Frigga Haug
Vier Schritte vor und einen zurück
von Braiiins am 20. März 2011 veröffentlicht in Soziale BewegungenVergangenen Freitag stellte die Feministin Frigga Haug auf Einladung der Gewerkschaft ver.di ihre „Vier-in-einem-Perspektive“ in Göttingen vor. Dahinter verbirgt sich ein Konzept, bei dem Arbeit neu verteilt und damit Geschlechterungleichheiten abgeschafft werden sollen. Statt viel männlich konnotierter Lohnarbeit und wenig Zeit für den Rest will Haug den Tag in vier mal vier Stunden für Erwerb, Reproduktion, Kultur und Politik einteilen. Ein Veranstaltungsbericht.
Vieles hat sich getan in den letzten hundert Jahren, aber es wird immer wieder deutlich, dass der Weg noch lange nicht zu Ende beschritten ist und es noch etliche Kämpfe zu kämpfen gilt. So auch beim Vortrag am vergangenen Freitag, zu dem Verdi Frigga Haug eingeladen hatte, um ihre „Vier-in-einem-Perspektive“ vorzustellen. Der Andrang war mit ca. 60-70 Besucher*Innen groß genug, um neben den zahlreichen aufgestellten und nachgeholten Stühlen auch einige Tische zu füllen, kurzum bestes Vortragsklima. Verwundern wird dies wenige, immerhin ist Frigga seit den 68ern in der Frauenbewegung aktiv, lehrte noch bis vor zehn Jahren an der Uni Hamburg als Soziologieprofessorin und veröffentlichte –teils alleine, teils als Herausgeberin- zahlreiche Bücher und Artikel, so z.B. in „Das Argument“ oder im „Forum Kritische Psychologie“. Sie als Urgestein der Frauenbewegung zu bezeichnen, würde ihr kaum gerecht werden. Auch wenn sie die Geschichte der Frauenbewegung seit Jahrzehnten begleitet, ist sie weit davon entfernt, selbst ein Teil davon zu sein.
Alleine ihren derzeitigen Vortrag, der auf einem 2008 erschienen, gleichnamigen Buch basiert, trug sie seither „bestimmt schon über 60 mal“ vor Gewerkschaften, Parteien, NGO und anderen vor. Und es macht Spaß, ihr zuzuhören. Im Gegensatz zu anderen, ist ihr Stil verständlich, zugänglich und mit einem subtilen Humor gespickt; keine Theoriewüste vom Blatt abgelesen. Der Weg zu ihrer Vier-in-einem Perspektive beginnt sprichwörtlich als Milchmädchenrechnung, will meinen mit der Lebensgeschichte einer noch sehr jungen Frigga. Deren Freude an der „Arbeit der Erwachsenen“ in Form des Milchholens wurde ihr nur all zu schnell zur Last und die sich fortan von Arbeit zugleich angezogen und abgestoßen fühlte, ein Widerspruch der ihr Leben begleitete und nicht zuletzt ihren Schwerpunkt in der Arbeitsforschung begründete. Auch ansonsten, ist die Theoriebildung bei ihr in eigene Erfajrungen eingebettet, so ebnen unter anderem die wenig erfüllenden Stunden als eine Mutter unter vielen am Spielplatzrand die Zeit für Kinder aufbringend und sich ihrer doch beraubt fühlen den Weg in die Frauenforschung. Die Erkenntnisse aus beiden Bereichen und den Forschungsjahren verdichteten sich, über Zwischenschritte versteht sich, im aktuellsten Fazit: eben der Vier-in-einem-Perspektive.
Was also verbirgt sich dahinter? In der Kurzfassung ein Konzept, dessen Erklärung leichter fallen dürfte, als die Umsetzung: Anstatt nur die Erwerbsarbeit als „Arbeit“ anzuerkennen und alles andere auszugrenzen und abzuwerten, sollen fortan alle wichtigen Bereiche als „Arbeit“ anerkannt werden, auch bzw. gerade jene die traditionell weiblich konnotiert sind. Aus einer „Arbeit“ werden vier, Erwerbsarbeit, Reproduktionsarbeit, Politische Arbeit und Kulturelle Arbeit. Alle bekommen einen gleichen Anteil der angenommenen 16 Wachstunden des Tages: vier Arbeiten = ein Tag. So, hofft Frigga Haug, ließe sich das Recht auf Arbeit endlich für Alle durchsetzen und wir könnten alle die je einzelnen Tätigkeitsbereiche wertschätzen lernen und gewönnen daran: vier Stunden Erwerbsarbeit und danach Cello lernen, Leben sichern, Welt verändern. Da sich gerade die erste Arbeit gerne als Männerdomäne geriert, braucht es zum erstreiten der anderen drei in erster Linie eine weibliche Perspektive und so würde dann qua gesellschaftlicher Anerkennung von „Frauenarbeit“ auch die Unterdrückung angegangen; wenn alle Kochen, Putzen und Schuften, ist zumindest ein großer Hebel ins Getriebe von Kapitalismus und Patriarchat getrieben.
