Mord und Totschlag im Zeltlager oder: das Zeitalter der Fische – „Jugend ohne Gott“ im JT
von trampelfant am 8. November 2009 veröffentlicht in Theater Die Jugend von heute ist verroht, verrottet, vernachlässigt und von allen guten Geistern verlassen. So etwas wie eine ‚anständige‘ Pubertät gibt es eigentlich gar nicht mehr. Soweit, so schlecht. Im Jungen Theater hatte gerade ein Stück Premiere, das einen faschismuskritischen Roman von 1937 mit jugendlicher Gegenwart rund um Liebe, Sexualität, Gewalt, Web 2.0, YouTube und der ‚Killerspiel‘-Debatte verknubbelt und auf die Bühne bringt – ein ziemlich waghalsiges Unterfangen.
„Sie pfeifen auf den Menschen! Sie wollen Maschinen sein, Schrauben, Räder, Kolben, Riemen- doch noch lieber als Maschinen wären sie Munition: Bomben, Schrapnells, Granaten“
Regisseur Alexander Krebs vom Jungen Theater hat Ödön von Horvaths Roman „Jugend ohne Gott“, eine Kritik an den gesellschaftlichen Zuständen nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten, in die Gegenwart verlegt und verspricht „eine Spurensuche nach aktuellen Problemen der Jugendlichen in unserer Zeit aus der Erkenntnis, wie wichtig es ist, die Wahrheit zu leben. In einer Geschichte über erste Liebe, Sexualität, Gewalt und Gleichgültigkeit, suchen junge Menschen nach dem Echten und Erwachsene ihre Position zwischen Selbstschutz und Zivilcourage“
Das Stück fängt genauso viel versprechend an. Graphisch wie technisch innovativ mit Video-Einspielungen und Ausschnitten aus Ego-Shootern, die teilweise aus der Erzählung heraustreten und das Geschehen um und in den einzelne(n) Figuren kommentieren, von einer anderen Perspektive beleuchten oder erklären, nähert sich das Stück der Frage, was ‚die Jugend von heute‘ beschäftigt.
Nach und nach werden verschiedene Themen angesprochen, von Teenie-Schwangerschaften über Gewalt bis zu Zukunftsängsten – an sich bereits genug Potential für ein eigenes Theaterstück – und das souveräne Spiel macht Lust auf mehr.
Ich habe Angst, kein Individuum zu sein. Angst, allein zu sein; Angst, mir meine Zukunft zu verbauen und Angst, verprügelt zu werden.
Im modernen „Jugend ohne Gott“ geht es also um Jugendliche und ihren Lehrer, um ihre Beziehungen zueinander und um das, was übrig bleibt, wenn Bushido nicht singt, wenn keine Handy-Videos im Unterricht produziert werden, um sie ins Netz zu stellen und die Heranwachsenden nicht gerade die gescheiterte Autorität, verkörpert in einem der letzten, die eher erfolgslos versuchen, ein humanistisch geprägtes Bildungsideal zu vertreten, mit „Ich muss gar nichts außer schlafen, trinken, atmen und ficken“! anblöken.
Nun soll im Unterricht ein Aufsatz über den Roman „Jugend ohne Gott“ verfasst werden. Selbige sträubt sich dagegen, in einer rassistischen und sexistischen Gegenwart vor allem mit der Hoffnung lebend, bald endlich einmal ‚rangelassen‘ zu werden bei einem Mädchen.
Um dem von „Cybermobbing, Handy-Kultur und virtueller Bildersucht“ bestimmten Alltag etwas entgegenzusetzen, verdonnert der Lehrer die Klasse zum gemeinsamen Zelten und Wandern in die Berge, während dem es zum Eklat kommt. Es wird gerauft, das Tagebuch eines Schülers heimlich vom Lehrer gelesen, im Folgenden aber Unschuldige verdächtigt und schließlich einer der Jungen erschlagen aufgefunden.
Zur Vorlage: Horvaths Roman ist 1937 erschienen und handelt, wenn man so will, von zwei sich entgegenstehenden Ordnungssystemen, von gegenseitiger Entfremdung, von Mitläufertum in der Zeit des Nationalsozialismus und ist eine Kritik am Faschismus und am konformistischen Muff des Kleinbürgertums im sogenannten ‚Zeitalter der Fische‘.
