Der KZ-Vergleich Lothar Kochs
Mehr als nur eine „spontane“ Entgleisung
von hank scorpio am 3. Februar 2012 veröffentlicht in featured, HintergrundFür einigen Wirbel hat ein KZ-Vergleich des Duderstädter Ehrenbürgermeisters und Landtagsabgeordneten Lothar Koch (CDU) im Dezember 2011 gesorgt. Die Geschichtswerkstatt Duderstadt kritisierte Koch und die Stadt und pochte auf eine inhaltliche Distanzierung. Die Verharmlosung von NS-Verbrechen sei nicht mit dem offiziellen Gedenken der Stadt an die Opfer des Nationalsozialismus vom 27. Januar vereinbar. Den Weg in die Öffentlichkeit suchte die Geschichtswerkstatt über das Eichsfelder Tageblatt, doch das ET weigerte sich aus verschiedenen Gründen die Stellungnahmen des Vereins zu veröffentlichen.
Eigentlich sollte am 12. Dezember 2011 in der Ratssitzung der Stadt Duderstadt über Denkmalschutz diskutiert werden. Doch die Debatte führte zwischenzeitlich zu einem Eklat, nachdem Lothar Koch den Fraktionsvorsitzenden der Grünen, Hans-Georg Schwedhelm, im Podium mehrfach durch Zwischenrufe störte. Als Schwedhelm den Ratsvorsitzenden Bernward Vollmer (CDU) bat, Koch zur Ordnung zu rufen, entgegnete Koch: „Ich bin hier doch nicht im KZ!“. „Was haben Sie gesagt?“, fragte Schwedhelm staunend. Dann bat der Grünen-Fraktionschef den Ratsvorsitzenden Vollmer, Koch für seine Aussage zu rügen. Vollmer entgegnete: „Sie haben doch das Wort. Fahren Sie mit Ihren Ausführungen fort.“ Schwedhelm verließ jedoch das Podium und setzte sich. Kurz darauf ergriff Koch das Wort um seine Äußerung nochmals zu erläutern: „KZ steht für mich für nicht vorhandene Gedanken- und Redefreiheit“ (Im Protokoll zur Ratssitzung wird dieser Vorfall nicht erwähnt). Am Folgetag entschuldigte sich Koch auf Anfrage des Eichsfelder Tageblatts mit den Worten: „Das war spontan, aber völlig unangemessen.“
Götz Hütt von der Geschichtswerkstatt Duderstadt erfuhr davon aus der Zeitung. Entrüstet schrieb er einen Leserbrief, der auf der Seite des Vereins zu finden ist. Das Eichsfelder Tageblatt hatte den Leserbrief nämlich nicht abgedruckt. Auf Anfrage von Monsters of Göttingen, entgegnete Ulrich Lottmann von der Redaktion des Eichsfelder Tageblatts, dass für Leserbriefe „kein Anspruch auf Veröffentlichung“ bestünde. In dem Brief heißt es wörtlich:
„Koch sagte weiter: „KZ steht für mich für nicht vorhandene Gedanken- und Redefreiheit.“ Für die Häftlinge dagegen bedeuteten die Konzentrationslager noch ganz anderes: Entwürdigung, Hunger, körperliche Gewalt, Massenmord. Die Äußerungen von Lothar Koch verharmlosen also das KZ-System auf unerträgliche Weise. Der CDU-Politiker kann sich deshalb nicht einfach mit der Floskel „völlig unangemessen“ aus der Affäre ziehen wollen, sondern muss seine Äußerungen inhaltlich begründet zurücknehmen, will er sein durch ihn selbst beschädigtes Ansehen als Volksvertreter im demokratischen Rechtsstaat wiederherstellen.“
Koch hüllt sich derweil in Schweigen. Für eine ausführliche Stellungnahme zu den Vorwürfen der Geschichtswerkstatt Duderstadt war er auf Anfrage bisher nicht zu erreichen. Sein Sprecher verwies auf den vollen Terminkalender des Landtagsabgeordneten. Hütt betonte gegenüber Monsters of Göttingen, dass Koch die Richtigkeit seiner Zitate in einem Telefonat mit ihm nicht bestritten hätte. Doch die Frage, ob er seiner Entschuldigung noch eine ausführliche, inhaltliche Stellungnahme hinzufügen wolle, oder ob die Debatte für ihn damit beendet sei, ist bisher nicht beantwortet.
