf angewiesen sind. Jetzt, wo Supermärkte auf die Öffentliche Diskussion reagieren, indem sie Container wegschließen, leiden die wohl am meisten.
Scheinbar gilt, dass „Containern“ in Deutschland möglich ist, man findet relativ viel Genießbares – wie kommt das eurer Meinung nach zustande?
Chris: Es gibt dafür unterschiedliche Gründe: Einige von uns studieren ökologische Landwirtschaft und wir kriegen es schon in der Produktion mit. Ein Beispiel sind Äpfel: Wenn ein Apfel einen Schorffleck hat, ist er für den Großhandel nicht mehr verwertbar. Im Supermarkt wird relativ viel wegen des Mindesthaltbarkeitsdatums aussortiert, was ein recht willkürlicher Wert ist. Das Mindesthaltbarkeitsdatum kann halt genutzt werden, damit Lebensmittel schnell weggeschmissen und dann nachgekauft oder nachbestellt werden müssen.
Es gibt also Mechanismen wie die Auslese beim Bauern oder das Mindesthaltbarkeitsdatum, die zu mehr Verschwendung und Müll beitragen. Zugleich ist es eine Straftat sich weggeworfene Lebensmittel anzueignen – warum?
Chris: Für mich zeigt es deutlich, wie in diesem System produziert wird. Es reicht nicht, dass jemand Hunger hat – dann wird noch lange nicht angefangen zu produzieren. Sondern erst wenn Menschen dies auch bezahlen können.
Meint ihr dass es allen Akteuren oder Menschen in der Lebensmittelbranche mit der Verschwendung gut geht– so aus eurer Erfahrung?
Chris: Ich glaube, dass es ein systemimmanentes Problem ist. Supermarktbetreiber sagen oft, dass Ihnen das weh tut. Auch Landwirte betonen häufig, dass sie das nicht cool finden. Aber scheinbar müssen alle irgendwie mitmachen. Wenn etwas nicht vermarktbar ist, hat es eben keinen Wert im Kapitalismus – auch wenn davon Menschen leben könnten.
Tamara: Ich bin aber der Überzeugung, dass auf unterschiedlichen Ebenen Akteure eine aktive Rolle übernehmen könnten um Lebensmittelverschwendung entgegen zu wirken.
Und ihr versucht das momentan zu thematisieren – was wollt ihr konkret erreichen?
Chris: Das ist natürlich schwierig, weil nur sehr sehr kleine Ziele erreichbar sind. Wir wollen, dass Containern legalisiert wird und die Angeklagten freigesprochen werden. Aber eigentlich geht es um was Größeres: Das für die Bedürfnisse der Menschen produziert wird und dementsprechend die Umweltbelastung reduziert wird. Aber auch die Arbeitsbelastung in der Lebensmittel-Branche könnte bei weniger Verschwendung sinken.
Was könnte denn eine Legalisierung des Containerns dazu beitragen?
Tamara: Die Supermärkte könnten mit „Containerern“ in Kommunikation treten und das Essen einfach rausrücken. Es ist halt sinnlos einen Zaun um die Mülltonnen zu bauen um zu vertuschen, wieviel weggeworfen wird. Es ist auch die Angst der Supermärkte, dass jetzt, wo Containern immer öffentlicher diskutiert wird, ein Imageschaden entsteht. Es gibt bereits einige Supermärkte, die sehr offen damit umgehen und Kartons mit Essbarem neben die Container stellen. Ein anderes Beispiel ist Österreich, wo Müll seinen Eigentumswert verliert, sobald er im Container landet.
Und zum Abschluss: Wie geht es für euch selber nun weiter?
Adelheid: Wir werden freigesprochen.
Tamara: Mir ist es schon wichtig, Lebensmittelverschwendung weiterhin zu thematisieren. Insbesondere dass aktuell Supermärkte zunehmend Zäune bauen um zu vertuschen, wieviel weggeschmissen wird. Gegen Lebensmittelverschwendung kann man aber auch selber im kleinen Maßstab aktiv werden. In der Witzenhausener Fußgängerzone gibt es nun ein Essens-Verschenk-Regal, dass öffentlich zugängig ist und wo Menschen überschüssiges Essen abgeben können – ein Schritt Richtung Umsonst-Ökonomie quasi. Aber natürlich ist das nur Symptombekämpfung.
Danke für das Gespräch.
Auch in Göttingen kann mensch containern. Die GJ hat 2012 Anna und Arthur dabei begleitet und eine Reportage verfasst: http://gj-goettingen.de/wp-content/uploads/2012/06/reportage_final.pdf
Soll jetzt natürlich kein Aufruf sein. Ich hab hab gehört, da kann mensch Probleme mit der Justiz bekommen.
Btw: Eschwege schreibt sich mit einem „g“…