Junges Theater präsentiert Oleanna

Von Antifeminismus und Political Correctness
von am 7. Dezember 2012 veröffentlicht in Theater, Titelstory

Oleanna ObenSeit dem 21. November läuft die Inszenierung Oleanna – Ein Machtspiel im Jungen Theater Göttingen (JT). Das Stück wurde Anfang der 90er Jahre von dem US-amerikanischen Autor David Mamet geschrieben. Oleanna ist ein politisches Kammerspiel, das von der Studentin Carol (Henrike Richters) und dem Professor John (Jan Reinartz) handelt. Thematisiert wird vor allem Macht, im Sinne von universitären Abhängigkeitsverhältnissen, Geschlecht und akademischer Sprache. Höhepunkt des Stücks ist Carols ungerechtfertigter Vergewaltigungsvorwurf gegen ihren Dozenten John. An ausgewählten Terminen findet die Aufführung im Hörsaal AP26 der Uni Göttingen statt.

Politkammerspiel an der Uni

„Lassen sie mich los! Fassen sie mich nicht an!“, schreit Carol ihren Professor im 2. von insgesamt drei Akten an. Er versucht sie vehement daran zu hindern sein Büro zu verlassen. Die Stimmung der Zuschauer_innen ist zu diesem Zeitpunkt spürbar angespannt, als John Carol an den Armen packt und in einen Stuhl presst. „Lassen sie mich los!“, schreit Carol erneut.
Mamets Stück handelt von einer Studentin, die anfangs verzweifelt ihren Professor aufsucht, da sie in seinem Seminar durchzufallen droht. Nachdem dieser ihr private Nachhilfestunden anbietet entwickelt sich das Verhältnis zwischen den beiden allmählich zu einem Desaster. John verletzt Carols Grenzen, die zu Beginn des Stücks verschüchtert und naiv dargestellt wird. Im weiteren Verlauf wandelt sich Carol jedoch von einem verschüchterten Mädchen in eine rachsüchtige und autoritäre Verfechterin ihrer Ziele. Sie benutzt Johns Übergriffe um ihn damit zu erpressen und erfindet eine versuchte Vergewaltigung.

Unkommentierter Antifeminismus

Erfundene Vergewaltigungsvorwürfe sind auch in den Medien hin und wieder zu finden. Gerade erst in den Fällen Kackelmann oder Strauss-Kahn konnte man verfolgen, wie öffentliches Victim Blaming funktioniert: „Das hat die sich doch nur ausgedacht um ihn bewusst zu schaden, da geht’s doch nur um ihren persönlichen Vorteil“, oder „Die ist doch eh selbst schuld gewesen“. Doch sieht die Realität anders aus, denn es kommt so gut wie nie vor, dass Betroffene von sexualisierter Gewalt sich diese Vorwürfe ausgedacht haben. Viel schlimmer noch: vergleicht man die statistischen Zahlen zu sexualisierter Gewalt mit den tatsächlichen Anzeigen, dann wird schnell deutlich, dass es sehr selten zu einer solchen Anzeige kommt. Offen über sexualisierte Gewalt zu sprechen ist in unserer Gesellschaft kein Vergnügen, womit wir wieder beim Fall Kachelmann angelangt wären.

Zahlen und Fakten zu sexualisierter Gewalt:
Mindestens jede siebte Frau wird Opfer von Vergewaltigung oder sexueller Nötigung. Jede vierte Frau wird Opfer von körperlicher und/oder sexueller Gewalt durch einen Partner oder Ex-Partner:
Frauennotruf
Eine Europaweite Studie ergab, dass mindestens jede zweite Studentin während ihres Studiums von sexueller Belästigung betroffen ist. Jede zehnte gab an sexuelle Gewalt erlebt zu haben:
Hier gehts zur Studie

Auch die Universität ist Teil dieser Gesellschaft, in der sexuelle Übergriffe zum Alltag und weniger zur Ausnahme gehören. Eine aktuelle Studie belegt, dass mindestens jede zweite Studentin von sexueller Belästigung betroffen ist. Doch werden so gut wie keine Fälle gemeldet, oder gar angezeigt. Laut des Gleichstellungsbüros der Uni ist es durchschnittlich ein Fall pro Jahr, der offiziell gemeldet wird. Zu groß ist die Angst der Betroffenen vor den Reaktionen. Mit Olenanna bringt das JT das Thema sexualisierte Gewalt an die Uni. Die Perspektive ist jedoch erschreckend, denn das Publikum darf ca. 80 Minuten Zeugin eines Machtkampfes werden, der durch den vermeintlich erfundenen Vergewaltigungsvorwurf ein heikles Statement transportiert.
Schon die Figur der Carol ist lückenhaft, man erfährt eigentlich gar nicht wer sie ist. Das erweckt von vornherein Misstrauen. Im 1. Akt noch klein und dümmlich wirkt sie im 2. Akt bereits hart und selbstbewusst. Plötzlich bezieht sie Stellung zu den Übergriffen und erwähnt, dass sie Mitglied in einer (feministischen?) Gruppe ist. Dieser charakterliche Wandel ist schwer nachvollziehbar und Spekulationen über eine geplante Intrige bietet eine sinnvolle Erklärung. Dadurch ergibt sich das Bild einer machtsüchtigen und unberechenbaren Protagonistin, die ihre Anschuldigungen für ihre politischen Ziele instrumentalisiert. Mamets Stück ist von Anfang bis Ende von antifeministischen Mythen und Klischees durchzogen.

