Daniel Kulla
Einführung in die Entschwörungstheorie
von Rakete am 24. März 2011 veröffentlicht in Hintergrund„Niemand regiert die Welt“, sagt Daniel Kulla, professioneller Kritiker von Verschwörungstheorien. Am Freitag hält er an der Universität einen Vortrag zu seiner „Entschwörungstheorie“. Bei Monsters of Göttingen gibt er eine Einführung in die Thematik.
Verschwörungstheorien können ein lustiges Spielzeug sein, wenn sie nicht geglaubt werden. Warum jedoch werden Verschwörungstheorien so selten dekonstruiert und so oft gepusht?
Schon das bloße Wort Verschwörungstheorie muß der automatischen Verwendung entrissen werden. In vielen Diskussionen dient es dazu, bestimmte Positionen zu adeln oder eben der Betrachtung zu entziehen. Wenn beispielsweise zuletzt in einem Gespräch dreier als mehr oder weniger antideutsch Geltender in der Berliner Wochenzeitschrift „Jungle World“ Jürgen Elsässer vor einigen Jahren davon sprach, daß der Mossad von den Anschlägen an 9/11 wußte, dann hat er damit einen realen Sachverhalt wiedergegeben. Der Mossad wußte wohl, wie die meisten besser informierten Geheimdienste der westlichen Welt, daß die Gefahr islamistischer Anschläge auf dem Gebiet der USA bestanden (immerhin hatte es schon einen aufs WTC gegeben) und auch, daß al-Qaida mit ganz konkreten Plänen diese Anschläge vorbereitete.
Die Tatsache, daß der Mossad das wußte, was auch der CIA oder etwa der Verfassungsschutz wußte, ist selbst nicht antisemitisch oder verschwörungstheoretisch. Erst die Frage danach, was unter Hinzuziehung des Satzes „Die Juden sind unser Unglück“ aus dieser Tatsache wird, führt in den Sumpf. Der immerwährende Schuldvorwurf verleiht der simplen und banalen Tatsache das Moment des Mitwissertums, der Verstrickung. So bleibt festzuhalten, daß der Mossad auch ohne dieses Wissen der Mitwirkung an den Anschlägen bezichtigt worden wäre, weil er der Geheimdienst des Staates der Juden ist.
In diesem Fall ist die Lage also recht übersichtlich: Wir können Jürgen Elsässer das Faktum lassen, da es in jeder Zeitung stand und eigentlich recht unspektakulär bleibt.
Schwieriger wird es, wenn Fakten schlechter verifizierbar oder eben falsifizierbar sind; wenn Konspirationisten oder ihnen Denkverwandte aus Quellen schöpfen, die alle anderen eben nicht zu Rate ziehen, weil dort zu 99% Wahn und Desinformation zu finden ist; wenn diese Quellen dann jedoch Überraschendes präsentieren, das möglicherweise wirklich Korrekturen an offiziellen Versionen nahelegt. In diesen Momenten wird deutlich, woher die Verschwörungstheorien einen Teil ihrer Anziehungskraft auch auf kritische Intellektuelle beziehen: aus der Tradition der im Grunde sympathisch anti-positivistischen Quellendemokratie.i
In Göttingen stellt Kulla seine Thesen am Freitag, den 25.3. um 19.00 Uhr an der Universität, Oeconomicum Raum 0169, vor.
Für Feierwillige gibt es ab 22:30 im JUZI dann ein Konzert mit Classless Kulla, Istari Lasterfahrer und erstklassigem Breakcore („Nein, nein das ist nicht der Kommunismus“, „Wir hatten doch noch was vor“).
