Kommentar

Wissenschaft oder Polit-Klamauk?
von am 9. September 2012 veröffentlicht in featured

Schröder versus Lafontaine – ein Duell mit vertrautem Klang. Eine Neuauflage gibt es am Montag, 10. September, auf dem Göttinger Uni-Campus. Der „Verein für Socialpolitik“ hält seine Jahrestagung 2012 ab – und hat sich Gerhard Schröder als „Gastredner“ eingeladen. Parallel veranstaltet der „AK Real World Economics“ ein beeindruckendes Alternativprogramm, offen und ohne Anmeldung zu besuchen. Zeitlich auf den Schröder-Vortrag folgend haben sich die Veranstalter_innen Oskar Lafontaine eingeladen.

Ob es ein wissenschaftlicher Zusammenschluss wie der „Verein für Socialpolitik“ (VfS) nun wirklich nötig hat, sich mit medienwirksamen Federn zu schmücken, oder nicht: Er hat sich dazu entschieden. Mit einer der wohl einschneidensten sozialpolitischen Veränderungen der jüngeren Zeit ist die Kanzlerschaft von Gerhard Schröder (früher SPD, heute Gazprom) verbunden: Die „Agenda 2010“. Und genau dies ist auch der Titel des Gastbeitrags, den Gerhard Schröder am Montag ab 12:30 Uhr in Hörsaal 011 des Zentralen Hörsaalgebäudes (ZHG) auf dem Campus halten wird (Programm der Tagung). Nun wird medial den Volkswirtschaftlern ohnehin bereits Aufmerksamkeit geschenkt, und im Programm finden sich auch gestandene Talkshow-Gäste wie Hans-Werner Sinn. Ob es sich nun lohnt, den Universitätscampus mit einem zu erwartenden größeren Aufgebot an personenschützenden Polizeieinheiten zu verstopfen, kann sicher bezweifelt werden. Mit einer Abrechnung mit der eigenen Politik, die trotzig („basta!“) damals vor allem in den eigenen Parteien durchzuregieren war, ist nun sicher nicht unbedingt zu rechnen. Vielmehr feiert der VfS wohl seinen eigenen Einfluss, der ganz sicher erheblich ist. So bekommt er auch die höchsten Ehren der Universität – eine feierliche Eröffnung in der Universitätsaula, mit Grußwort der Uni-Präsidentin Beisiegel und der niedersächsischen Wissenschaftsministerin Wanka (ab 10:30 Uhr).

Bei so viel volkswirtschaftlichem Mainstream soll nicht untergehen, dass es auch kritischere, radikalere Konzepte und Personen in dieser Disziplin gibt. Organisiert und vernetzt sind diese kaum, aber es gibt an verschiedenen Orten Menschen und Gruppen, die offenere Debatten, kritisches Hinterfragen und alternative Konzepte anmahnen. Dazu gehört auch der „AK Real World Economics“ – und der hat zur VfS-Jahrestagung ein Gegenprogramm organisiert. Ein betont offener Alternativ-Kongress mit umfangreichem Programm wird im Verfügungsgebäude (VG) sowie dort im Keller, im „Stilbrvch“, stattfinden. Das Programm kann sich sehen lassen: Wissenschaftliche Exponenten wie Peter Bofinger, Max Otte und Heiner Flassbeck tragen vor und diskutieren, Themenblöcke wie „Macht oder ökonomisches Gesetz?“, „Zur Krise der Ökonomie und Ökonomen“ widmen sich zahlreichen Aspekten. Das üppige Programm bietet viele wissenschaftlich hochinteressante Vorträge und Vortragende – und sogar Kultur: Am Montagabend ist „Erwin Pelzig“ zu Gast und „unterhält sich“ – bzw. das Publikum. Alle Veranstaltungen sind offen und kostenlos, eine Anmeldung ist nicht nötig.

