Demo für Bleiberecht

„1, 2, 3, 4 – alle Menschen bleiben hier“
von am 27. März 2012 veröffentlicht in Hintergrund, Soziale Bewegungen, Titelstory

Am vergangenen Samstag hatten verschiedene Initiativen zu einer Demo vom Rosenwinkel in die Innenstadt aufgerufen. Es galt, die öffentliche Aufmerksamkeit auf das Schicksal von Flüchtlingen aufmerksam zu machen und die Solidarität der Mehrheitsgesellschaft zu mobilisieren. Drohende Abschiebung in zerstörte frühere Heimat, mangelhafte medizinische Versorgungsmöglichkeiten, Arbeitsverbote und Freiheitsbeschränkungen wurden kritisiert. Im Fokus standen auch die in Göttingen lebenden Roma, die im Jugoslawienkrieg fliehen mussten.

Bei strahlendem Demo-Wetter finden sich gegen 11:00 Uhr nach und nach ca. 90 Personen im Rosenwinkel ein. Hier wohnen seit dem zwangsweisen Auszug aus der ehemaligen Zietenkaserne und den Baracken im Maschmühlenweg inzwischen viele Roma-Familien, womit jedoch keine wirkliche Verbesserung der Wohnsituation einher ging. Auf diese Situation im „Flüchtlingsghetto“, in dem neben Roma-Flüchtlingen auch Flüchtlinge aus Afghanistan und Iran wohnen, wird vor Ort in einem Redebeitrag hingewiesen: Die von der Stadt verursachte Ghettoisierung von Flüchtlingen, die im Bereich der ehemaligen Zietenkaserne begonnen habe, werde in der Weststadt fortgesetzt. Auf Grund des Duldungsstatus der meisten hier lebenden Flüchtlinge, sei es den Betroffenen nicht möglich, eine geregelte Arbeit zu finden. Zudem seien sie auf die Zuweisung von staatlichen Wohnraum angewiesen, können also nicht frei wählen, wo sie wohnen wollen.

Der Demozug sollte deshalb im Rosenwinkel starten, um möglichst viele von den hier lebenden Roma dazu zu bewegen, auf die Straße zu gehen. Mit einem geringen Polizeiaufgebot und der Begleitung durch wenige Beamt_innen setzt sich der Demozug gegen 11:30 in Bewegung. Entlang der Pfalz-Grona-Breite biegt er auf die Königsallee ab. Vereinzelte Passant_innen und Nachbar_innen schauen eher teilnahmslos dem vorbeiziehenden Spektakel hinterher. Ein Passant sagt, er sei weder für noch gegen Abschiebung, das sei „Vater Staats Sache“. Währenddessen wird seitens der Veranstalter_innen auf die Verantwortung von „Vater Staat“ hingewiesen, da die Bundesrepublik an dem NATO-Einsatz im Kosovo 1999 beteiligt war. Die Demo findet deshalb auch am 13. Jahrestag der Bombardierung Ex-Jugoslawiens statt, in dessen Folge viele Roma aus ihrer seit Jahrhunderten angestammten Heimat nach ganz Europa fliehen mussten. Anzeichen der Solidarität seitens der Bundesrepublik mit den Betroffenen seien jedoch nicht erkennbar, so die Veranstalter_innen.

An der Kreuzung biegt der Demozug auf die Groner Landstraße ab Richtung Innenstadt, macht aber einen kurzen Zwischenstopp vor der Göttinger Polizeiwache. Nachdem die Göttinger Polizei in Form einer Parole dazu aufgefordert wurde, ihren Dienstherrn in Hannover, Innenminister Uwe Schünemann, abzuschieben, folgt ein Redebeitrag der Initiative „Gedenken an Oury Jalloh“: Der Polizeiapparat sei daran beteiligt, Existenzen und Lebensperspektiven durch die gewaltsame Durchführung von Abschiebungen, durch rassistische Übergriffe und durch die Abwehr an den europäischen Grenzen zu zerstören. Die Polizei schrecke nicht „vor körperlicher Gewalt, Misshandlung und Mord zurück“, wie das Beispiel von Oury Jalloh aus Dessau zeige, der nach Misshandlung im Polizeigewahrsam in Folge eines in der Zelle ausgebrochenen Feuers im Januar 2005 gestorben war. Nur auf Grund des Engagements der Familie Jalloh und deren Unterstützer_innen werde sichergestellt, dass „der Mord an Oury Jalloh nicht in Vergessenheit“ gerate. Rassismus verschwinde nicht von alleine, sondern müsse aktiv bekämpft werden. Die Oury Jalloh Kampagne verurteile deshalb „alle Abschiebungen und zeigt sich solidarisch mit den Betroffenen“.