Die Frage muß also lauten: Was sind die Elemente der Verschwörungstheorie, die sie produktiv machen, was macht sie andererseits zu einem so nützlichen und flexiblen Tool der Feinderklärung, welche sich in den letzten Jahrhunderten, besonders im letzten Jahrhundert gerade in ihrer beliebigen Form meist mit tödlichen Folgen an die Juden richtete oder an als besonders „verjudet“ geltende Staaten – die frühe Sowjetunion, die USA, aber auch China, Japan, Frankreich oder Großbritannien? Wie erklärt sich also die Dialektik der breitestmöglichen Faktenbasis und der engen Kurzschlüsse, wie erklärt sich die Dialektik der totalen Verdächtigung in alle Richtungen und der schlußendlichen Bezichtigung der usual suspects Bush, Sharon and allied forces?
„Unter dem Vorwand der Unterstützung der Palästinenser zur ‚Befreiung Palästinas‘ haben die Ba’thisten den Irak mit ihrer Propagierung der Idee einer großen Mission der Araber in der Geschichte und später der islamischen Religion den Irak überschwemmt. Dabei spielte auch die permanente Bezugnahme auf Verschwörungstheorien eine wichtige Rolle. Ständig sahen die Ba’thisten das Land von zionistischen und imperialistischen Agenten bedroht. Deswegen mußten immer wieder neue Gruppen von ‚Verschwörern‘ gefunden werden, die dementsprechend öffentlich zu verfolgen waren.
Saddam Hussein persönlich litt an einer ‚Megalomanie‘, die sich in den quasi regierungsamtlichen Verschwörungstheorien wderspiegelte. Was mit der öffentlichen Hinrichtung angeblicher ‚zionistischer Agenten‘ begann, konnte schließlich auch Mitglieder der Ba’th-Partei selbst treffen. Saddam Hussein selbst behauptete, schon von der Absicht einer Verschwörung zu wissen, bevor es der Verschwörer selbst wußte. Er ging so weit, ‚Verschwörer‘ hinrichten zu lassen, weil er die Verschwörung in ihren Augen abgelesen hatte.“ii
So wie auch Antisemitismus keine wissenschaftliche Bezeichnung ist, sondern die Selbstbezeichnung einer Ideologie, sind Verschwörungstheorien eben auch keine Theorien im wissenschaftlichen Sinn. Vielmehr werden oft unter ausdrücklicher Feinderklärung an die wissenschaftliche Methode Indizien zu einer Hypothese verdichtet.
Historiker kennen Verschwörungen, aber die Ausweitung ihres Einflusses auf die gesamte Evolution würden sie ablehnen. Die Beschäftigung der Geschichtswissenschaften mit nachweisbaren Verschwörungen mag trocken sein, sie ist dennoch mindestens genauso lehrreich, da sie den enormen Einfluß von Verschwörungsgläubigkeit auf verschwörerisches Handeln gerade im 20. Jahrhundert zeigen kann. Die gefährlichsten realen Verschwörungen, in deren Kontext grundlegende Veränderungen der Gesellschaft mit der Auslöschung bestimmter Gruppen von Menschen gleichgesetzt wurde, sind von Verschwörungsgläubigen ins Werk gesetzt worden und kosteten Millionen von Menschenleben.
Auf der anderen Seite stehen die Konspirationisten, die relativ unabhängig von wissenschaftlichem Nachweis den Einfluß von Verschwörungen auf soziales Geschehen als beherrschend, oft als übermächtig darstellen.
In der Übergangszone dazwischen passiert aber etwas anderes. Das Herumspielen mit möglichen Verschwörungen sorgt für enorme und nicht selten produktive Verwirrung, erschüttert Gewißheiten und erweitert die Datenbasis. Die Mindfuck-Tradition von „Illuminatus!“ und „Principia Discordia“ bereichert also zunächst das Bild von der Gesellschaft. Sie demonstriert die Absurdität und die geistige Anregung der Verschwörungstheorie gleichermaßen. Durch das Zusammenstricken der verschiedenen widersprüchlichen Erzählungen werden die Möglichkeiten ebenso wie die Gefahren assoziativen Denkens sichtbar.