Carol und John besprechen die Anzeige
Carol und John besprechen die Anzeige

Status Quo

Johns Figur widmet Mamet ein wenig mehr der Sympathie. Als Carol ihn um Hilfe bittet ist er schnell bereit seinen Feierabend hinauszuzögern. Der Anfang des Stücks ist voll von Johns akademischen Phrasen und biografischen Erlebnissen. So fällt es dem Publikum nicht schwer sich ein geschlossenes Bild von ihm zu machen. Aber auch wenn es für die Zuschauer_innen einfacher ist sich in John hinein zu versetzen ist er nicht frei von Unschuld. Seine Sprache ist durchzogen von sexistischen und rassistischen Vorurteilen, zudem ist er Anhänger eines elitären Bildungssystems und schreckt keinesfalls davor zurück sich Carol körperlich zu nähern. Es ist also keine reine schwarz-weiße Figurenzeichnung, mit der man in diesem Stück konfrontiert wird. Als Carol John im zweiten Akt beschuldigt ungeachtet Grenzen zu verletzen und eine unangemessene Sprache zu verwenden fällt es leicht ihr dieser Kritik zuzustimmen. An diesem Punkt hat Carol bereits ihre (bis dahin nachvollziehbare) Beschwerde bei der Berufungskommission eingelegt, was Johns ordentliche Professur gefährdet. Sein Anliegen ist nun Carol davon zu überzeugen, dass sie die Anschuldigungen zurück nimmt: „Ich habe ein Interesse am Status Quo, das gebe ich zu“. Die Situation zwischen den beiden schaukelt sich solange hoch, bis es zu den Vergewaltigungsanschuldigungen kommt. Daraufhin wirft John ihr vor, dass sie aufgrund ihrer „Political Correctness“ sein Leben zerstört. Politische Korrektheit wird bei Mamet als konservative Befürchtung dargestellt, dass eine Person, der ein politisches Fehlverhalten zugeschrieben wird, mit Zensur gestraft wird. So bietet Carol John einen Deal an, dass sie die Vorwürfe zurück nimmt, wenn er für seine weitere Lehre einer zensierten Literaturliste zustimmt, die sie mit ihrer Gruppe erarbeitet hat.

(K-)Ein Statement vom JT

Das Theater hat durch die Auswahl der Stücke einen Einfluss auf politische Diskurse. Im Ankündigungstext des Stückes lautet es: „Oleanna ist ein irritierendes, provozierendes Stück, welches sich hervorragend dazu eignet, die hierarchischen und patriarchalen (Sprach-)Strukturen der Gesellschaft kritisch zu reflektieren.“ Da ist die Frage schnell bei der Hand welche Strukturen dem JT denn hier vorschweben? Das Stück lädt weniger dazu ein die patriarchalen und hierarchischen Strukturen zu reflektieren, sondern schockt das Publikum mit einer rachsüchtigen Studentin, die sich nicht davor scheut Grenzen zu verletzen um ihre Ziele durchzusetzen. Der Dramaturg Udo Eidinger erklärt die problematische Perspektive als ein gängiges Phänomen, da „Präzedenzfälle generell immer spannender sind und Täter im öffentlichen Diskurs eher Faszination hervorrufen als die Opfer. Außerdem werden beide als Täter dargestellt.“ Durch den erfundenen Vergewaltigungsvorwurf wird Carol jedoch als „schlimmere“ Täterin empfunden, obwohl sie im Gegensatz zu John Betroffene unterschiedlicher Machtstruktur ist. Außerdem sieht Eidinger großen Interpretationsraum darin, was für eine Art Vergewaltigung Carol hier angezeigt hat: „Es hat vielleicht keine rein körperliche Vergewaltigung stattgefunden, aber eine psychische, oder symbolische. Es spielt außerdem keine Rolle, ob John sie körperlich vergewaltigt oder nicht.“ Es ist fraglich ob die Zuschauer_innen dieser Interpretation folgen und trotzdem bliebe die Frage offen, ob Carols Vorgehen legitim ist. In Oleanna wird ein verzerrtes und vorurteilsbelastetes Bild von Feministinnen und Vergewaltigungen reproduziert, was zu keiner Zeit der Aufführung aufgelöst wird. Für den Diskurs zu sexualisierter Gewalt ist es bedenklich ein solches Stück zu inszenieren.
Für die letzte Aufführung im AP26 am 17.01. ist ein Nachgespräch mit Expert_innen zum Thema sexualisierte Gewalt angesetzt.

Schauspieler_innen: Henrike Richters, Jan Reinartz
Regie: Ina Annett Keppel
Ausstattung: Axel Theune
Dramaturgie: Udo Eidinger

Pressespiegel zum Stück:

Kritischer Kommentar auf LitLog
Premierenkritik vom Göttinger Tageblatt
Premierenkritik von der HNA

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