Mit dem Slogan „Bleiberecht überall, kein Mensch ist illegal“ zieht die Demo unter der Eisenbahnbrücke durch, weiter in Richtung Innenstadt. Je näher die Demo der Stadt kommt, desto mehr Passant_innen sind zugegen. Die zahlreichen Roma-Kinder an der Demospitze sind nun immer häufiger damit beschäftigt, das Infoblatt der Initiative „Bleiberecht für Roma“ zu verteilen. Eine Lehrerin fährt zufällig mit ihrem Fahrrad vorbei, nimmt ein Infoblatt dankend an und kommt mit den Kindern ins Gespräch. Eine ihrer Schülerinnen befindet sich unter den Demonstrierenden. Die Lehrerin ist an der Förderschule Am Tannenberg tätig und erzählt, dass ihre Schülerin sich dort gut mache und sie es toll fände, dass sie sich für ihre eigenen Interessen engagiere. Die Zusammenarbeit zwischen der Schule und den Behörden laufe hingegen schlecht.

Um Punkt 12 Uhr zieht die Demo an der Marienkirche vorbei in die Innenstadt ein. Die Stadt ist voll mit einkaufenden und flanierenden Göttinger Bürgerinnen und Bürgern. Ähnlich wie in der Weststadt schauen viele teilnahmslos auf die vorbeiziehende Demo. An einer Bushaltestelle wechseln ein paar Senior_innen ein paar Worte: „Zigeuner“ sagt eine ältere Dame, während sie sich leicht nach vorne zu ihrem Begleiter vorbeugt. Im Laufe der Demo ist vereinzelt ähnliches Getuschel zwischen den Menschenmengen in der Innenstadt zu vernehmen. Eine Bereitschaft zur kritischen Auseinandersetzung, auch mit den eigenen Vorurteilen, scheint hier nicht vorhanden zu sein. Eine Frau fährt auf dem Fahrrad vorbei und ruft aufgeregt: „Hier bleiben wollen, aber nichts bezahlen, ihr habt sie doch nicht alle!“. Der Spruch macht die Runde innerhalb der Demo und ruft Kopfschütteln hervor. Die gute Stimmung kann das aber nicht trüben: „Schließt euch an, tanzt in der Sonne“ heißt es, oder auch „Es gibt tausend gute Gründe für ein Bleiberecht, aber keinen einzigen für eine Abschiebung!“ Die Menge jubelt.

Der Kenntnisstand eines Teils der Mehrheitsgesellschaft über die Situation der Roma scheint dennoch ziemlich dürftig zu sein. Viele wollen darüber auch gar nichts wissen, verweigern die Annahme von Infoblättern, die von den Roma-Kindern an der Spitze des Demozugs verteilt werden. Doch es gibt auch Zustimmung für ein Bleiberecht und Verständnis für die Situation der Roma unter den Passant_innen. Manche der Göttinger_innen haben sich schon kritisch mit dem Thema Abschiebung und Antiziganismus auseinander gesetzt und nehmen bereitwillig ein Infoblatt von den Kindern entgegen. Die Vorurteile aus der NS-Zeit existierten noch heute, so ein älterer Passant, deshalb gäbe es eine historische Verantwortung, sich für die Roma einzusetzen. Andere hingegen werden erst durch die Demo auf das Thema aufmerksam gemacht. Viele lassen verlauten, dass sie zu dem Thema keine Meinung hätten und sich erst einmal das Infoblatt durchlesen würden. Ein weiterer Passant bedauert, dass nur so wenige Leute an der Demo teilnähmen.

Gegen 12:15 Uhr kommt die Demo am Gänseliesel an, wo sie sich mit dort wartenden Demonstrierenden zu einen Demozug von ca. 200 Leuten zusammenschließt. Die zentrale Kundgebung muss vor dem am Marktplatz ansässigen Kaufhaus stattfinden, da der Marktplatz selbst durch den Ostermarkt blockiert ist. Den Auftakt zur Kundgebung macht die „Medizinische Flüchtlingshilfe“. Sie gehört dem Bündnis „Bleiberecht für Roma“ an und ist Mitorganisatorin der Demo. In dem Redebeitrag wird auf das Ende 2012 auslaufende Rückführungsabkommen zwischen der BRD und dem Kosovo aufmerksam macht. Dadurch seien viele Familien von Abschiebung bedroht. Vor allem die Situation vor Ort in Göttingen wird thematisiert:

„Was trägt Göttingen zu dieser rassistischen Praxis bei? Der niedersächsischen Innenpolitik Schünemanns folgend, schafft es Göttingen auch hier ein Klima von Fremdenfeindlichkeit und Ausgrenzung zu schaffen und durch Anwendung rassistischer Sonderregelungen zu fördern. So hatte beispielsweise ein notfallmäßiger Krankenhausaufenthalt eines illegalisierten Menschen eine sofortige Festsetzung in der Ausländerbehörde zur Folge. Dies ist nur eines von vielen menschenverachtenden Beispielen.