Nachdem der Leserbrief keinen Weg in die Öffentlichkeit fand, wendete sich die Geschichtswerkstatt Duderstadt mit einer Pressemitteilung an das Eichsfelder Tageblatt. Darin wirft der Verein Koch eine gestörte Geschichtswahrnehmung vor. Auch der Ratsvorsitzende Vollmer wird dafür kritisiert, dass er Koch nicht gerügt habe (die SPD-Opposition im Stadtrat Duderstadt teilt diese Kritik und wirft Vollmer vor, nicht unparteiisch genug für sein Amt zu sein). Die hohen Vertreter der Stadt Duderstadt, Koch und Vollmer sollten ihr Verhalten unverzüglich revidieren, sonst sei das offizielle Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus am 27. Januar 2012 unglaubwürdig, heißt es weiter. Doch auch die Pressemitteilung der Geschichtswerkstatt Duderstadt wurde nicht abgedruckt. ET-Redakteur Lottmann begründet diesen Vorgang mit der Tatsache, dass darin nichts Neues stünde, da sie sich auf die Tageblatt-Berichterstattung beziehe. Lottmann zu Folge habe das Eichsfelder Tageblatt „ausführlich (am 14. Dezember, am 10. Januar und am 17. Januar) zur Sache und über deren Folgen berichtet“ und die Redaktion würde das auch in Zukunft tun. Die Geschichtswerkstatt beziehe sich in Ihren Stellungnahmen auf die Tageblatt-Berichterstattung und zitiere daraus, fügt Lottmann hinzu.
Am 27. Januar, dem offiziellen Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus, unternahm die Geschichtswerkstatt Duderstadt einen letzten Versuch, um die Öffentlichkeit auf den Widerspruch zwischen KZ-Vergleich und Opfergedenken aufmerksam zu machen. Der Verein versuchte eine Anzeige im Eichsfelder Tageblatt zu schalten. Darin heißt es: „Die Verharmlosung von Konzentrationslagern im Stadtrat durch Lothar Koch, gebilligt durch das Schweigen einer großen Mehrheit, ist unvereinbar mit der heutigen Gedenkfeier der Stadt für die Opfer des Nationalsozialismus und muss inhaltlich zurückgenommen werden.“ In der Ausgabe des Eichsfelder Tageblatts vom 27. Januar war diese Anzeige jedoch nicht zu finden. Wie auf der Homepage der Geschichtswerkstatt zu lesen ist, habe das Blatt diesen Schritt damit begründet, dass die Anzeige „meinungsbildend“ sei, was sich nicht mit der Überparteilichkeit der Zeitung vereinbaren lasse.
Die Frage drängt sich auf, warum politische Parteien in ihren Anzeigen meinungsbildend auf die Öffentlichkeit einwirken dürfen, ein Verein wie die Geschichtswerkstatt Duderstadt jedoch nicht. Misst das Eichsfelder Tageblatt hier mit zweierlei Maß? Lottmann vom ET verneint und verweist darauf, dass er nicht dazu berechtigt sei, „eine Entscheidung der Anzeigenabteilung zu kommentieren“. Die Sicht der Redaktion sei jedoch, dass Parteien „eine verfassungsrechtliche Aufgabe (Artikel 21 GG)“ erfüllten, was für die Geschichtswerkstatt Duderstadt nicht gelte, wobei deren „kulturelle und lokalhistorisch wichtige Funktion damit nicht in Abrede gestellt“ werden solle.
