Linke Politik im UK
„Verbrennt Banker und Minister“
von Braiiins am 29. März 2011 veröffentlicht in featured, Hintergrund, Soziale BewegungenDie Proteste gegen die Kürzungspolitik der britischen Regierung können mit den „Bildungsstreiks“ an deutschen Unis verglichen werden. Die Zusammensetzung der Bewegung ist jedoch völlig anders, was auch an der Geschichte der Sozialen Bewegungen dort liegt. Ein paar Anmerkungen zu linker Politik im UK von unserem Korrespondenten.
An deutschen Universitäten gehört ein Studierendenprotest fast schon zum guten Ton eines Studiums. Zugegeben, es sind bei weitem nicht immer alle dabei, die mitmachen könnten und manchen gelten Bildungsstreik & Co. auch als linkes Quereler*Innentum. Trotzdem, Proteste an Unis sind keine Seltenheit. Seit den 68ern hatte jedes Jahrzehnt seine eigenen Uniproteste inkl. Gebührenboykott, Demonstrationen, Besetzungen und selbsorganisierten Alternativvorlesungen.
Alleine in den letzten Jahren gab es Gründe genug, auch in Niedersachsen auf die Straßen zu gehen: die Kürzungen im Rahmen des Hochschul-Optimierungs-Konzepts, die Einführung von Langzeitstudiengebühren, Bachelor/Master-Studiengängen, Studiengebühren, noch mehr Studiengebühren, Kürzungen und Schließungen… Nicht selten fielen die entsprechenden universitären Veränderungen mit anderen Kürzungen zusammen, so dass ein gemeinsamer Protest mit Schüler*Innen und anderen zumindest in Teilen stattfand und auch eine etwas weitere Unterstützung der Proteste in der Bevölkerung nach sich zog.
Im UK ist die Lage eine andere: die 68er-Bewegung hat es nicht gegeben und althergebrachten Universitäten, wie Oxford, Cambridge, St Andrews, London oder Durham tragen nach wie vor den Muff von tausend Jahren unter den Talaren. Überhaupt gab es in den letzten 40 Jahren wenig politisch Bewegendes, am bekanntesten vermutlich die Proteste der 80er-Jahre gegen die Apartheid in Süd-Afrika, die Bergarbeiterstreiks und die „Brixton Riots“. In den letzten Jahren vielleicht noch die Proteste gegen den Irakkrieg und insbesondere die britische Beteiligung daran. Nichts, was im gleichen Maße die politische Landschaft aufgewühlt hätte, wie es in Deutschland immer wieder der Fall war: keine Ostermärsche, kein Rostock-Lichtenhagen, keine nennenswerte Antiatombewegung, keine Montagsdemos … Wie auch immer mensch sich zu diesem Bewegungen verhalten mag, sie waren selten frei von inhaltlichen Diskussionen und brachten oft neue Gedanken und Strömungen in der den deutschsprachigen Bewegungen hervor.
All das fehlt in Großbritannien und es ist den britischen Protesten und der Linken deutlich anzumerken. Es herrscht eine politische Monokultur frei nach dem Motto: „Wenn man aufsteht und weiß wo der Feind ist, dann hat der Tag Struktur“. Ob traditionsmarxistische Klassenkämpfer*Innen von der trotzkistischen „Socialist Workers Party“ oder der anarchistischen Gruppe „Class War“, ob Gewerkschaften, Oxfam oder ganze Zusammenschlüsse wie „Put people first“, die Logik ist bei allen die gleiche: hier „die Guten“, dort die „Bösen“. Das mag vereinfachend klingen, aber wer einmal einige Tage unter britischen Linken verbracht hat, wird die Scherenschnitteinteilung der politischen Realität in „uns“ und „die“ mitbekommen haben. Letztere, also „die“ Banker, Politiker und Großkonzerne –die Kaste der Macht- und Profitgierigen – sind es, die uns im Antikapitalismus a la Britain jedes Schlamassel der kapitalistischen Gesellschaft eingebrockt haben. Sicherlich, auch in Deutschland gibt es Menschen und Gruppen, die eine Kritik des Kapitalismus lieber zugunsten einer Kritik der Kapitalisten aufgeben und von der Krise „der anderen“ sprechen. Gemessen an allem, was in Großbritannien gebräuchlich ist, haben die Wahlplakate von bspw. MLPD oder DKP fast schon einen rustikalen Charme. Im UK sind die Forderungen deutlicher, nicht „Marx lesen“, sondern „verbrennt die Banker und Minister“, „den konservativen Abschaum vertreiben“, zumindest in Teilen der Linken.