Im Falle von geduldeten Menschen werden ärztliche Gutachten von Sachbearbeiter_innen auf der Ausländerbehörde wissentlich ignoriert. Im Krankheitsfall entscheidet eine Verwaltungsangestellte über die Notwendigkeit eines Arztbesuches. Diese hat weder die fachliche Kompetenz, noch ist sie dazu befugt. Außerdem besteht für Betroffene sowieso nur eine Minimalstversorgung, weit unter der gesetzlichen Krankenversicherung. Und wäre dies nicht schon Beispiel genug, sind hier lebende Flüchtlinge von einem Gutscheinsystem abhängig, das sie nicht frei über ihr weniges Geld entscheiden lässt. All dieses spiegelt die deutsche und europäische rassistische Grundhaltung wider, in der es gewollt Menschen zweiter Klasse gibt. Dieses System wird auch von der rot-grünen Kommunalregierung hier in Göttingen tatkräftig unterstützt. Deshalb fordern wir euch heute auf, mit uns gemeinsam für die Abschaffung von diskriminierenden Gesetzen zu demonstrieren.“

Nun kommen die betroffenen Roma-Kinder zu Wort, moderiert vom „Aktionsplenum gegen Abschiebung“, das auch zum Bündnis „Bleiberecht für Roma“ gehört. Die anwesenden Kinder sind alle in Deutschland geboren. Albanisch und Serbisch, die Amtssprachen im Kosovo, sind ihnen genauso fremd wie das Land an sich. Sie sprechen Deutsch und fühlen sich hier zu Hause:

„Ich möchte nicht in Kosovo gehen, weil die töten mich, ich hab Angst. Und ich möchte meine deutschen Papiere haben. Und ich bin in Deutschland geboren.“

„Ich heiße Sabrina, ich bin hier geboren und ich will nicht in den Kosovo gehen, da gibts kein Licht, da gibts keinen Strom und da… Menschen haben keine Tabletten, keine Spritzen, und da gibts kein Essen und da gibts kein Haus, und so weiter. Und da gibts keine Schule und wir wissen nicht wie die Sprache geht und so weiter und ich möchte nicht dahin gehen. Und mein Papa und meine Mutter auch nicht.“

„Ich heiß Anita und ich bin hier in Deutschland geboren und ich habe sehr viele deutsche Freunde. Und ich geh hier auch regelmäßig zur Schule und ich will gar nicht in Kosovo, ich kenn das Land doch gar nicht, da gibt es auch keine Schule, da werden richtig viele Leute aggressiv im Kosovo.“

„Hallo, ich bin die Semina und ich bin hier geboren. Ich geh in die Schule. Ich hab hier Freunde, ich will sie nicht verlieren. Und ich weiß nicht was Kosovo ist. Ich will, ich will hier bleiben. Alle sollen hier bleiben.“

Im Anschluss an diese Worte bricht Jubel aus. Kenan Emini vom Roma-Center Göttingen weist nochmals darauf hin, dass Abschiebungen vor allem für die Kinder fatal seien. Diese Position spiegelt sich auch im letzten Redebeitrag der zentralen Kundgebung am Gänseliesel wider, der vom „Bündnis gegen Abschiebung“ kommt:

„Viele der geplanten Abschiebungen betreffen Kinder und Jugendliche, die hier natürlich zur Schule gehen. Daher ist es besonders wichtig, in euren Schulen auf eure Mitschüler_innen aufzupassen. Seit wachsam und fragt bei der Schulleitung und zu Hause nach, wenn eure Mitschüler_in nicht im Unterricht auftaucht. Manchmal kommt es vor, dass die Polizei oder die Ausländerbehörde in eure Schule kommt um ein_e Schüler_in abzuschieben. Gebt keine Informationen an die Behörden und erklärt euch solidarisch mit den Betroffenen! Holt euch Unterstützung bei euren Lehrern und Lehrerinnen! Versucht die Abschiebung zu verhindern! Zeigt gemeinsam Zivilcourage! Organisiert für die Sommerferien Telefonlisten in eurer Klasse, damit ihr euch informieren könnt, falls eine Abschiebung droht!

