Zensus 2011

Strafen und Haft, um Antwort zu erzwingen
von am 5. März 2012 veröffentlicht in Soziale Bewegungen, Titelstory

Etwa Mitte des Jahres 2011 fand in Deutschland eine „Volkszählung“ statt, der „Zensus 2011“. In der öffentlichen Wahrnehmung scheint das schon Vergangenheit zu sein. Tatsächlich findet dieser Zensus aber immer noch statt. Denn nicht jede_r mochte sich der staatlichen Anordnung fügen, Auskunft über sich zu geben. Die Stadt Göttingen reagiert nun mit härteren Maßnahmen: Zwangsgelder werden verhängt, mittlerweile ist gar Erzwingungshaft angedroht. Wir haben mit Betroffenen gesprochen.

Zensus 2011
Anders als die Volkszählung 1987 in der BRD bzw. 1981 in der DDR findet der Zensus 2011 als Befragung nur eines Teils der Bevölkerung statt. Zehn Prozent der Haushalte erhielten Fragebögen, weiterhin gab es Befragungen von Wohnungseigentümern und spezielle Befragungen für besondere Unterkünfte – in Göttingen beispielsweise bei Wohnheimen. Vorweggegangen war eine Zusammenlegung verschiedener Datensammlungen wie dem Einwohnermelderegister oder Datensammlungen der Agentur für Arbeit. Der Zensus 2011 ist eingebettet in eine EU-weites Programm zur Durchführung solcher Zählungen. Den Bestimmungen nach sollen ähnliche Zählungen alle zehn Jahre stattfinden. Begründet wird die Durchführung mit dem Gewinnen von notwendigen Rahmendaten für politische Entscheidungen. Verläßliche Zahlen seien notwendig für verläßliche Planung öffentlicher Institutionen. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang meist auf die sozialen Angebote, deren Bemessung sich an solchen Zahlen orientieren müsse.

Seit Ende letzten Jahres ist es vorbei mit aller vorgeschobener Bürgerfreundlichkeit und Transparenz. Von über vier Millionen bundesweit verschickten Fragebögen seien 50.000 noch nicht beantwortet worden, hieß es im Januar. In den zuständigen Behörden wird nun eskaliert: Es werden allen hartnäckigen Nicht-Beantworter_innen Zwangsmaßnahmen angedroht.

Die Worte werden ihre Wirkung nicht verfehlen, dachte sich wohl auch der zuständige Beamte der Stadt Göttingen: „E-Haft droht!“ hat er handschriftlich oben auf dem Schreiben ergänzt, das noch einmal das bereits verhängte Zwangsgeld anmahnt. Aber davon wollen die Angeschriebenen sich nicht abschrecken lassen. Das Zwangsgeld summiert sich mit den Kosten für die Eintreibung bereits auf über 400 Euro für jede_n der Betroffenen.

Im Gespräch erklärt sie ihre Motivation: Bereits der Zwangscharakter der Befragung störe sie. Auch die von Anfang an festgeschriebene geschlossene Repressionskette bis hin zur nun ja tatsächlich angedrohten Haft habe für klare Ablehnung gesorgt. Und wirklich ist die Eskalation der Befragung von anfänglichem Bewerben mit großen Anzeigenkampagnen über die Hausbesuche von Interviewer_innen bis hin zu den nun verhängten Zwangsgeldern schon lange von der Politik in Gesetzen festgeschrieben worden.

Überhaupt sei auch die Begründung zweifelhaft: Weshalb nicht beispielsweise allein die Auswertung der Register gereicht hätte, darauf gehen die werbenden Argumentationen der Erhebungsstellen nicht ein. Und auch die Fragekomplexe seien zweifelhaft. Viel zu weit gingen die Befragungen beispielsweise beim „Zuwanderungskomplex“ im Fragebogen, bei dem migrantische Abstammung erfasst wird. Überhaupt nicht begründet wird weiterhin, warum die Befragung personalisiert erfolgt: Der Fragebogen ist nicht nur mit einer Nummer, sondern mit den genauen persönlichen Daten der befragten Person fest verknüpft. Erst nach fünf Jahren soll dieser Bezug gelöscht werden.


Bei den Betroffenen stapeln sich langsam die amtlichen Schreiben, die im Ton ungemütlicher werden.

Nachdem an zwei Terminen – leider kurzfristig unpassend – die Befragungen durch Interviewer_innen nicht stattfanden, gingen die weiteren Aufforderungen im vergangenen Jahr per Post ein. Nun wird dem mit Zwangsmaßnahmen Nachdruck verliehen. Einmal war bereits ein Vollstreckungsbeamter da – um das verhängte Zwangsgeld einzutreiben. Man habe sich durchaus kooperativ gezeigt, betonen die Betroffenen. Da allerdings im Haushalt Gäste anwesend waren, vor deren Augen der Beamte das wohl doch nicht durchsetzen wollte, zog er unverrichteter Dinge wieder davon. Freilich nicht ohne die Drohung, beim nächsten Termin selbst auch in Begleitung zu erscheinen.

Wie es bei den Betroffenen weitergeht, ist noch unklar. Irgendwann wird auch für die Stadt die Zeit ablaufen – die Ergebnisse der Befragungen müssen schließlich ab einem gewissen Zeitpunkt dann auch ausgewertet werden. Danach wären Zwangsmaßnahmen wohl nicht mehr zu vertreten. Aber das Gesetz sieht auch hier ein Nachtreten des Staates vor: Die Nichtbeantwortung ist am Ende nämlich auch noch mit einem Bußgeld belegt.

Kritisch schauen die Betroffenen auf die Proteste gegen den Zensus. Dass nur ein Bruchteil der Bürger angeschrieben wurde, führte schon von Beginn an dazu, dass ein effektiver Widerstand erschwert wurde. Es gibt zwar eine bundesweite Vernetzung, die allerdings von wenigen Personen aktiv betrieben wird. Hier in Göttingen wurden auch Versuche unternommen, sich unter Betroffenen zu organisieren. Allerdings habe es wenig Feedback gegeben. Nach und nach haben viele Kritiker_innen dann wohl auch schließlich angesichts der Repressionen verängstigt ihre Antwort abgeschickt. Solche Volkszählungen sollen allerdings auch in Zukunft regelmäßig wieder geschehen. Darum rufen die jetzt Betroffenen dazu auf, sich Gedanken über einen kreativen Umgang damit zu machen – schon allein, um besser vorbereitet zu sein. Beim noch laufenden Zensus 2011 wurde wohl erst zu spät reagiert.

Die verantwortliche Politik ist längst auf Tauchstation, die Verwaltung führt nun eisern die verabschiedeten Gesetze aus. Die Betroffenen müssen feststellen, dass es nun wohl nur noch um ihren individuellen Protest geht. „Vermutlich würde sich an dem Desinteresse gegenüber dem Zensus nur etwas ändern, wenn doch die Befürchtungen eintreten und ein größeres Datenschutzleck bekannt wird“, erklärt einer der Betroffenen mit Bedauern. Das käme ihnen natürlich nicht persönlich gelegen, würde aber für einen öffentlichen Aufschrei sorgen – und das Augenmerk wieder auf die Probleme des Zensus hinter all seiner Hochglanz-Werbung richten.

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