Ausdrücklich nehmen die Veranstalter_innen in ihrer Erklärung zum Kongress Bezug auf den Gastredner Schröder beim VfS: Das sei einerseits eine „hochpolitischen Personalie“, andererseits „zu einseitig“. Dabei bedächtig zu nicken fällt leicht, doch der Satz geht irritierend weiter: „[wir] haben deshalb Oskar Lafontaine eingeladen, um dessen Bilanz von 10 Jahren Agenda 2010 dagegen zu stellen“ (Vortrag ab 14:00 Uhr). Nicht nur, dass sicher die Personalie Lafontaine nicht minder „hochpolitisch“ ist, ist auch einigermaßen unklar, ob dem Alternativkongress damit gedient ist, dass er ohne Not den Populismus-Fehdehandschuh aufnimmt und in gleicher Münze antwortet.

Dies sieht auch der AStA der Uni Göttingen in einer Pressemitteilung so: Zwar sei der Alternativkongress eine notwendige und höchst unterstützenswerte Angelegenheit, und ein Besuch sei empfohlen. Davon aus nimmt er aber die Personalie Lafontaine und „positioniert sich klar gegen die Nutzung einer solch sinnvollen Veranstaltung als Politbühne“ – und schiebt noch einmal nach: „Während Lafontaines Partei sich regelmäßig emanzipatorischer Bewegungen zu bedienen sucht, ist er bereits mehrfach durch rassistische und populistische Äußerungen aufgefallen“.

Was Besucher_innen auf dem Campus am Montag genau erwartet ist noch etwas unklar. Besuche von Gerhard Schröder sind im allgemeinen mit einer rigiden Bewachung verbunden. Und auch Lafontaine wird sicher in Begleitung kommen. Da allerdings bisher keine größeren Protestaktionen angekündigt sind, wird es vermutlich bei einer starken Sicherung des ZHG und ein wenig Parkplatzmangel in der Campus-Umgegend bleiben: Zu rechnen ist sicher wieder mit so einigen Wagen voller Bereitschafts-Polizist_innen. Das zu erwartende martialische Bild – Fotojournalisten werden das dankbar annehmen – haben sicher nicht eventuelle Demonstrant_innen zu verantworten. Das haben sich die Veranstalter_innen der Tagungen selbst eingeladen und ins Programm geschrieben.

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8 Kommentare auf "Wissenschaft oder Polit-Klamauk?"

  1. retmarut sagt:

    An Rande sei angemerkt: Dass der AStA sich wie folgt positioniert „Während Lafontaines Partei sich regelmäßig emanzipatorischer Bewegungen zu bedienen sucht, ist er bereits mehrfach durch rassistische und populistische Äußerungen aufgefallen.“, hat u.a. damit zu tun, dass die AStA Koalition auch Hochschulgruppen umfasst, die engere Beziehungen zu den beiden damaligen Regierungsparteien haben und dem sicher etwas Rechnung tragen müssen. Ich würde das also nicht gar zu hoch hängen, zumal die damalige (übrigens völlig aus dem Kontext gerissene) Polemik gegen Lafontaine wegen des Begriffs „Fremdarbeiter“ vorrangig von rotgrünen Leitmedien wie Spiegel und taz forciert wurde. Zwei Medien, die übrigens kein Problem damit hatten, dass die Agenda 2010 umgesetzt wurde. Und auch dass das imperialistische Deutschland zum dritten Mal im 20. Jh. Jugoslawien überfallen hat, und zwar mit der damaligen Fischerschen Diktion, damit „ein neues Auschwitz zu verhindern“, stellte für diese nibelungentreuen Medien offenbar kein Problem dar.

    Gut ist allemal, dass der AStA die Veranstaltungsreihe offiziell mit unterstützt, weil da einige ganz spannende Vorträge drunter sind. Leider kann ich da aus Zeitgründen nicht dran teilnehmen, aber vielleicht gibt es ja vom Veranstalter irgendwann einen Kongressreader.