Für jeden und jede und nicht nur für die Schule gilt: Wenn ihr von Menschen wisst, die eventuell von einer Abschiebung bedroht sein können, geht hin! Redet mit ihnen! Zeigt ihnen eure Solidarität! Wenn ihr mitkriegt, dass in eurer Straße oder Nachbarschaft mehrere Polizist_innen vor einem Haus stehen, in dem ausländische Menschen leben, dann geht hin! Seid neugierig und fragt nach dem Grund. Wenn ihr glaubt, dass es sich um eine Abschiebung handelt, informiert eure Freunde und Freundinnen! Stellt euch vor das Haus und schafft Öffentlichkeit! Wenn ihr Schreie oder Hilferufe hört, geht hin und schaut nach was da passiert! Wenn ihr selber von einer Abschiebung betroffen seid, versucht eure Freundinnen und Freunde zu informieren. Seid laut, schreit um Hilfe! Versucht euch zu wehren und auf euch aufmerksam zu machen! Falls ihr im Flugzeug sitzt, leistet Widerstand. Steht auf! Verlangt mit dem Piloten zu sprechen!“

Die Rednerin schließt ihre Rede mit einem Gleichnis, basierend auf folgender afrikanischer Geschichte:

„Ein Löwe geht zu drei Kühen und sagt zu ihnen: ‚Liefert mir eine von euch aus, dann lass ich euch anderen in Ruhe!‘ Zwei der Kühe sind sich bald einig und gehen auf den Handel ein. Eine Woche später kommt der Löwe zu einer der beiden Kühe und sagt: ‚Überlass mir deine Kollegin, dann verschone ich dich!‘ Die Kuh ist einverstanden. Es vergeht eine Woche, dann kommt der Löwe wieder. Die Kuh erinnert an das Versprechen, doch der Löwe lacht und fragt: ‚Warum sollte ich Dich verschonen?‘ Und frisst sie auf.“

Der Löwe sei in diesem Fall das „rassistische System“, von dem sich die Gesellschaft nicht spalten lassen solle. Stattdessen solle sich die Gesellschaft mit den Betroffenen solidarisch erklären. Mit großen Jubel wird die Kundgebung beendet. Viele der Passant_innen ziehen vorbei, gehen ihren Einkaufsgelüsten nach. Doch einige bleiben stehen, hören zu, nehmen Infoblätter entgegen. Eine Passantin bekundet, dass sie es gut finde, wenn Randgruppen demonstrieren. Flüchtlinge sollten als integrativer Bestandteil der Bevölkerung gesehen werden. Das sei in Deutschland aber noch nicht der Fall, so die Passantin.

Die Demo zieht durch die Rote Straße und Jüdenstraße in Richtung Weender Straße. Am Nordeingang der Fußgängerzone folgt dann eine weitere Zwischenkundgebung mit einem Redebeitrag des Arbeitskreis Asyl, der ebenfalls Teil des Bündnisses „Bleiberecht für Roma“ ist. Neben dem Verweis auf die Flucht vor den ethnischen Säuberungen der von der NATO unterstützen UCK im Kosovo-Krieg, wird auch auf die derzeitige, ausweglose Situation im Kosovo verwiesen. Es gebe weder ein funktionierendes Sozialsystem, noch Zugang zu Wohnraum und Bildung. Die Probleme seien hinlänglich bekannt, doch auf Seiten der Politik ändere sich nichts:

„UNHCR, Unicef, die großen Kirchen, große Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International und Pro Asyl fordern deshalb einhellig Abschiebestopp für Roma in den Kosovo. Und auch die Politik fordert dies. Höre und staune, Kreistag und Stadtrat haben Schünemann aufgefordert, Roma nicht mehr in den Kosovo abzuschieben, aber was passiert? Abschiebedruck, kurze Duldungsverlängerungen, Illegalisierung von Betroffenen, Zermürbung, krankmachende Lebensverhältnisse – die ganze Latte der Perspektivenlosigkeit, genau das was Roma seit Jahrhunderten erfahren! Anhaltende Ausgrenzung und eine Ignoranz der deutschen Mehrheitsgesellschaft. Im Gegenteil, eine Integrationsdebatte wird über die Betroffenen abgebrochen, die der Realität der Betroffenen Hohn spottet. Es fällt schwer, hier nicht von Rassismus, von tief verwurzeltem Antiziganismus zu sprechen. Und wir haben uns deshalb zusammengefunden um diesen Wahnsinn zu stoppen.

