Microphone Mafia
Per la Vita!
von Kai Budler am 18. August 2011 veröffentlicht in Gespräche, Titelstory66 Jahre nach der Befreiung vom NS-Faschismus gibt es nur noch wenige Zeitzeugen, die von den Verbrechen des NS-Regimes berichten können. Eine davon ist die 1924 geborene Esther Bejarano, eine von zwei bekannten Überlebenden des Mädchenorchesters im KZ Auschwitz. Sie wird nicht müde auf antifaschistischen Kundgebungen von den Gräueln des Nationalsozialismus zu berichten, dabei aber zum aktuellen Widerstand gegen neue und alte Nazis aufzurufen und zur Solidarität zu mahnen. Dies transportiert sie unter anderem in der Band „Coincidence“ ihrer Tochter Edna Bejarano. Gemeinsam mit dem Kölner HipHop-Trio „Microphone Mafia“ haben sie jetzt das Album „Per la Vita“ heraus gebracht. Mit dem Rapper Kutlu Yurtseven hat Kai Budler für Monsters of Göttingen über die kölsche hanseatische Kooperation geprochen.
Die Microphone Mafia ist hierzulande inzwischen der dienstälteste HipHop-Act, wie hat das eigentlich alles damals angefangen?
Kutlu Yurtseven: Die Bandmitglieder, so wie sie jetzt zusammen Musik machen, kennen sich schon aus der Schulzeit. Wir haben zusammen Fußball gespielt und gemeinsam Breakdance gemacht. Später haben wir eine Band gegründet und 1990 unsere ersten Song „Stop“ aufgenommen. Darin hatten wir damals gegen Vorurteile und Rassismus gerappt. Jetzt gibt es uns schon seit 20 Jahren und das Thema ist leider immer noch aktuell. HipHop und Rap waren damals eine Art von Pionierarbeit: wir waren eine Minderheit in der Minderheit und wurden als Rapper erst belächelt. HipHop war wie gemacht für Jugendliche wie uns, die finanziell nicht viel investieren mussten. Es kam vielmehr darauf an, was man kann und macht. Auf einmal gab es eine eigene Jugendkultur.
Das Grundgefühl war ein Zusammenhalt in der Community: Besonders für Jugendliche mit migrantischem Hintergrund war es ein Mittel, um ausdrücken, dass wir zwischen zwei Kulturen lebten. Im Grunde war HipHop damals zu einer Zeit ohne Internet ein Mittel zur Verständigung von Jugendlichen in der ganzen Welt. Wir waren zum Beispiel auf einem Jam in München und auf einmal standen Jugendliche aus Australien vor der Bühne. Mit HipHop war man nicht mehr in der türkischen oder deutschen Kultur gefangen, sondern es gab eine eigene Jugendkultur. Nach der Wiedervereingung kam in den Medien der Begriff „Deutschrap“ auf und die Vorgeschichte wurde mit einem Schlag weggewischt. Es wurde auf einmal nebensächlich, dass Menschen aus verschiedenen sozialen Schichten mit unterschiedlichen Sprachen zusammen Musik gemacht haben. Viel wichtiger wurde es, dass man ohne Substanz und inhaltliche Aussage ein krasses Image aufbauen kann. Texte über soziale Probleme will ja heute keiner mehr hören. Für mich ist dieses Multikulti immer noch ein Unwort.
Mit eurer Besetzung und euren Statements wurde die Mafia nach der Wiedervereinigung bald zu einem Aushängeschild gegen Rassismus. Welche Erfahrungen habt ihr selbst mit Rassismus in Deutschland gemacht?
Kutlu Yurtseven: Es passiert ja sehr selten, dass Leute auf dich zukommen und dich rassistisch beleidigen. Aber ich erinnere mich beispielsweise an ein Ereignis, als ich 16 Jahre alt war. Bis zu diesem Alter waren die Kinder von „Gastarbeitern“, wie es damals hieß, noch in dem Pass ihrer Eltern involviert. Mit meinem 16. Geburtstag hatte ich meinen ersten eigenen Pass erhalten, vorerst mit einer einjährig befristeten Aufenthaltsgenehmigung. Und da meinte der Beamte zu mir „Hör mal zu: wenn du Scheiße baust, dann bist du schneller in deiner Heimat als du nach rechts gucken kannst.“ Ich dachte damals, der will mich verarschen, ich bin doch in Köln geboren. Das sind die subtilen Andeutungen, die man nicht vergisst und die einem zeigen, dass man doch nicht hierher gehört. Dazu kamen zumindest für Nordrhein Westfallen damals die Anschläge in Solingen und später auch in Mölln. Das war eine echte Zäsur im Zusammenleben der Ausländer, vor allem der Türken, und der deutschen Community. Da wurden damals Fehler auf beiden Seiten gemacht – und das tragen wir immer noch mit uns.