Wer das Buch nicht kennt, der*die könnte möglicherweise aus dem auf der Bühne Dargestellten heraus überhaupt nicht erschließen, was es mit diesen Fischen als Sinnbild für die geistig unbeweglichen, kalten, starren und gleichgültigen Hüllen von Menschen auf sich hat, die jeder Individualität beraubt sind – wenn sie solche jemals besessen haben sollten.
Und auch Dave Wilcox spielt seine Rolle als Lehrer zumindest so lebhaft, dass man nicht nachvollziehen mag, weshalb er bei den Schülern, die selbst nur „T“,“Z“ oder „N“ heißen, den Spitznamen „Fisch“ bekommen hat.
Diese Gesellschaft basiert auf „Eigenliebe, Heuchelei und roher Gewalt“.
Der Hass des Lehrers auf eine zerstörerische Gesellschaft gestern wie heute ist wahr, ihre Erklärung und die Waffen, die sowohl von Seiten des Lehrers (‚Gottlosigkeit‘) als auch von der Regie vorgeschlagen werden, sind eher unbefriedigend.
Der Anspruch, die Frage mit einer Reise bzw. Spurensuche durch den aktuellen Problem-Alltag ‚der heutigen‘, (d.h. zunächst einmal männlich-weiß-mittelständischen) Jugend näher zu kommen, wird nicht eingelöst.
Zu Beginn des Stückes hätte man unter einem bestimmten Blickwinkel glatt den Eindruck gewinnen können, hier offenbarten sich gnadenlos ehrliche Ambitionen für ein Stück, das auf strukturelle Ähnlichkeiten des tendenziell konformistischen Charakters bürgerlich-kapitalistischer Subjekte in der Kulturindustrie mit ‚Individuen‘ im Faschismus zu thematisieren beabsichtigt. Aber das täuscht bzw: hinkt, denn die Inszenierung suggeriert, es gäbe kaum Unterschiede zwischen Gleichschaltung im Dritten Reich und Konformismus und Opportunismus in der postfaschistischen Gesellschaft. So wird die Aktualität der Thematik leider nicht kohärent weitergeführt; im Gegenteil, sie wird ab einem bestimmten Zeitpunkt nahezu zeitlos erzählt. Die ehrgeizige Intention des Stücks, von Horvaths Stück ins Jetzt zu hieven, ist mit einigen dramaturgischen wie inhaltlichen Stolpersteinen verbunden und die Beantwortung der Frage, wie und warum ein Schüler einen Mitschüler erschlägt, verrennt sich in diffuser Erzählung und lässt das Publikum mit mehr Fragen als Antworten zurück. Die aufgebaute Spannung vieler anfangs skizzierter Themenbereiche verpufft nahezu in der zweiten, eher deskriptiven Hälfte, bis das Licht ausgeht und man sich verwirrt fragen mag: „Hm, das war’s? Und was jetzt?“
Erwartet uns also ein moralisches Lehrstück?
– So kann man es verstehen, muss man aber nicht. Trotzdem zeigt sich die Lesart hartnäckig, „die Medien“ seien Schuld an allem – eine äußert konservative und verkürzte Kritik also kann übrig bleiben, obwohl ihr beliebtes Mittel, die Politik des Verbots, noch zu Beginn von den Jugendlichen energisch und kritisch auseinander genommen wird.
Es lohnt sich, „Jugend ohne Gott“ anzuschauen – aufgrund der schauspielerischen Leistung der Beteiligten und trotz des Bedenkens, dass das Stück es erlaubt, aus dem Schauspielhaus mit einem moralisch-selbstgerechten Resümee à la „Gott, ist das alles schrecklich!“ zu treten und anschließend ebenso stumm und gleichgültig weiter zu schwimmen wie bisher…
Karten und mehr Informationen gibt es hier
„Jugend ohne Gott“ ist noch an folgenden Terminen zu sehen:
15.11. 19-20:30h | 16.11. 18-20:30h | 17.11. 20-21:30h | 18.11. 10-11:30h |
26.11. 20-21:30h | 29.11. 19-20:30h | 30.11. 18-19:30h | 03.12. 20-21:30h |
10.12. 11-12:30h | 14.12. 18-19:30h | 17.12. 20-21:30h