  2. abcde sagt:

    Also nach meinem Wissensstand ist zumindest die Beziehung der Grünen Hochschulgruppe zur grünen Partei seit dem Kriegsbeschluss so gut, dass sich die Gruppe nicht mehr in den Räumlichkeiten der Partei trifft und es keinen Kontakt mehr gibt. Bin mir ja nich ganz so sicher, dass das „enge Beziehungen“ sind, denen Rechnung getragen werden muss.

  3. Kokain sagt:

    Gelten GHG-Veranstaltungen mit z.B. Jürgen Trittin heute schon als kein Kontakt mehr?
    Naja ist schon auffällig, dass der AstA in seinen beiden Erklärungen keine wirklich deutlichen Worte schafft zu Schröder zu verlieren sondern sich an Lafontaine abarbeitet.

  4. Rakete sagt:

    Hier mal eine kritische Betrachtung von Lafontaines Äußerungen, die wohl nicht im Verdacht steht, von „rotgrünen Leitmedien“ lanciert worden zu sein: http://www.sopos.org/aufsaetze/42d14027e952c/1.phtml

    Dass Schröders Agenda-Politik zu Verelendung geführt hat, ist ja nicht wirklich umstritten. Er hat in Göttingen ja sogar gesagt, dass das im Prinzip so gewollt war, wie es in der heutigen FR nachzulesen ist:

    „Der Niedriglohn-Sektor war von der damaligen rot-grünen
    Bundesregierung politisch gewollt, bekennt Schröder, und findet das
    immer noch richtig, weil es gering Qualifizierten den Einstieg in den
    Arbeitsmarkt ermögliche.“
    http://www.fr-online.de/wirtschaft/agenda-2010-altkanzler-preist-seine-agenda,1472780,17218546.html

    Das heißt aber noch lange nicht, dass es nicht auch berechtigte Kritik an Lafontaine gibt. Ich frage mich, wieso jemand, der sich in populistischer Manier zu rassistischen Äußerungen hinreißen lässt, von Linken in Schutz genommen wird, weil im Asta ja auch Jusos sitzen.

  5. barbier sagt:

    Um Raketes Beitrag zu ergänzen, hier nochmal eine Erklärung der antifa(f). Im Gegensatz zur Unterstellung retmaruts, werden die Zitate nicht aus dem Kontext gerückt, sondern in dem Kontext von Lafontaines sonstigen Äußerungen gesetzt. [edit/Red.: C&P-Text entfernt. Link reicht ja auch völlig]

  6. barbier sagt:

    Mist…da ist beim kopieren was schief gegangen…
    Hier der Link http://www.antifa-frankfurt.org/Nachrichten/eier_auf_lafontaine.html

    Mods,vlt könnt ihr die letzte ergänzung so moderieren,dass der text von der f nicht drin ist?

  7. abcde sagt:

    @Kokain Ich bin erst ein paar Jahre in Göttingen, hab aber von einer GHG/Trittin Veranstaltung noch nichts gehört. Auch auf der Homepage steht zumindest bis Januar 2005 nichts davon. Wann soll das denn so ungefähr gewesen sein?

  8. Kokain sagt:

    @Rakete: Ich nehme Lafontaine nicht in Schutz (lässt sich auch gut an ihm abarbeiten, auch mit Hinblick auf seine Rolle in den rassistischen Diskursen der 90er). Meine Kritik zählte aber darauf, dass es keine inhaltliche Kritik an dem Wirken Schröders seitens des AstA gab. Das Abgrenzen von „falschen/ungewünschten“ Linken scheint den Verantwortlichen schneller von der Hand zu gehen als Kritik am Architekten der Verelendung. Und wenn mensch sich die aktuelle AstA Koalition anschaut, liegt halt nahe warum das so seien könnte…

    @abcde: Ist schon nen ganzes Weilchen her. Meine auf jedenfall entsprechende Flyer für eine solche Veranstaltung in der Hand gehabt zu haben. Frage doch mal bei den GruppenkollegInnen nach 😉

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