Elfriede Jelineks „Die Kontrakte des Kaufmanns“ im Deutschen Theater Göttingen
von am 18. Dezember 2009 veröffentlicht in Theater


Wer sind sie, die Verlierer der Bankenkrise? Und wie kam es zu ihrer Pleite? In ihrem Theatertext „Die Kontrakte des Kaufmanns: eine Wirtschaftskomödie“ analysiert Elfriede Jelinek (gewohnt kritisch) die Kapitalgier der bösen Welt der Banken, schmierigen Banker und Kleinanleger. Das Ganze erfolgt vor der Folie des Skandals um die österreichische Meinl-Bank. Alle werden getrieben vom Verlangen nach der Anhäufung des Kapitals. Als dann nichts mehr da ist, sind zwar die Leidtragenden die Kleinanleger, aber auch sie sind nicht schuldlos. Eine reine Kritik am Finanzsystem und den Banken wäre zu einfach. Selbst die Engel der Gerechtigkeit können nicht im Sinne der vermeintlichen Opfer reden und handeln, so dass die Bilanz ernüchternd ist:

„Müßig lehnen wir Unmündigen uns ins Geschirr, müssen wir halt noch zwanzig Jahre arbeiten, denn unsere Pension ist jetzt weg, ist jetzt hin, ist dahin, wir haben auf das falsche Pferd gesetzt, wir haben die Zertifikate, die jedoch nie uns auszeichnen, ausgezeichnet sind wir für andere, ausgepreist, unser Preis steht auf diesem Schild, das wir nicht beschrifteten, da liegen diese ausgezeichneten Werte nun und wurden heruntergestuft, und wir verfehlen die Stufe und stürzen und stürzen, ach!“

Bis die Finanzkrise schließlich auch im kleinen idyllischen Tiroler Bergdorf ankommt….

jelinek

„Die Kontrakte des Kaufmanns“ ist ein über 100-seitiger Text, eher Textteppich: Jelinek bricht (mal wieder) mit sämtlichen dramatischen Konventionen, verzichtet auf eine stringente Handlung und Figuren. Der Text ist ungegliedert und sprudelt assoziativ aus den Mündern der Schauspieler und Schauspielerinnen. Dabei geht es dieser gelungenen Inszenierung nicht darum, den Zuschauern jedes Wort verständlich zu machen. Die Worte werden durch ihre Masse gewaltig und haben teilweise etwas wahnsinniges. Man kann manchmal den Erzählungen und den langen Sprechpassagen und Monologen nicht komplett folgen, aber das ist in diesem Falle egal. Nicht der Sinn der Wörter sondern ihre Wucht, das wird klar, ist wichtig: Als einziges was dem Menschen noch bleibt. Atemlos, manisch, verwirrt und ängstlich.

Elfriede Jelinek setzt sich in ihren meisten Arbeiten kritisch mit herrschenden Gesellschaftsverhältnissen und Missständen auseinander, wie zum Beispiel patriarchalen Machtverhältnissen oder dem Umgang mit Asylbewerber_innen. Dabei wirken ihre provokanten Werke sehr polarisierend: auf der einen Seite wird sie für ihre Schärfe und ihren Zynismus gefeiert, auf der anderen Seite wird sie als vulgär, blasphemisch und als „Nestbeschmutzerin“ verschrien. Teilweise gelten Aufführungsverbote ihrer Stücke in Österreich.

Die „Kontrakte des Kaufmanns“ wird offiziell als Drama beschrieben und ist in diesem Jahr uraufgeführt worden. Es ist darüber hinaus das erste Stück der Nobelpreisträgerin am Deutschen Theater und tut der doch sonst eher konventionellen Göttinger Theaterlandschaft unglaublich gut. Bunt und mit Anleihen aus Zirkus, Comic und Videospiel inszeniert Tilman Gersch dieses Sprachmonster. Nach 2 Stunden und völlig geplättet von den Textmassen applaudiert man nicht nur den Schauspielern und Schauspielerinnen (sehr gut, übrigens: Ein lauter Schrei markiert einen vergessenen Text, auf den hin die Souffleuse den Text dann auf die Bühne schreit) – man applaudiert auch dem DT für die wunderbare Stückauswahl!

die kontrakte des kaufmanns

Weitere Aufführungstermine:

7. Januar 2010, 19:45 Uhr
18. Januar 2010, 19:45 Uhr
27. Januar 2010, 19:45 Uhr

Die Möglichkeit Karten zu reservieren und weitere Infos zu dem Stück gibt es hier, auf der Seite des Deutschen Theaters.
Jede Menge Texte und Arbeiten von Elfriede Jelinek finden sich auf www.elfriedejelinek.com

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Ein Kommentar auf "Elfriede Jelineks „Die Kontrakte des Kaufmanns“ im Deutschen Theater Göttingen"

  1. Ignaz Hronek sagt:

    Allenfalls Frau Jelinek selbst lässt Aufführungen ihrer Stücke (mancherorts?) in Österreich nicht zu. Ein „Aufführungsverbot“ von anderer Seite (gar der Politik) existiert nicht.

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