Inwiefern Vertreter politischer Parteien mit einer „verfassungsrechtlichen Aufgabe“ meinungsbildend auf die Öffentlichkeit einwirken dürfen, zeigt die Reaktion Wolfgang Noltes (CDU), Bürgermeister der Stadt Duderstadt. Wie einem Bericht des Stadtradio Göttingens zu entnehmen ist, verteidigte Nolte das offizielle Gedenken der Stadt und wies die wiederholte Kritik der Geschichtswerkstatt Duderstadt zurück: Er selbst „habe bei der Veranstaltung die zweifelsfreie Position der Stadtverwaltung sowie des Rates gegen eine Verharmlosung der Verbrechen der NS-Zeit dargelegt. Oberlehrerhafte Belehrungen seien Fehl am Platze. Weiter verwies Nolte darauf, dass Koch seine Äußerungen öffentlich bedauert habe und zudem überzeugend für die Mahn- und Erinnerungsarbeit stehe.“
Koch hat sich entschuldigt, keine Frage. Aber schöne Worte allein liefern noch keine Erklärung für sein Verhalten. Wenn einem langjährigen, erfahrenen Lokal- und Landespolitiker wie Lothar Koch „spontan“ ein KZ-Vergleich rausrutscht, zieht das seine „Mahn- und Erinnerungsarbeit“ sowie seinen politischen Stil jedenfalls in Zweifel. Dass die Kritik an einem KZ-Vergleich nicht durch politische Standardfloskeln zu beseitigen ist, zeigt ein Beispiel aus der Nachkriegsgeschichte. In der Abtreibungsdebatte wird und wurde regelmäßig der Auschwitz-Vergleich bemüht, wie etwa 1979 durch den CSU-Politiker Hartwig Holzgartner: „Die Nationalsozialisten haben die Juden getötet, und die internationalen Sozialisten töten ungeborenes Leben. Das, was in unserem Volke geschieht, ist exakt der Weg zurück nach Auschwitz“ (DER SPIEGEL, 13.8.1979, S. 31, in: Eitz/Stözel, Wörterbuch der „Vergangenheitsbewältigung“, Hildesheim 2007, S. 77). Edmund Stoiber nannte die Äußerungen seines Parteifreundes damals „sicherlich überzogen und unglücklich“ (DER SPIEGEL, 13.8.1979, S. 31, in: Ebd., S. 78). Kochs Rhetorik geht in eine ähnliche Richtung, wenn er seine Äußerung als „völlig unangemessen“ bezeichnet.
Die Forderung der Geschichtswerkstatt Duderstadt, dass Koch sich inhaltlich mit seinem KZ-Vergleich auseinandersetzen müsse, ist durchaus berechtigt. Die Notwendigkeit der inhaltlichen Auseinandersetzung zeigt auch das Beispiel Holzgartners. Mit politischen Standardfloskeln à la Edmund Stoiber ließ sich die Debatte um Holzgartners Auschwitz-Vergleich nicht einfach ad acta legen. Starkem politischen Druck ausgesetzt, sah er sich gezwungen, sich inhaltlich von seiner Aussage zu distanzieren: Um sein Bedauern zum Ausdruck zu bringen, zog er das Beispiel seines eigenen Vaters heran, der sieben Jahre im KZ saß (vgl. Ebd., S. 78).
Auch Helmut Kohl machte im Wahlkampf 1986/87 mit einem unrühmlichen Auschwitz-Vergleich von sich Reden. Seine Aussage „die DDR halte ‚über 2000 Gefangene in Konzentrationslagern“ hat DIE ZEIT damals folgendermaßen kommentiert: „Doch die Erinnerung an die KZs, an die Vernichtungsmaschinerie Hitlers, das paßt nicht einmal zu Bautzen. Auschwitz oder Treblinka entziehen sich vorerst – und hoffentlich auf Ewigkeiten – jedem Vergleich, zumal aus deutschen Munde.“ (DIE ZEIT, 9.1.1987, S. 1, in: Ebd., S. 79).
Koch reiht sich mit seinem Vergleich in eine lange Tradition von KZ-, beziehungsweise Auschwitz-Vergleichen seit 1945 ein. Er ist kein isolierter Einzelfall. Der Blick in die Nachkriegsgeschichte zeigt, mit wie viel Leichtsinn der KZ-Vergleich ständig bemüht wird und wurde und welche kontroversen Debatten solche Vergleiche nach sich ziehen. Allerdings besteht ein Unterschied darin, ob der KZ-Vergleich im Rahmen einer vermeintlich rationalen Argumentationskette, wie bei Holzgartner und Kohl, oder durch spontane Entgleisung, wie bei Koch, angewendet wird. Bleibt zu fragen, was schlimmer ist: Spontan und reflexartig oder rational kalkulierend zu entgleisen? In dieser Debatte gibt es zumindest noch einigen Klärungsbedarf.