Zugegeben, auch andere Stimmen gibt es, nur unterscheiden sich diese nicht in inhaltlicher Form sondern lediglich in der Härte der Forderungen. Auch für massentauglichere Organisationen, wie die Oxfam-Charity und Gewerkschaften ist an der Vorstellung, dass sich nur genug Menschen mit gutem Willen zusammen tun müssen, um die Welt wieder ins reine zu bringen. Wenn nur die „fat cats“ und „imperialists“ der Welt erst einmal zum jüngsten Gericht einberufen werden, dann entsteht das Paradies auf Erden: Arbeit, Reichtum, Gesundheit und ein gutes Leben für alle. Bis dahin gilt es halt selbst soviel vermeintlich antikapitalistisches wie nur irgend möglich zu tun. In der Praxis bedeutet dies, dass mensch an jeder dritten Ecke im Charity-Shop für einen guten Zweck den Sperrmüll anderer Leute aufkaufen kann, die besten Werbelabels „Öko“, „Fair Trade“ und „Ethical“ sind oder Kampagnen damit werben, dass sich Aktivismus als „soft skill“ gut im Lebenslauf macht. Wenn wir sie nur lange genug bewusst einkaufen und Unterschriften sammeln, dann kommt befreite Gesellschaft ganz bestimmt.
Vor dem Hintergrund einer solchen Kritik am kapitalistischem System ist es kaum verwunderlich, dass Protestierende Banken, Parteizentralen und „Fortnum and Mason“, eines der teuersten Einkaufszentren Londons, mal mehr mal weniger friedlich angehen. Die eigene Weltsicht gebietet geradezu einen solchen Bildersturm. Wo sonst, wenn nicht an diesen Orten, wo das Geld transferiert, Steuern vermieden und Entscheidungen getroffen werden, wäre das Herz des Kapitalismus zu suchen? Wie wenig diese Politik bewirkt, die sich immer nur gegen die Erscheinungsformen der Probleme und nicht die Probleme selbst wenden, die Mitspieler*Innen und nicht das Spiel als solches angreifen und die eigene Verstrickung in die kapitalistische Vergesellschaftung zu Gunsten einfacher Feindbilder nicht reflektieren kann und/oder will, ist ebenso unerwartet. Zugegeben zur emanzipatorischen Kehrtwende hat die eigene Reflektion auch nicht gerade geführt und wenigstens, so ließe sich einwenden gibt es im UK eine Praxis die über den eigenen Kiez hinausreicht. Ist das allerdings so erstrebenswert, wie es klingen mag?
Wenn politischer Aktivismus sich darauf zurückzieht, Universitäten auf Bio und Fair-Trade umzustricken und dafür zu sorgen, dass aus dem Wasserspender garantiert kein imperialistisches Wasser fließt, ist damit an den Grundlagen des Kapitalismus nicht gerüttelt, selbst dann nicht, wenn zusätzlich „mehr Arbeit“ oder „weniger Politiker“ gefordert werden. In den meisten Fällen ist eine Demonstration im UK ein Paradebeispiel „repressiver Toleranz“ und es stört sich niemand, wenn ein paar hunderte oder tausende durch die Straßen ziehen. Selbst die Polizei nimmt viele dieser Proteste erstaunlich entspannt, ja unterstützt sogar hier und da schon mal die Demonstrierenden in organisatorischen Fragen. Immerhin, kann die Sitzblockade auch später noch beseitigt werden und radikale Linke oder Schwarze Blöcke sind meist eher überschaubar und zwar nicht willkommen, aber immerhin geduldet.
In diesem Klima ist im UK über die Jahre hinweg etwas entstanden, was zumindest in Göttingen nicht üblich ist: dauerhafte, umfangreiche und vernetzte Strukturen bis weit in die bürgerliche Gesellschaft, bei der erstmal alle Teil „einer Sache“ sind und Aufrufe mit einem „Wir sind…“ beginnen, ohne das dabei diese oder jene Gruppe nicht mitgedacht wäre oder ein innerlinker Streit mitklingen würde. So gruselig dieser Kuschelkurs mitunter ist, so hat er dennoch Strukturen und Erfahrungen hervorgebracht, die gerade jetzt spannend werden könnte.
