Suchtkranke Arbeitslose

Anerkennung erhalten für das, was man tut
von am 8. Mai 2013 veröffentlicht in Tagessatz

Mit Skulpturen den Weg zurück ins Leben finden. Bild: Svenja Strauß.

Ytong, Keramik, Naturstein oder Holz: Das Skulpturenprojekt auf dem Göttinger Junkernfriedhof bietet suchtkranken Arbeitslosen die Möglichkeit einen Weg zurückzufinden in den Alltag. Nun soll dieser Weg enden, weil dem Projekt das Geld ausgeht. Eine Reportage aus dem Straßenmagazin Tagessatz.

Es ist Ende März und immer noch fällt der Schnee an diesem Vormittag. In der teilweise selbstgebauten Hütte des „A&O“ Projektes ist es bitterkalt. Die Gasflaschen der Heizstrahler sind leer. „Die Kälte ist das Einzige, was mir zu schaffen macht. Die Arbeit hier ist es nicht. Ganz im Gegenteil“, berichtet Michael stolz. „Nein, die Arbeit ist es wirklich nicht“, stimmt Antje überein. „Ich bin zwar noch nicht so lange dabei, aber das Modellieren meiner eigenen Skulpturen hat mich auf Anhieb gepackt“. „Außerdem ist es der erste Ein-Euro-Job bei dem ich das Gefühl habe, nicht das Allerletzte zu sein. Endlich kann ich mal wieder zeigen, was ich kann und bekomme dafür Anerkennung“, pflichtet Tom ihr bei.

Das Göttinger Straßenmagazin TagesSatz will soziale Missstände aufzeigen und als Sprachrohr für alle sozial Benachteiligten und Ausgegrenzten dienen. Er will dazu beitragen, Armut und Ausgrenzung sichtbar zu machen. Sein Ziel ist es, Menschen in besonderen Lebensverhältnissen mit sozialen Schwierigkeiten ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen und sie bei der Überwindung ihrer Schwierigkeiten zu unterstützen. Ihr könnt diese Menschen dabei unterstützen, in dem ihr bei den StraßenverkäuferInnen ein Exemplar des monatlich erscheinenden Magazins erwerbt. Im Rahmen unserer Medienpartnerschaft mit dem TagesSatz veröffentlichen wir aus jedem Heft einen Artikel bei uns.
www.tagessatz.de

Anerkennung erhalten für das, was man tut: Viele der Projektteilnehmer_innen haben vergessen, wie gut sich das anfühlt. Im „A&O“- Projekt, getragen vom Diakonieverband des evangelisch-lutherischen Kirchenkreises und der Fachstelle für Sucht- und Suchtprävention, wird ihnen dieses Gefühl jedoch schnell wieder zuteil. „Alle Teilnehmer_innen haben unterschiedliche Suchtproblematiken und können deshalb keiner Vollzeitbeschäftigung nachgehen. Unser Ziel ist es, alle nach und nach wieder an einen geregelten Arbeitsalltag heranzuführen. Zu Beginn handeln wir mit jedem persönlich aus, wie viele Stunden er oder sie hier im Projekt tagtäglich arbeiten kann. Nur wer von Beginn an Bereitschaft zeigt, sein persönliches Arbeitspensum auch schaffen zu wollen, kann letztendlich im Projekt mitarbeiten“, erklärt Anne Funk.

Zusammen mit Dorit Dommrich betreut sie als Sozialarbeiterin die Teilnehmer_innen des Projekts und diese loben ihre Arbeit. „Anders als bei anderen Jobs helfen uns die beiden auch bei behördlichen Angelegenheiten oder dabei, einen Therapieplatz zu finden“, berichtet Michael. Doch nicht nur das: „Wenn es sein muss, fahren wir sogar zu jemanden nach Hause, wenn er auf der Arbeit nicht erscheint, ohne sich abzumelden“, erzählt Anne Funk. „Die handwerkliche Arbeit lenkt von den eigenen Problemen ab. Alle sind ungebunden in ihrer Arbeit und können der eigenen Kreativität ihren Lauf lassen. Am Anfang fällt dies meistens schwer, doch hier hilft man sich untereinander“, erklärt Jochen Kupke, Steinmetz und handwerklicher Anleiter im Projekt.

Weit entfernt von Amateurhaftigkeit sind dabei die Gegenstände, die am Ende entstehen. Dass die Skulpturen nicht von einem gelernten Steinmetz kommen, fällt nicht auf, weil Materialien wie Ytong, Naturstein oder Keramik handwerklich gut verarbeitet und die Ideen unglaublich originell sind. „Wir wissen, dass diese Arbeit nicht jeder machen kann und wir ein besonderes Talent besitzen“, erklärt Tom stolz. „Passanten loben unsere Arbeit und bestaunen den Skulpturenpfad. Einige von ihnen wollen manchmal auch Stücke von uns kaufen, das geht jedoch leider nicht“, erzählt Basti. Und doch trägt die Arbeit Früchte: „Ich habe ein Praktikum angeboten bekommen von einem Steinmetzbetrieb. Wenn das gut läuft, kann ich dort eine Lehre beginnen“, verrät Basti.

Leider ist er einer der letzten Teilnehmer_innen, die vom Projekt profitieren. Die Arbeit auf dem Junkernberg wird Ende Juni eingestellt, weil niemand das Projekt in Gänze weiterfinanziert. Bislang wurde das Projekt vom Landkreis Göttingen, der Klosterkammer Hannover und dem Innovationsfonds der evangelischen Kirche getragen, doch nun fehlen 60.000 Euro Fördergelder im Jahr. Drei Jahre lang hat das bundesweit einmalige Projekt Menschen eine Chance geboten, sich wieder zu finden, ihr Leben aktiv zu verändern und sich der eigenen Sucht entgegenzustellen. Gründe, die anscheinend nicht ausreichen, um das Projekt fortzuführen.

von Svenja Strauß

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