Große Zustimmung würde ihr Konzept finden, versichert die Vortragende, durch alle Bereiche würde es dankend und als das „wonach schon immer gesucht worden war“ angenommen… naja, zumindest häufig. Bei Gewerkschaftlern käme bei der Forderung nach weniger Arbeit sofort die Reflexparole „voller Lohnausgleich“ und im allgemeinen wären gerade die Privilegierten eher unwillig, ihre Arbeit abzugeben. Als hätte sie eigens dafür selbst Komparsen mitgebracht, beeilten sich die Anwesen zumindest einige der Klischees zur Gänze zu bedienen und bei der abschließenden Diskussion fragte mensch sich mehr als einmal, ob die Diskussionen der letzten 40 Jahre sich noch nicht weitläufig genug herumgesprochen hatten.
Frigga selbst kann es, wenn auch mit leichtem Bauchgrimmen, verziehen werden, dass sie heute eher in Ungnade gefallene Wörter wie „Völker“ noch im Sprachgebrauch führt. Solch ‚angestaubten‘ Begriffen zum Trotz reagiert Frigga auf Fragen nicht mit einer theoretischen Perspektive vergangener Tage, sondern setzt sich bspw sehr aktiv und differenziert mit Verfechter*Innen des Grundeinkommes sowohl am Abend selbst, als auch ansonsten, auseinander und versteht unter Frauenpolitik auch keinen Klassenkampf der Geschlechter. Dem Publikum war eine vergleichbar kritisch, reflektierte Grundhaltung leider nicht immer beschieden. Wenn Teilnehmer*Innen sich im Jahre 2011 ernsthaft auf die Suche nach der Essenz des Weiblichen und matriarchalen Ökonomien machen wollen, um die Welt an Frauenwesen genesen zu lassen, erscheint das ebenso bizarr, wie die Forderung anderer Anwesender danach, doch bitte vor der Frauenfrage erst einmal die Fabriken in die Hände der Arbeiterklasse bringen zu wollen. Welche Arbeiter, wollen denn heutzutage noch groß Fabriken in die Hand nehmen? Die Ich-AG wäre da sozusagen neoliberales und leninistisches Erfolgskonzept in einem.
Doch Spaß beiseite, ein Beharren auf Frauenperspektiven einerseits und das von den anwesenden Silberrücken der Marx-Engels-Exegese polternd, raumnehmenden vorgetragene „Argument“, queere, trans* und inter*sexuelle Identitäten seien Nebenschauplatz und es gälte sich der Klassenfrage, dem Imperialismus und den Profiteuren dieser Welt zu widmen, lässt eine kritische Auseinandersetzung damit, ob ein Festhalten an Arbeit als der Linken liebstes Kind vorerst wohl auf die Warteliste wandern, direkt unter den Punkt „1917 ist vorbei“. Besonders bedauerlich hierbei, dass das alleinige Hinweisen auf aggressives Redeverhalten, andere Sichtweisen auf Arbeit und Geschlecht von einigen der Anwesenden bereits im Keim erstickt wurde, so dass die Art und Weise einer Diskussion über die „weibliche Perspektive“ und Frauenpolitik letztlich doch von den lautesten Männern im Raum vorgegeben wurde. Den treffendsten Kommentar formulierte dann eine der Anwesenden: „Sich von so was nicht unterkriegen lassen.“
Der Vortrag stand in einer Reihe von Veranstaltungen im Zeichen des Frauenkampftages, welcher sich dieses Jahr zum 100. mal jährt: Aktionen in der Innenstadt am 8. März, Frauen*Lesben*Transparty, feministische Karaoke im Kabele, der demonstrative Stadtrundgang am 19. März.
hallo, danke für die Zusammenfassung. Ich gebe Dir recht, dass die Diskussion leider deutlich machte, dass an einigen (leider auch jüngeren linken Männern), die jahrzehntelange feministische Kritik am lohnarbeitszentrierten Arbeitsbegriff komplett vorbeigegangen zu sein scheint….
Die Wiedergabe von Friggas Äußerung zum Theme Matriarchatsökonomie als postive Bezugnahme auf essentialistsiche Weiblichkeit halte ich für ein massives Missverständis und bitte es zu korrigieren. Eine TN fragte nach möglichen Bezügen der 4 in einem Perspektive zu soclhen Matrichatsökonomien, und – sinngemäß – ob sich das ganze nicht von selbst erledige, wenn Frauen das Sagen hätten. Daraufhin antwortete sie – sinngemäß – dass sie eine positive Bezugnahme auf Weiblichkeit als Grundlage für Kritik für essentialistisch erachte. Sie hat den Begriff wie ich finde eindeutig nicht in affirmativer sondern kritischer Absicht verwendet, aber deutlich gemacht, dass sie sich mit den vergeschlechtlichten ökonomischen Strukturen in solchen als Matriarchatsökonomien betitelten Gebieten befasst habe und dazu einen link genannt.
Danke für’s Kommentar, da habe ich wirklich daneben gegriffen und nicht deutlich genug gemacht, dass es Stimmen aus dem Publikum waren, die nach Matriarchatsökonomie und Klassenkampf fragten, plus das Frigga sich von beidem selbst kritisch distanzierte. Habe ich nachgebessert.