Immerhin treffen die Einschnitte in Bildungs-, Gesundheits- und Sozialsystem, welche von der konservativ-liberale Regierung derzeit durchsetzt werden, nicht nur alterfahrene Aktivist*Innen, sondern viele Studierende, Angestellte und andere Kürzungsbetroffene, für die politischer Widerstand noch völliges Neuland ist. Wo es noch keine vier oder fünf Bildungsstreiks gab und die letzte größere Mobilisierung Jahrzehnte zurückliegt, ist auch Gewöhnung noch nicht eingetroffen. Mit eben diesem Elan beteiligen sie nun viele an den Protesten und werden dabei von anti-cuts-Gruppen im ganzen Land mit offenen Armen empfangen. Selbst in sonst eher verschlafenen Kleinstädten engagieren sich Menschen gegen die LibCon-Politik und sind umso empörter, wenn ein mehr an Protest nun auch von der Polizei mit einem mehr an Repression begegnet wird. Der Anfang ist daher nicht wesentlich anders als bei Bildungsstreiks und gemeinsamen Protesten gegen Kürzungen in Deutschland. Ob, und wenn ja gegen wen, sich diese Bewegung allerdings radikalisieren wird, bleibt jedoch abzuwarten.
Eine zwar zum Teil treffende aber zusätzlich auch sehr, sehr einseitige Betrachtung der sozialen Bewegungen in U.K. „Wie gut wir es hier in Doitschland haben“, drängt sich der Gedanke auf. Ausgeblendet werden da mal gerade pauschal die wichtigsten Kämpfe die dort in den letzten Jahren geführt wurden: Um Social Center die um ein Vielfaches mehr „grassroots“ sind als der Sumpf um autonome Zentren in Germoney. Die zwar widersprüchliche aber sehr begeisternde Bewegung für Klimagerechtigkeit mit ihre Camps for Climate Action. Auch analytisch sehr gute Zines werden nicht erwähnt wie z.B. das Shift Magazine, Occupied London etc… Schade, schade. Auch wenn mensch sich aus U.K. wenig analytisch abschauen kann so sind die sozialen Bewegungen dort, was die politische Praxis, also hierarchiefreie Organisierung, miteinbeziehen „der Bürger“, Selbstorganisierung im Alltag und D.I.Y. und das Zusammendenken verschiedener Kämpfe angeht, um ein Vielfaches weiter.
Schade wie schnell da einfach aus deutscher Perspektive undifferenziert rumgebasht wird… Das nächste mal vielleicht besser recherchieren oder einfach tiefer Einsteigen in die Bewegungen in U.K…. Und den Ball flach halten.
Links zum Thema:
http://shiftmag.co.uk/?p=333
http://socialcentresnetwork.wordpress.com/
http://www.radicalroutes.org.uk/
http://www.climatecamp.org.uk/
Danke für den Kommentar. Vielleicht war die Bewegung im UK in der ich fast drei Jahre eingebunden war einfach nicht Repräsentativ oder meine Freund*Innen bei Principia Dialectica sind unterinformiert, aber ein ganz so unrecherchierter und unreflektierter beitrag ist dies mitnichten. Shift und co waren in meinem Bekannt*Innenkreis allerdings nicht verbreitet, sondern eben eher Class War oder Oxfam oder Libcom…
Ja, es stimmt. was Selbstorganisation und grassroots angeht, kann die Bewegung im UK einiges mehr als es hierzulande der Fall ist, nebenbei bemerkt dem einzig anderem Vergleichsmoment das ich habe also kann ich nur Deutschland – UK schreiben, auch wenn das natürlich den beigeschmack von „wir“ und „die“ hat. Die Frage, die sich m.E. trotzdem noch stellt bleibt: Wofür und mit welchen Inhalten werden denn da grassroots, camps und centres vernetzt und mobilisiert?
Diejenigen „Grossbewegungen“, die mir begegnet sind hatten ausser bedingungslose Palästina-Solidarität, Banken-Hass und einer aktionistischen Einheitsfront/Mehr-Werden Mentalität nicht viel auf dem Kasten und haben dementsprechen auch zu fragwürdigen Aktionen aufgerufen.
Wie gesagt, dass „die Bewegung“ im UK wesentlich leichter und besser organisiert eine Menge auf die Beine stellt, würde ich nie leugnen und hätte es -zugegeben- im vorletzten Artikel auch noch mal deutlicher machen können und selbst solidarischer sein. Allerdings ist mir irgendwann die Lust am politischen Arbeiten vor lauter „gut gegen böse“-Parolen einfach verloren gegangen. Was also nach bashing klingt, ist in Teilen einfach aus Erfahrung gewachsener Frust und Resignation.