Erst die erneute Verengung auf wenige oder einzige Verschwörungen im Besitz der Allmacht sorgt dafür, daß eben nicht mehr ungefiltert vormals vernachlässigte Informationen in Betracht gezogen werden, sondern daß nur nach vermeintlichen Beweisen für ein feststehendes Weltbild gesucht wird. Dabei fällt als besonders absurd auf, daß sich mithilfe von heuristischer Indizienerhebung und anschließender freier Assoziation überhaupt nichts beweisen läßt. Verbissen beharren Mathias Bröckers wie Gerhard Wisnewski dennoch auf ihrer Version der Geschichte und räumen dem bei Wilson so wichtigen Zufall und auch menschlichen Schwächen oder Fehlern keinen Platz mehr ein. Was geschieht, geschieht auf Plan und Anordnung, und auf wessen Plan und Anordnung wird allzuoft nur mäßig kaschiert. Mit der Behauptung einer „Kosher Conspiracy“ (Bröckers) und der Verharmlosung antisemitischer Propaganda und Tat schwimmen diese sich gern als vorurteilsfrei und subversiv gerierenden Verschwörungstheoretiker im globalen Mainstream unappetitlicher und gefährlicher Ideologien.
Werner Pieper: „Mein Plan war seit Wilsons Trilogie, einen Verschwörungs-Sammelband zu machen: Alle jeweils in sich stimmig, und wenn möglich die anderen ausschließend. Und eine selber schreiben. Da mir nötiges geschichtliches Wissen fehlt, suchte ich jahrelang jemanden. der das machen kann. Und sammelte ein paar Jahre Stoff. Leider entwickelte jeder drei drei damals vorausgesuchten im Laufe der Geschichte eine Lieblingsverschwörungstheorie – und disqualifizierte sich so für das Projekt. Und ich gab’s auf.“
Gern übersehen wird auch der Zusammenhang zwischen Wilsons Fähigkeit, sich dem Feld der Verschwörungstheorie mit Distanz und Empirie zu widmen, und seinen heftigen und zahlreichen Angriffen auf die klassische literarische Erzählform. Denn die Mindfuck-Ebene des Verschwörungsdenkens bildet ja ein ganz reales Problem ab: Unsere Wahrnehmungsfähigkeit ist auf kleine und überschaubare Personenkonstellationen ausgelegt und ist mit der Realität von 7 Milliarden handelnden Individuen auf der Welt völlig überfordert. Indem Wilson dazu anregte, immer mehr verschiedene Interessen und mögliche Verdächtige in Betracht zu ziehen, machte er es zwar nicht wahrscheinlicher, daß tatsächlich die Wirklichkeit aller menschlichen Individuen von irgendjemandem erfaßt werden könnte. Das Bewußtsein vom grundsätzlichen Problem blieb hingegen durch die beständige Horizonterweiterung erhalten.
Genau in diesem Punkt erscheint mir Wilsons Herangehensweise der geschichtswissenschaftlichen überlegen. Wenn auch nicht durchgängig, so versucht er doch immer wieder, die dramatische Handlung zu zerlegen, wirklich überraschende Antihelden zu präsentieren und dem Zufall eine größere Rolle zuzugestehen.
Die konspirationistische Erzählung funktioniert hingegen klassisch. Gerade die Reduzierung der handelnden Personen auf immer kleinere Gruppen, die Zuschreibung eindeutiger Merkmale und die Ermutigung für den Leser, seine eigenen Eingebungen zu neuen Beweisen zu erklären, produzieren übersichtliche Geschichten, die niemanden mit dem Versuch belästigen, seinen Horizont zu erweitern, sondern die konsequenteste Tunnelrealität sogar noch als subversiv und weltrettend adeln.
