Brief an den Innenminister

Anti-Atom-Initiative fordert Ablösung von Polizeipräsident Kruse
von am 29. Mai 2013 veröffentlicht in Kurzmeldungen

Die Göttinger Anti-Atom-Initiative hat in einem offenen Brief an den niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius die Ablösung des Göttinger Polizeipräsidenten Robert Kruse gefordert.

Man sehe sich in dem kürzlich veröffentlichen Bericht zur Kriminalstatistik zu Unrecht der Gewalt bezichtigt, da er friedliche Sitzblockaden als kriminelle Akte hinstelle. Außerdem stelle Kruse mit einigen Äußerungen die Anti-Atom-Initiative mit Rechtsextremisten auf eine Stufe. Aus diesen Gründen sei er nicht länger tragbar und solle ausgewechselt werden. Der Brief ist Pistorius Anfang der Woche zugegangen.

Hier der Brief im Wortlaut:

„Offener Brief an den niedersächsischen Innenminister Herrn Boris Pistorius

Sehr geehrter Herr Pistorius,

als Initiative von Bürger/innen gegen die Nutzung der Atomkraft setzten wir uns seit Jahren für die sofortige Abschaltung aller Atomanlagen ein. Unser Protest wird von Menschen unterschiedlichster Sozialisation und Alters getragen. Wir betrachten uns als Teil der überregionalen und internationalen Anti-Atom-Bewegung, setzten unsere Themenbereiche allerdings lokal an. Daher protestieren wir aktiv gegen das benachbarte Atomkraftwerk Grohnde und insbesondere gegen den Einsatz von plutoniumhaltigen Mox-Brennelementen.

In diesem Zusammenhang haben wir mit großer Überraschung die Presseinformation der Göttinger Polizei „Anstieg von rechter und linker Gewalt/ Polizeidirektion Göttingen veröffentlicht Zahlen zur politisch motivierten Kriminalität“ gelesen, in der Polizeipräsident Robert Kruse über vermeintliche linke Kriminalität berichtet:

„Ein Schwerpunkt linker Straftaten habe sich nach Angaben des Polizeipräsidenten im Zuständigkeitsbereich der Inspektion Hameln-Pyrmont/Holzminden herausgebildet. Das sei laut Kruse den inzwischen zahlreichen, leider nicht immer friedlich verlaufenden versammlungsrechtlichen Aktionen in Emmerthal am Kraftwerk Grohnde, insbesondere im Rahmen der Transporte radioaktiver Brennelemente, geschuldet.“

Dass friedlicher Widerstand gegen Mox-Brennelemente von Herrn Kruse als linke Kriminalität bezeichnet wird, ist unglaublich. Ganze Bundesländer unterstützten damals diesen Protest, und Bremen verweigerte sogar aus Sicherheitsgründen das Anlanden an den dortigen Häfen.

Als aktiv beteiligte Atomkraftgegner/-innen finden wir uns gleich in einem Topf mit den im gleichen Satz genannten rechten Gewalttätern wieder:

„Dies beinhaltet auch in Zukunft das konsequente Vorgehen gegen alle politisch motivierten Straftäter unabhängig von ihrer jeweiligen weltanschaulichen Ausrichtungen.“

Eine unerträgliche Gleichsetzung, insbesondere kurz nach dem Beginn der NSU-Prozesse. Vermeintlich linke Gewalt steht also immer noch oben auf der Agenda des ehemaligen Verfassungsschützers Kruse.

Die Herbeiredung linker Gewaltbereitschaft gehört seit Jahren zur Leitlinie der Polizeidirektion Göttingen (im Zusammenspiel mit dem ehemaligen Niedersächsischen Polizeipräsidenten Hans Wargel). Hierdurch ergibt sich eine scheinbare Legitimation zu hartem Vorgehen gegen die linke „Szene“. Damit, dass in Göttingen ein linksextremistischer Schwerpunkt liege, wurde auch die Stationierung einer eigenen Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit für Göttingen begründet. Diese BFE wurde 2012 regelmäßig gegen Studierendenproteste sowie auch gegen Anti-Atom-Proteste in Göttingen und vor dem AKW Grohnde (hier löste sie im Oktober 2012 eine spontane Sitzblockade gewaltsam auf) eingesetzt.

Für uns  wäre es interessant zu wissen, welche Grohnde-Proteste nicht friedlich verlaufen sind oder wie Gewalt bzw. Kriminalität von der Göttinger Polizei definiert wird. Für Herrn Kruse stellen scheinbar schon Sitzblockaden Kriminalität dar. Dies ist ein Rückgriff in die 80er Jahre und wurde aktuell durch Gerichte mehr als einmal eindeutig geklärt. Selbst wenn Straßenblockaden als nicht mit dem Demonstrationsrecht vereinbar angesehen werden, so werden sie juristisch als Ordnungswidrigkeit, nicht aber als Straftat gewertet.

