Kommentar
Universitätsstadt für die Elite
von topf am 4. November 2013 veröffentlicht in Soziale Bewegungen, TitelstoryErneut besetzt: leerstehendes Wohnheim in der Geiststraße 10
Im November kann der Umbau des ehemaligen Wohnheims Geiststraße zur Akademie der Wissenschaften beginnen, wie das Wissenschaftsministerium mitteilte. Eine bürokratische Entscheidung, die indes offenbart, dass das Ideal der Eliteuniversität trotz des Ausscheidens aus der Exzellenzinitiative bei Universität und Land immer noch tief verwurzelt ist – inklusive der daraus resultierenden sozialen Spannungen.
Dieses Wintersemester feiert die Universität einmal mehr einen Rekord bei den Studierendenzahlen: Über 27000 Studierende sind nun an der Universität immatrikuliert, nochmals 600 mehr als im Vorjahr. Zugleich ist die Wohnraumknappheit weiterhin ein Problem. Bereits in den Vorjahren hatte es Schwierigkeiten gegeben alle Studierenden unterzubringen. Nun ist der Wohnungsmarkt implodiert – günstige Wohnungen oder WG-Zimmer sind defacto nicht mehr verfügbar. Im Gebäude des Allgemeinen Studierendenausschuss (Asta), dass nicht einmal duschen hat, übernachten Studierende und die Jugendherbergen sind voll belegt. Zugleich melden sich bei den Anlaufstellen für Wohnungssuchende immer noch Verzweifelte, die drei Wochen nach Semesterbeginn keine Bleibe gefunden haben.
Dabei bleibt jegliche Reaktion von Politik und Institutionen aus. Die Universitätsleitung hat abseits von Lippenbekenntnissen bisher wenig für die Studierenden getan – selbst kurzfristig mögliche Maßnahmen, wie eine Umnutzung existierender Gebäude scheinen undenkbar: Die Universität hält weiterhin an ihrem Plan fest, das seit Jahren leerstehende Wohnheim in der Geiststraße durch eine außeruniversitäre Forschungseinrichtung zu nutzen. Die Prioritäten liegen trotz des Ausscheidens aus der Exzellenitiative weniger auf der Situation der Studierenden, als auf prestigeträchtigen Projekten.
Auch das Studentenwerk bekleckert sich in der gegenwärtigen Situation wenig mit Ruhm: Erst 2016 soll ein Wohnheim mit 200 Wohnplätzen am Nordcampus fertiggestellt werden. Und auch weiterhin plant das Studentenwerk diverse kleinere Wohnheime und Häuser zurück an die Stadt zu geben, von der diese bisher gemietet wurden. Es sind zwar nicht die großen Zahlen, doch auch kleine Wohnheime wie in der Bühlstraße oder der Bürgerstraße schaffen wenigstens eine kleine Entlastung auf dem Wohnungsmarkt. Zugleich werden zahlreiche Wohnheime im Kreuzbergring saniert, was verkleinerte Wohnungen mit stellenweise 50 prozentigen Mieterhöhungen zur Folge hat.
Und doch ist das Problem auch politisch: Seit Jahren wussten Verwaltung und Politik von der bevorstehenden Studierendenschwemme. Schließlich waren es politische Entscheidungen, wie die Abschaffung der Wehrpflicht und das „Turboabitur“, die den erhöhten Ansturm zur Folge haben. Während zumindest die Universitäten im Rahmen des Hochschulpakts zusätzliche Mittel erhielten, sparte das Land Niedersachsen an einer Aufstockung der Zuschüsse für die soziale Infrastruktur der Studentenwerke. Das es anders geht, zeigen Bundesländer wie Bayern, die angesichts der steigenden Studierendenzahlen Sonderprogramme für die Studentenwerke aufgelegt haben. In Niedersachsen hingegen hat die Landespolitik sämtliche Spielräume zur Schaffung von Wohnraum dicht gemacht: Mit dem Zukunftsvertrag wurde der finanzielle Spielraum der Stadt Göttingen auf Jahre zunichte gemacht – schnelle Abhilfe durch die Kommune ist auch dank des Knebelvertrags nicht zu erwarten.
Währenddessen sind die BewohnerInnen Göttingens zur Selbsthilfe übergegangen: Angesichts des Medienechos auf die Wohnungsnot brummt die Schlafplatzbörse im Asta. Zahlreiche GöttingerInnen stellen Sofas, Wohnzimmer und ungenutzte Räume zur Verfügung, so dass den Wohnungssuchenden zumindest das Obdach unter einer Brücke erspart bleibt. Mittelfristig stellt das jedoch keine Lösung dar: Die Knappheit an Wohnraum führt schon seit Jahren zu steigenden Mieten und damit zu sozialen Verwerfungen. Die Wohnraumnot zeigt sich weniger an Obdachlosigkeit als viel mehr an Verdrängungsprozessen – nur besser gestellte Studierende können sich ein 20m² Zimmer für 350€ leisten. Alle Anderen ziehen entweder an den Stadtrand oder nach Hannover. Aus der ehemaligen Elite-Universität Göttingen wird eine Universitätsstadt für die Elite.