Mein Ausgangspunkt ist ein recht seltener. Einerseits halte ich das assoziative Denken für ein hilfreiches Werkzeug in vielen Wissenschaften und würde es jederzeit gegen die reine analytische Logik ohne Empirie verteidigen; gleichzeitig verteidige ich die analytische Logikgegen jene, die sie mit allen Mitteln aus ihren rein assoziativen Wahngebilden heraushaltenmüssen, weil sonst keine Überlegung mehr aufgeht. Diese konspirationistische Vorgehensweiseist zudem im Fokus von gleich vier Feinderklärungen an die Geschichte/Erzählung, die von mir vertreten werden:
(1) formal: die Geschichte ist langweilig und linear, Typen werden durch das Dramenschema geschoben und fertig; eine Erzählung mit mehr Beteiligten und mehr Widersprüchen, die der Banalität und Zufälligkeit des Lebens und dem individuellen Handlungsspielraum und der Abweichung näher kommt, geht mit dem Cut-up der bisherigen Geschichte los.
(2) chronologiekritisch: die große Geschichte (History) ist absichtsvoll und schlecht erzählt, vermutlich sind weite Teile Unfug und befördern nur das Verwechseln von Karte und Territorium; die Brillen und Verfälschungsinstanzen müssen rausgerechnet werden und Geschichte vorm 18. Jahrhundert als ebenso banal angesehen werden wie die Zeitgeschichte es ist.
(3) ideologiekritisch: die nationale Geschichte, die den heutigen „Völkern“ eine kollektive Wahngrundlage schafft, ist nicht mal wirklich eine Erzählung, sondern nur eine immer wiederholte Momentaufnahme, die sich als Wahrnehmungsmuster über jede geschichtliche Epoche legt und hauptsächlich in der Gegenwart Anwendung findet; die radikale Kritik an der Nation und der Vorstellung vom nationalen Kollektiv und seinen Feinden kann die Sicht wieder freigeben und den eigenen Verstand aus dem Volksgefängnis befreien.
(4) anti-konspirationistisch: (Achtung: dieses Wort gab es bisher noch gar nicht!) die Verschwörungstheorie dampft Zeitgeschichte, oft auch die Zivilisationsgeschichte (Des Griffin: „Wer regiert die Welt?“), in Extremfällen die Evolutionsgeschichte (Bröckers:„11.9.“) auf das Wirken eines zumeist auch personalisierten Prinzips ein und kann somit als die Quintessenz der Geschichte, der Geschichtserzählung gelten; wie in der Geschichtswissenschaft muß also der Versuch der Vermittlung des nicht erfaßbaren Gesamtbildes mit der Erzählung davon weiter unternommen werden, jede Strategie der absichtlichen Regression auf übersichtliche Bilder mit klaren zu eliminierenden Bösewichtern muß laut und deutlich kritisiert werden.
Mit dem assoziativen Mindfuck als Ausgleich zur Empirieferne und Phantasiearmut der analytisch-logischen Weltanschauungen und als Antidot gegen die routinierte Mustererkennung wenig origineller deutscher Journalisten, die bestenfalls zu Schenkelklopfen, miefiger Selbstbestätigung und Duldung gefährlicher Wahnsinniger führt, könnte der Versuch starten, das bunte Spielzeug der konstruktiven Paranoia dem graubraunen Assoziationsautomaten zu entreißen.
i Die von mir formulierte Kritik speziell an den Verschwörungstheorien um 9/11 funktioniert grundsätzlich positivistisch im Sinne der Feinderklärung der Kritischen Theorie. Indem ich mich zur Entkräftung der VT auf die Darstellung des Faktischen seitens der offiziellen Untersuchungen und der in diesem Sinn zumeist positivistischen Wikipedianer stütze, werfe ich mich zugleich den zugrundeliegenden Prämissen an den Hals. Ich muß die kritische Untersuchung der offiziellen Darstellungen mit der Kritik der konspirationistischen Modelle abgleichen und bereit sein, zu unterschiedlichen Ergebnissen zu kommen. Die Konspirationisten können durchaus mal richtig liegen (was bisher allerdings ausgesprochen selten der Fall war), da sie sonst übergangene Quellen verwenden – das Problem ist allein ihr Glaube und die damit verbundene Propaganda.
ii Widad Fakhir „Der Schlächter und das Schweigen der Lämmer“, in: Kreutzer/Schmidinger „Irak“, Freiburg 2004