Wir werden Abschiebungen von Roma nicht mehr hinnehmen. Wir verlangen, dass Verantwortung übernommen wird, für Europas größte, verfolgte und diskriminierte Minderheit, Verantwortung auch hier in Göttingen. Wir verlangen ein sofortiges, bedingungsloses Bleiberecht für Roma!

Und wir belassen es nicht bei Appellen. Wir werden versuchen den Abschiebungen unseren Widerstand entgegen zu setzen. Und wir werden alles daran setzen, alle gesellschaftlichen Kräfte zu bündeln, die sich ebenfalls den Roma verpflichtet fühlen. Denn wenn es stimmt, dass in einer parlamentarischen Demokratie der Mehrheit in einem Parlament die Mehrheit in einer Gesellschaft widerspiegelt, dann bilden die Mehrheiten im Kreis- und Stadtrat einen Abschiebestopp erklärten Willen der Göttinger Bevölkerung dar. Und das heißt: Diesen gilt es zu mobilisieren und zu manifestieren. Das ist die Herausforderung vor der wir stehen. Das geht nur gemeinsam, entschlossen und vielfältig.“

Ein älterer Herr unter den Passanten klatscht begeistert. Darauf angesprochen, was er von dem Redebeitrag halte, entgegnet er, dass er es notwendig finde, die „Diskriminierung bestimmter Randgruppen“ wahrzunehmen und dagegen anzugehen: „Es sind nicht nur die jüdischen Glaubens, sondern es gibt andere Gruppen, die nach wie vor, schon in der Nazizeit verfolgt wurden und auch jetzt nicht hier aufgenommen werden und abgeschoben werden.“ Genauso haben zwei jugendliche Frauen dem Redebeitrag aufmerksam zugehört, sowie sie sich dem Demozug angeschlossen haben. Sie sagen, sie seien häufig auf Demos und begrüßen es, dass sich für die Belange der Roma eingesetzt würde.

Nun zieht die Demo an der Jakobikirche und am Nabel vorbei, wieder in Richtung Gänseliesel. Die Roma-Kinder verteilen fleißig Infoblätter an die in den Eiscafés sitzenden Göttinger_innen. Auch hier ein geteiltes Echo: Viele stecken den Flyer gleich weg, machen den Anschein, als fühlten sie sich gestört beim Kaffeekränzchen in der Mittagssonne. Andere meinen hingegen, sie hätten sich mit dem Thema noch nicht auseinandergesetzt, würden sich aber das Infoblatt durchlesen. Eine Mutter sagt zu ihren Töchtern, dass sie es gut fände, wenn überhaupt endlich mal wieder jemand für etwas auf die Straße gehe. Doch auch sie müsse sich mit der genauen Thematik erst noch auseinandersetzen.

Gegen 13:15 endet die Demonstration mit einer Abschlusskundgebung am Gänseliesel. Der Kampf sei danach allerdings noch nicht vorbei, so die Veranstalter_innen. Nun gehe es darum, die Verantwortlichen unter Druck zu setzen, die Basis zu mobilisieren und zukünftige Abschiebungen zu verhindern. Mit der Parole „Hopp, hopp, hopp, Abschiebestopp“, die vor allem den Roma-Kindern Spaß macht, beschließen die Demonstrierenden diesen Tag. Stefan Klingbeil vom Arbeitskreis Asyl zeigt sich zufrieden mit der Demo. Bei bestem Wetter und guter Stimmung sei der Auftakt der Kampagne für ein dauerhaftes Bleiberecht für Roma in die Öffentlichkeit getragen worden. Vor allem die rege Teilnahme betroffener Roma aus dem Blümchenviertel habe ihn gefreut, so Klingenbeil.

Einer der Betroffenen, der 40jährige Enwer Beraj, ist auch zufrieden und hofft, dass die Demo ihre Wirkung zeigt, vor allem im Interesse der Kinder. Er hofft das Beste, doch die prekären Verhältnisse, in die Roma ins Kosovo abgeschoben werden, machen ihm auch Angst. Die Hoffnung liegt dabei auf der Solidarität einer breiten Öffentlichkeit. Eine Öffentlichkeit, der die menschenunwürdige Situation der Roma bisher größtenteils nicht bewusst zu sein schien, oder die davon bisher schlicht nichts wissen wollte.

Bildergalerie

Fotos: Harvey

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