Aber wenn ein Gericht Angeklagte freispricht, dann sind diese im Sinne von Herrn Kruse noch lange nicht unschuldig:

„Für Kruse ist besonders erwähnenswert, dass von den insgesamt 96 linksmotivierten Straftaten im Bereich der Polizeiinspektion Göttingen allein 17 Delikte im Zusammenhang mit dem Polizeieinsatz bei der Veranstaltung des RCDS mit dem damaligen niedersächsischen Innenminister Uwe Schünemann im Januar 2012 in der Universität Göttingen stehen.“

Diese 17 Delikte werden also unter linker Kriminalität aufgeführt, obwohl einige Zeilen später zu lesen ist:

„Insgesamt hat der Einsatz 17 Strafverfahren gegen Demonstrationsteilnehmer nach sich gezogen, von denen fünf zu Verurteilungen führten.“

Entsprechend führten zwölf Verfahren nicht zu einer Verurteilung. Trotzdem tauchen die Freigesprochenen als „linke Kriminelle“ in der Statistik auf. Wenn auf den folgenden Satz die gleiche Logik angewendet wird:

„…Auch gegen Polizeibeamte dieses Einsatzes sind sieben Strafanzeigen wegen Körperverletzung im Amt erstattet worden. Alle diese Ermittlungsverfahren sind jedoch eingestellt worden…“, dann sollten in der Statistik mindestens sieben politische Gewalttäter auf Seiten der Polizei aufgeführt werden.

Ganz offensichtlich werden irrtümlich eingeleitete und später ohne Verurteilung eingestellte Strafverfahren in dieser Statistik berücksichtigt. Nur so ist auch zu erklären, warum der Protest am AKW Grohnde als vermeintlicher Schwerpunkt von Straftaten genannt wird. Vermutlich wissen nicht einmal alle betroffenen Atomkraftgegner/innen, dass vorübergehend gegen sie ermittelt wurde.

Hieraus zeigt sich, dass die Polizeistatistik „geschönt“ worden ist, um eine besorgniserregend hohe politische Kriminalität zu suggerieren und damit harte Polizeieinsätze à la Kruse zu rechtfertigen. Ein Beispiel hierfür ist der BFE-Einsatz bei der Schünemann-Veranstaltung.

Aussagekraft hat diese „krusische“ Statistik aber nur in Bezug auf die hohe Quote unbegründet eingeleiteter Strafverfahren bei vermeintlich linken Protestaktionen. Das zeigte sich deutlich beim kürzlich auf Antrag der Staatsanwaltschaft eingestellten Verfahren gegen die Atomkraftgegnerin Cecile Lecomte.

Die Probleme mit dem Polizeipräsidenten Kruse gibt es leider schon seit Jahren. Auch bürgerliche Presse und kommunale Gremien haben in der Vergangenheit heftige Kritik am Vorgehen der Verantwortlichen der Göttinger Polizei geäußert.

Die Leitung der Göttinger Polizei scheint für sich ein politisches Mandat einzunehmen, welches aus gutem Grund durch die Verfassung ausgeschlossen wird. Die Zeiten, in denen eine politische Polizei ihr Unwesen trieb, sollten eigentlich lange hinter uns liegen, das lehrt uns unsere gemeinsame Geschichte.

In unserer Gesellschaft wird es immer Konflikte geben, welche auf politischer Ebene gelöst werden müssen. Das kann und darf nicht die Aufgabe einer Polizeiführung sein. Diese Grenze wurde und wird von Herrn Kruse ständig durchbrochen. Wir fordern daher die sofortige Ablösung des Göttinger Polizeipräsidenten.

Gerne stehen wir zur weiteren Diskussion zur Verfügung.

Mit atomfreien Grüßen

Ihre Anti-Atom-Initiative Göttingen“

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Ein Kommentar auf "Anti-Atom-Initiative fordert Ablösung von Polizeipräsident Kruse"

  1. mussausgefuelltwerden sagt:

    Der Offene Brief an den niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius mit der Forderung nach Amtsenthebung des Ex-Verfassungsschützers und aktuellen (noch-) Polizeipräsidenten Robert Kruse kann auch weiterhin unterstützt werden!

    Einzelpersonen können sich selbst ganz einfach
    hier eintragen, Gruppen und Nichtregierungsorganisationen (NROs) schreiben eine kurze Nachricht per Mail an brief|ät|anti-atom-initiative-goettingen.de.

    Unterstützt zahlreich!

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