Droht da nicht eine mediale „Multikulti-Falle“ zuzuschnappen, wenn Asylantenheime brennen und der Öffentlichkeit eine „multikulturell besetzte Truppe“ wie die Microphone Mafia präsentiert wird?
Kutlu Yurtseven: Wir hatten noch jahrelang mit dem Problem zu kämpfen, dass Multikulti so ein Vorzeigeappell ohne Inhalt ist. Es geht da ja nicht um die Substanz, dass sich Menschen verständigen oder verstehen sollen. Mit Multikulti sollen Stimmen gesammelt werden, damit der Gutmensch gut dastehen kann. Für mich ist dieses Multikulti immer noch ein Unwort.
Aus einer ganz anderen Generation als ihr stammt die 1924 geborene Esther Bejarano, eine von zwei bekannten Überlebenden des Mädchenorchesters im KZ Auschwitz. Wie kam es denn zu der doch recht ungewöhnlichen Zusammenarbeit mit ihr und ihrer Band?
Kutlu Yurtseven: Der DGB hatte mich damals gefragt, ob ich für eine Kampagne Gedichte von KZ-Häftlingen vertonen und verrappen könnte. Ich hatte vorher schon Schiller, Goethe und Brecht gerappt, hatte aber bei diesen Gedichten arge Bedenken. Vor allem war ich sehr unsicher und fand es ziemlich gefährlich, jemandem damit auf den Schlips zu treten oder zu beleidigen. Freunde haben mir dann geraten, mich an Esther Bejarano in Hamburg zu wenden, weil sie auch mit 85 Jahren noch Musik in der Band ihrer Tochter mit dem Namen „Coincidence“ macht. Bei unserem ersten Telefonat war sie erstmal ziemlich schockiert darüber, dass wir uns „Mafia“ nennen. Wir haben uns aber später in Hamburg getroffen, um uns zu unterhalten und uns gegenseitig unsere Musik vor zu spielen. Für beide Seiten war schnell klar, dass wir was zusammen machen wollten. Aus den zuerst geplanten sechs Songs wurde dann eine ganze CD und Ende des Jahres wird es ein zweites Album geben.
Was hält denn Esther Bejarano von HipHop und Rap?
Kutlu Yurtseven: Ihr Herzstück ist natürlich nach wie vor Coincidence. Rap ist für sie eine Musik geblieben, die sie nicht versteht – aber das kann man ja auch nachvollziehen. Sie sagt aber selber, dass sie gemerkt hat, was für eine Kraft im Rap steckt. Und das Zusammenspiel mit den folkloristischen Elementen unserer Musik hat dazu geführt, dass sie sich doch sehr damit angefreundet hat. Sie findet unser gemeinsames Projekt gut und solange ihr Alter das erlaubt, will sie auf jeden Fall dabei bleiben.
Im vergangenen Jahr habt ihr gemeinsam das Album „Per la vita“ herausgebracht, das ihr nun in Göttingen vorstellen werdet. Wie kann ich mir eine gemeinsame Arbeit voller musikalischer Widersprüche vorstellen?
Kutlu Yurtseven: Die wenigsten glauben mir, wenn ich sage, dass es wirklich überhaupt kein Problem war. Nachdem die übliche Frage nach dem Wie geklärt war, haben alle Beteiligten, also die Mafia und die Bejaranos, das Projekt als Herausforderung betrachtet. Musikalisch hätte das alles aber überhaupt keinen Wert, wenn es nicht auch menschlich so gut geklappt hätte. Bei der Zusammenarbeit haben sich wirklich Menschen getroffen, die sich mögen und rein zufällig auch Musik machen. Und dadurch sind unsere gemeinsamen Konzerte auch sehr ehrlich und sehr bewegend, wenn sie auch manchmal schwer verdaulich sind. Dazu kommt eine unglaubliche Sprachenvielfalt, von der ich nicht dachte, dass sie die fünf Sprachen toppen könnte, in denen die Mafia rappt. Dazu gekommen sind jetzt noch Jiddisch, Spanisch und Griechisch.
Welche Spuren hinterlässt denn die Zusammenarbeit mit den Bejaranos in deinem oder eurem Bewusstsein und in eurer Musik?
Kutlu Yurtseven: Was davon bleibt, ist der Kampf und das heißt, immer offen zu bleiben für Neues, die Hoffnung und sich selbst niemals aufzugeben und daran glauben, dass man etwas verändern kann.
Vielen Dank für das Interview.